PALIMPSZESZT
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Peter PLENER
»Ein Flüchtiges plaudern« auf Scholle und Asphalt -- Anmerkungen zu einem Thema österreichischer Literatur

Man kann einem wütenden Stier nicht auf diese Art entkommen, das weiß Peter. Er läuft nicht übermäßig schnell, aber seine Kraft ist unerschöpflich. Man muß das Herz haben, den Ansturm ruhig zu erwarten und blitzschnell auszuweichen. Oder man muß versuchen, einen Baum vor sich zu bringen, darin liegt eine ungewisse Möglichkeit, sich vor dem grausigen Schicksal des Zerstampftwerdens zu retten. Rinder töten nicht wie Raubtiere, schnell, aus Blutdurst. Sie sind Mörder ohne Scheu, aus nachhaltiger, blinder Wut, der Tod hält sie nicht auf. Sie ruhen erst, wenn ihr Opfer der Erde gleich geworden ist.[1]

Das Thema des Symposions hat scheinbar den berüchtigt-unerbittlichen Charme der Langeweile. Und wiewohl es scheinbar auch um anders gelagerte Inhalte als die mit allen bodenständigen Sinngehalten stilisierte und vermittels der Retardierung zur Beruhigungszone apostrophierte Heimat und deren kunstsinnige Produktion gehen hätte könnte, ließe sich doch dagegenhalten insofern, als daß ohne diese produzierten Bilder vieles an Österreichischem - und wohl auch Ungarischem - nicht verstehbar sein könnte. Beispielsweise, daß aus dieser - nicht nur hinsichtlich der Auflagenzahlen - weitaus erfolgreicheren Richtung die Polemik gegen die als ungesund und krankmachend verrufene Stadt kam, gegen die dazugehörige, sogenannte »Asphaltliteratur« (und vor allem auch gegen das projizierte Weltbild, welches sich darin spiegle). Daß aber gerade diese »antimoderne« Literatur ausschließlich >vom Land< kam, ist mitnichten wahr.

Eine Thematik, die sich mit »Heimat« beschäftigt, wird vorzugsweise am Land angesiedelt. Das hat viele gute Gründe - zumindest wenn es um's Sujet geht. Andererseits kann Heimat auch in der Stadt liegen und hat nicht notwendigerweise mit ausschließlich ruralen Gehalten den Definitionsbedarf der angeblich Zivilisationsmüden abzudecken. Somit ist die Bandbreite der möglichen Themen bei derart ambivalenten Vokabeln wie Heimat oder gar Identität eine fast unerschöpfliche.[2] Die primäre Assoziation wird aber vermutlich die zugleich problembelastetste sein: Denken ließe sich da an die wirksame Parallelaktion von politischer Agitation des Faschismus und der teilweise kongenial aufbereitenden (bzw. instrumentalisierbaren) Provinzliteratur.[3] In diesem Zusammenhang überrascht es kaum, daß diese selbsternannte antimoderne Richtung (gegen die Moderne) im Sinne der Reetablierung von als traditionell gekennzeichneten Mustern mit Mitteln der Moderne - rationalisierte literarische Verfahrensweisen wie Montage, Rezeptionslenkung, Marktbeobachtung, Werbestrategien etc. - gearbeitet hat.

Ernst Mach hat einen vergleichbaren Prozeß 1905 in seinem Werk »Erkenntnis und Irrtum« konstatiert: »Was uns insbesondere an den Menschen als frei, willkürlich, unberechenbar erscheint, schwebt nur wie ein leichter Schleier, wie ein Hauch, wie ein verhüllender Nebel über dem Automatischen.«[4]

Peter Rosegger, Karl Heinrich Waggerl, Paula Grogger, Josef Friedrich Perkonig waren und sind nur einige der bedeutendsten Vertreter der sogenannten »Provinzliteratur«[5] - und es gäbe viele weitere wichtige -, die oftmals gegen die »kraftlosen« Texte der urbanen Schriftsteller als Einwand zu fungieren hatten und in den Folgen aus dieser Dialektik von »Stadt« und »Land«, »Einöde« und »Welt«, »Heimat« und »Fremde« einige ihrer größten Wirkungsmomente erzielten. Diese gehen über sedierende Effekte und stramm stehende Verse hinaus.

So eignet sich beispielsweise Peter Rosegger bestens für umfassende Zitatensammlungen und die österreichischen Tabakwerke sprechen nicht, sie zitieren. In ihrem Auftrag wurde eine Unzahl an Werbeplakaten affichiert, die neben einem Porträt des 1938 wie 1993 intensiv Gefeierten ein Zitat desselben zur Kenntnis brachten: »Der Urwald ist auszurotten, aber das Tabakrauchen nimmer.« Darunter findet sich die Werbung für »Anatol«[sic!]-Virginierzigarren. Dieses Gesamtkunstwerk an product-placement steht unter dem nicht weiter störenden Motto: »Was Peter Rosegger noch zu sagen hat.«

