PALIMPSZESZT
10. szám --[ címlap | impresszum | keresés | mutató | tartalom ]

BALOGH Endre
Die Rolle Kabbala in der Entwicklung der Kombinatorik der deutschen Barockpoetiken


Unter Kabbala verstehe ich in hier die im Renaissance bearbeitete Form dieser jüdischen Exegetik - anhand der Scholemschen Schule:

Die Erforschung der Kabbala unter historischen und philologischen Gesichtspunkten ist in ihren Anfängen mehrheitlich eine Leistung der christlichen Hebraisten der Renaissance. Gerschom Scholem setzt den Anfang der Kabbala-Forschung entsprechend mit Johannes Reuchlin, isnbesondere mit seiner schrift De arte cabalistica (1517). Zusammen mit Pico della Mirandola, Egidio da Viterbo, Paulus Ricius und Petrus Galatinus konstruierte und etablierte Reuchlin eine lateinische Kabbala als Begründungsinstanz des christlichen Wissens der Frühen Neuzeit.
(KILCHER, S. 16)

Nach meinen Kenntnissen werden hauptsächlich nicht die jüdischen Bücher zitiert, sondern ihre christlichen Bearbeiter. Das Ziel ist auch bei ihnen ein ähnliches, wie es Harsdörffer in den Ars Apophtegmatica, Das ist:Kustquellen Denckwürdiger Lehrsprüche und Ergötzlicher Hofreden., in einem auch aus poetologischer Hinsicht interessanten Text schreibt und verwendet:

Ich will nicht anführen / wie Adam alle Thiere nach ihrer Eigenschafft benamt. [...] Ich will nicht disputirn / ob die Namen von der Sachen Eigenschafften oder Völcker Beliebung ihren Ursprung genommen / wie Plato in Cratylo vermeldet / und hiervon auch in dem Gellio und Philosophischen Erquickstunden zu lesen ist / sondern gedencken / daß in der H. Schrift kein einiger namen ohne seine besondere Deutung gefunden wird. [...]
Animal
Divinum
Angelicum
Mortale[1]
(Ars Apopht.: Vorrede. Die II Kunstquelle der Wortforschung, S. 7,)

Eine eindeutige Verknüpfung zwischen Kabbala und Poetik behauptet in Dem ABC cum Notis Variorum der anonyme Autor:

§. 332. Ein anderer lusus Poëticus mit den Buchstaben ist durch die Cabala oder sogenante Paragrammata angefangen worden. Der erste Erfinder sol der bekante Rechenmeister Michael Stiefel gewesen seyn / welchem andere nachgefolget. Insonderheit Abraham Schönwald Anno 1572. Ingleichen Johan. Hornejus[2], Medicus zu Heilbrunn
(Das ABC, S. 181)

Die Tradition des Lullismus hat sich dadurch nur verstärkt, daß sich Lullus' Methode mit dem Buchstabenwechsel der Kabbalisten leichtlich verbinden läßt und, daß ihm in der Zetznerschen Ausgabe - das in 20 Jahren dreimal verlegt wurde - ein Buch mit dem Titel: De Auditu Cabbalistico zugeschrieben wurde[3]. Zu diesem Pseudo-Lullus-Werk haben Giordano Bruno und Agrippa von Nettesheim einen Kommentar geschrieben. Nach der Veröffentlichung dieses Werkes hat man in Deutschland die Kabbala, die in Italien schon von den Neuplatonikern in den philosophischen Diskurs eingeführt wurde, auch schnell kennengelernt.

Ein weiterer Bearbeiter ist Johann Heinrich Alsted gewesen, der mit seiner Clavis artis Lullianae (1609) und besonders mit der Enzyklopaedia (1630) zur Hauptquelle der Verbindung von Lullus und der Kabbala geworden ist. Wie KILCHER schreibt:

In einer Entgegnung an diejenigen, die Lull die Übername älterer Traditionen der Buchstabenkombinatorik zum Vorwurf machten, führt Alsted seine These weiter aus. Die Methode, »per literarum miras concamerationes & revolutiones atque involutiones«, verteidigt er als »omnium aptissimus.«[4] Mehr noch: er verweist nochmals auf die Kabbala als Quelle der »Alphabetaria revolutiones Lullii«: »Sofern Lull ein Mathematiker und kabbalist (Kabbalista) war, ist seine gute Lehrmethode die mathematische und kabbalistische, weshalb er Kreise verwendet.«[5] Alsted begründet also die These des kabbalistischen Ursprungs der lullischen Kombinatorikmit der Verwendung von Buchstaben zur Kombination und mit der Technik der Rotation.
(KILCHER, S. 167)

Es ist auch heute bestritten, ob Lullus bei der Erfindung seiner Kombinationskunst die Kabbalisten gekannt hat, ob er ihre Schriften benutzt hat. Zwar ist die ähnlichkeit groß und lebte Lullus in derselben Zeit im spanischen Nordosten mit Abraham Abulafia, sichere Kenntnisse haben wir aber bis jetzt keine.[6] Dieses Problem ist für mich in der jetzigen Arbeit nur aus dem Hinsicht relevant, daß man in der Frühen Neuzeit diese beiden Linien - Kabbala und Lullismus - gleichermaßen für wichtig fand.

Die kabbalistischen Methoden, die in den Barockpoetiken eine große Rolle spielen[7], sind die von Abraham Abulafia aufgrund der Sefer Jezirah ausgearbeitete Methoden der Gematria, des Notarikon und der Temurah. Die Anfangsbuchstaben dieser Methoden der kabbalistischen Textinterpretation ergeben das Wort 'Ginnat' (=Garten), das leicht zu merken ist und werden zu einem berühmten Trias der Interpretation:

Der Buchstabe Gimmel (â) verweist auf die Gematria, der Buchstabe Nun (ð) auf das Notarikon, der Buchstabe Tav (ú) auf die Temurah. Dieses Akronym wurde hauptsächlich durch die frühe Schrift des wichtigsten Schülers von Abulafia bekannt, durch Josef Gikatillas Ginnat Egos (»Garten der Nüsse«). Gematria ist, zunächst in der Definition von Abulafia, die numerologische Interpretation der Buchstaben als Zahlen, mit dem Zweck, verborgene Analogien zwischen einzelnen Worten und Ausdrücken herzustellen. Notarikon ist ein Verfahren des »Schnellschreibens«, des Chiffrieren von Botschaften und der Herstellung von Abkürzungen, bzw. Umgekehrt des Dechiffrierens und der Interpretation der Buchstaben eines Wortes als Initialen anderer Worte. Temurah ist die progressive, potentiell unendliche Kombination und Permutation der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets: »Dies ist der Weg der Gematria (àéøèîéâ), des Notarikon (ï÷éøèåð) und der Permutationen (ïéôåìéú) und Substitutionen (úåøåîú), und der Permutationen der Permutationen, und der Permutationen der Permutationen der Permutationen, bis zu zehn Permutationen. Und wenn man hier endet, ist dies nur wegen der schwäche des menschlichen Denkens, denn potentiell sind die Permutationen unendlich«. [Scheva netivoth, S. 4]"
(KILCHER, S. 53)

Die Kabbalistischen Buchstaben-Zahlen-Kombinationen ermöglichen auch den Weg zur Erkenntnis der Rolle der Mathematik und mathematischen Methoden in der Poetik, die in der Inventionslehre von Harsdörffer und des frühen Kuhlmanns - wie wir sehen werden, auch in der Musik bei A. Werkmeister und J. S. Bach - wichtig wird. Harsdörffer schreibt in den Erquickstunden über die Kabbala folgendes:

In dieser Erforschung [in der der Kabbala - E.B.] ist der Aberglaub / welcher bey dergleichen Zahlrechnung sich einzuschleichen pfleget / billich zu vermeiden / und hat Johann Hornerus ein Rosenkreutzer / viel Geheimnuß der Schrifft aus diesem Grund eröffnen wollen / und davon ein ganzes Buch geschrieben / das er nennet Problema summum Mathematicum & Cabalisticum, und gefunden / daß sehr viel Wörter in der Zahlrechnung gleichhältig seind : als sein Nam Hörner hat 19. deßgleichen auch das Wort Cabala und Sophia. In besagtem Buch sind viel wunderliche Händel zu lesen / es ist gedruckt zu Nürnberg 1619.
(Erquickstunden, II/1/XXXIV, S. 36)

Diese Textstelle benötigt eine komplizierte Erklärung. Harsdörffer muß sich rechtfertigen, daß er nicht die abergläubische Kabbala verwendet, aber seine Legitimation basiert auf dem Buch eines Rosenkreuzers. (Dies ist auch eine Antwort darauf, welche Meinung er ungefähr über die Rosenkreuzer gehabt haben könnte. Hier erscheint einer von ihnen in einem positiven Kontext, wo eben der Aberglauben ausgeschlossen wird!) Dieser Mann benutzt aber die Kabbala zur Definition seiner Person - und als solcher überhaupt nicht bescheiden - er identifiziert sich nämlich (wenigstens nach Harsdörffers Präsentierung) mit der Weisheit. Für Harsdörffer mag aber eher die Verbindung der Kabbala mit der Mathematik und die Verbindung der drei Sprachen durch dieselbe wichtig gewesen sein. (Leider war mir dieses Buch von Hörner nicht zugänglich.)
In einer anderen Textstelle ist er aber klarer:

Diese Versetzung der Buchstaben ist ein Theil von der Ebreer Cabala / und veranlast zu feinen Gedancken / vermehret die Erfindung / bringet eine Lieblichkeit und sondere Schlichtigkeit in den Gedichten / und fliessen daher Scherz= und lehrreiche Einfälle.

Diese Art der Poetischen Erfindungen ist deßwegen angenehmer / als keine andere / weil sie keinem / als von dessen Namen sie ausgesuchet ist / gemein sein kann / und schicket sie zu weilen auf die Zeit / Ort und anderen Umstände sehr artig / ohn alle Stümpeley.

Und so schreibt er weiter:

Vier Buchstaben in einem Worte können also vier und zwanzig mal versetzet werden. [...] combinationes elementorum
(Erquickstunden II/14./IV. Aufgabe, S. 514 f.)

In den Gesprächspielen:

V[espasian].Es haben die Ebreer unterschiedliche Arten die Buchstaben zu versetzen / deren die gebräuchlichste / daß man die Stimmer nach Schicklichkeit verändert / und die Mitlautende in ihrer Deutung stehen lassen / oder auch versetzt / als von dem Namen Angelica verbleiben n g l c / und kan mit anderen Stimmern heißen ein Glüc.
A[ngelica].Es kan auch heißen Unglüc.
(Gesprächspiele CXLVI/46-47, S. 329)

Danach erwähnt Harsdörffer den "Dolmetscher deß verschalkten Rabalais [sic!]", der allen hebräischen Buchstaben (Außer dem Aleph und dem Ain) einen deutshen entsprechen läßt:

ë é è ç æ å ä ã â á à
k j t ch ds v h d g b -
ú ù ø ÷ ö ô ò ñ ð î ì
th sch r q z p - s n m l

J[ulia].Warzu dienet dieses?
V[espasian].Ihnen auf unterschiedliche Arten in Versetzung der Buchstaben nach zu ahmen. Wann sie solchergestalt oder rukwarts untereinander gesetzet / und ein Buchstab für den anderen genommen wird : Wir können es solchergestalt leisten.

b c d f g h j k l m
z x w v t s r q p n
oder: b c d f g h j k l m
n p q r s t v w x z

als diese Buchstaben von dem Namen Raymund
R m n d.
werden außgetauscht mit
t g d n[8]
und geben mit Beysetzung der schiklichen Stimmer das Wort
Tugend.

(Gesprächspiele CXLVI/49-51, S. 330-331)

Diese ("Grund der Zahl= und Jahrverse" Gesprächspiele CCIV/18, S. 23) und die in dem Denkring perfektierte Methode sind die zwei, bei Harsdörffer wichtigsten Arten der Temurah - wichtig ist, daß sie nicht nur zur Textinterpretation, sondern (hauptsächlich!) zur Terxtherstellung dienen. Das ist die Umfunktionierung der Kabbala bei Harsdörffer - aus dem Mittel der Interpretation entsteht eines des Textherstellungsprozesses.

Die Gematria kommt da auch vor, in dem Kapitel "Von den Zahlbuchstaben" (CXLVII).

Die Kabbala wird in den nach Harsdörffer folgenden Poetiken nicht vergessen, sie wird immer wieder vorgestellt und die Hauptarten der Methoden erklärt:

Die eilfte Regel heisset also: So vielmahl man aus einem oder dem andern wichtigen Umstande / gleichsam per Cabalam qvandam, etwas kan heraus bringen / entweder indem ich einen iedweden Buchstaben eines Wortes nehme und ein ganzes Wort / welches sich von demselben anfängt / da vor hinsetze [=Notarikon, A.K]; oder wenn ich die Buchstaben mit Buchstaben theils wegen gewisser Zahlen / so darinne stecken [=Gematria, A.K.] / theils wegen sonst eine proportion, die sie unter einander haben / verwechsle [Temurah, A.K.] / und also ein ander gewisses Wort oder Verstand heraus bringe; so viel mal / sag' ich / dieses angehet / so viel neue Erfindungen und Materie hab' ich auch. Es ist dieses bey den Juden sehr gebräuchliche Arth / dass sie durch ihre Cabalam was heraus suchen.
(Rotth, Albrecht Christian: Vollständige Deutsche Poesie / in drey Theilen. Leipzig 1685, II, S. 39)

oder bei Neumark:

Die Hebräer haben in ihrer Cabala, welches eine Wissenschaft ist von den Geheimnissen / so theils in eintzelnen Buchstaben / theils in ganzen Worten besteht / [...] sehr seltsame Dinge durch die Wortforschung hervorgebracht / in dem sie einen jeden Buchstaben im Alphabeth eine Bedeutung zugelegt.

(Poetische Tafeln, S. 69)

Das Notarikon - z.B. die Frage: "Ob ein Buchstab einen ganzen Spruch oder Begriff einer Meinung fassen könne?" (Erquickstunden, S. 45) - führt uns schon zu der Kryptographie, der eigentlich die kabbalistischen Entzifferungstechniken sowieso nah stehen.

Die Beziehung der Poetiken und der Kryptographie muß aber in einer späteren Studie behandelt werden.

Forschungsliteratur

Sekundärlietratur

Abkürzungen der Bibliotheken

Fußnoten

[1] Aus den Anfangsbuchstaben ergibt sich ADAM - durch die Anwendung des Notarikon
[2] Er darf der auch von Harsdörffer erwähnte Johann Hornerus sein. (s. unten)
[3] "Der Traktat stammt wohl von Pieto Mainardi und wurde zuerst in Venedig 1518 veröffentlicht" SCHMIDT-BIGGEMANN, S. 159, Fußn. 8
[4] KILCHERS Fußn. Nr. 274: Alsted, Clavis artis lullianae, S. 21. vgl. auch SZENTPÉTERI, S. 33
[5] Kilchers Fußn. Nr. 275: [...] Ebd. [...]
[6] vgl: KILCHER , (S. 153f, bes.: Fußn. 222)
[7] Eine andere Art der Kabbalarezeption läßt Harsdörffer in dem schon erwähnten Gesprächspiel über die 'Lehrarten' kennenlernen: "Die Cabbalisten fangen ihre Lehrart von der Welt / welche sie von der Ertzbildung benamen / als da sind die Engel und himmlischen Geister / nach derselben setzen sie die Welt / welche durch des Menschen Verstand gefasset wird : und dann drittens die Elementarische Welt : Man könte es nennen die Geist= Vernunft= und Naturbildung. Etliche setzen es also: Gott / die Geister / den Menschen / die Element: Feuer / Luft / Wasser / Erden / den Tag / die Nacht und so fort an. Darzu setzen sie 50 Thor / und 32 Fakkeln / dardurch man kan erleuchtet werden : Aber hiervon mit umständen zu reden / ist gar zu weitlauffig." (Gesprächspiele CCII/12, S. 11)
[8] Es sind die Buchstaben nach der ersten Versetzungstabelle - in der die deutschen Buchstaben nach den hebräischen Alphabet geordenet sind - folgendermaßen vertauscht: was in der oberen Zeile steht, wird mit dem Buchstaben der unteren Zeile versetzt und was in der unteren Zeile steht, mit dem in der oberen.



[ címlap | impresszum | keresés | mutató | tartalom ]