Ähnlich gut verwertbar und zugleich ambivalent ist das Gesamtwerk Roseggers angelegt, bezieht man nur sein gesamtes Schaffen in eine solche Betrachtung mit ein. Zwischen den Polen von Harmonie und Gewalt, Idylle und Illusionsverlust, Waldheimat und Kampf bewegt sich das bis heute gerne zu den verschiedensten Anlässen herangezogene »Zitiermaterial«. Rosegger hat es den Beutegeiern auch nicht gerade schwer gemacht. Eine hinreichende Betrachtung kann nur darin bestehen, die jeweiligen Kontexte einzublenden, die Verfahrensweisen zu analysieren und die handelnden Personen von all den Gesichtspunkten aus scharf zu beleuchten, die ihre Erfolgsstory ausmachten und -machen. Um eine solche Erfolgsgeschichte zu schreiben, bedarf es zuvor einer Mobilisierung von vielen Leuten, mithin einer massenhaften Ansammlung von Rezipienten des anzubringenden Produkts bzw. einer bestimmten Botschaft.[6]

Es ist fast unerheblich zu wissen, ob überhaupt - und wenn ja, wo - das erwähnte Rosegger-Wort zu finden ist. Kaum wird es sich auf Anatol-Virginierzigarren bezogen haben, doch auch das ist egal. Denn die Affinität von Schnitzler zu Rosegger ging weiter, als sich ATW-Werber heute erwarten dürften. Allein an diesem Beispiel zeigt sich, wie sehr auch »Literaten des Asphalts« für diese »Literatur der Scholle« eingenommen waren. Mehrere Belege ließen sich anführen[7], u.a. ein notierter Traum:

»Träumte heut Nacht allerlei: Bergpartie mit meinem Bruder oder Sohn (die im Traum selten zu unterscheiden sind), Schafberg (welchen?) Hütte;- draußen eine Wiese, ein Bauernmädchen, bei der ich mich betreffs Roseggers Tod erkundige [...].«[8] Auf den Tag genau drei Monate zuvor war Rosegger gestorben. Angesichts der von Schnitzler mit akribischer Genauigkeit gepflegten Kunst der Aufladung von Journal-Tagen mit Bedeutung, des Festmachens von Knotenpunkten im Diarium (und damit Leben), kann von einem zufällig-traumhaften Vorkommen Roseggers nur bedingt gesprochen werden. Vielmehr ist anzunehmen, daß seine Aufnahme ins Journal eine (doppelte!) literarische Stilisierung bezeichnet. Die Ahnfrau des österreichischen Realismus wird hingegen sehr zu deren Nachteil mit Rosegger verglichen: »Über die Kunst der Ebner hatte ich mich zu O. sehr zweiflerisch geäußert - besonders im Gegensatz zu Rosegger; der mir in seiner dichterischen Bedeutung sehr aufgeht«.[9]

Die prinzipiell als wichtig angesehene Behandlung der Natur und die Hoffnung auf ein dort zu findendes Refugium verbinden in den Anfängen heterogene Produktionsansätze, wiewohl die Verfahrensweisen natürlich höchst verschieden zu bewerten sind. Gemeinsam ist den Produktionen seit (und schon vor) dem Ende des 19. Jahrhunderts die Kritik am Zivilisationsprozeß, ein zu dieser Zeit überaus virulentes und vielschichtiges Thema, das sich in einer signifikant hohen Zahl an Varianten wiederfindet.

Die Wiener Städtischen Rückversicherungen auf Rosegger waren vielfältig, ein weiteres Beispiel bietet der professionelle Überwinder Hermann Bahr[10], der natürlich auch vor Rosegger nicht halt machte. Mit seinem Artikel Die Entdeckung der Provinz[11] übernimmt Bahr nicht nur teilweise den Titel eines Rosegger-Aufsatzes[12] und diesbezügliche inhaltliche Ansprüche, sowie explizit ausgeführte Zitate als Berufungsgrundlage gleich mit. Er versucht auch ein Signal zu setzen, einen Brückenkopf[13] zu lancieren. Bereits die Eliminierung des Roseggerschen Untertitels (»Ein flüchtiges Plaudern«)[14] läßt auf eine beabsichtigte Verstärkung des definitven Charakters des Aufsatzes schließen, ist als Abwendung vom als impressionistisch verrufenen Moment zu werten. Und so wie mein eigener Titel den postmodernen Beliebigkeitsjargon aufzugreifen scheint, war Bahr die Roseggersche Untertitelung schlicht zu dekonstruktivistisch.

Sein Artikel stellt auch eine Art »Brücke« dar zwischen der Bahrschen Relegation von der Universität Wien[15] und dem späteren Abdriften in Richtung eines reaktionär-katholischen Argumentierens. Zu den angeblich mit stürmischer Verve vorgetragenen Forderungen der Provinzliteraten nach einer eigenständigen Spielart und den Mitteln dazu, meint Bahr in einer Wendung gegen die Literatur aus »der großen Stadt«, hinsichtlich der er sich aber - entgegen dem ersten Anschein folgenden Zitats - als nicht ausschließlich zugehörig deklariert:

Wie sollen wir uns nun zu ihren Forderungen verhalten, wir in der großen Stadt? Ich denke, wir werden ihnen zustimmen dürfen. Einmal, weil wir ja in der Tat von einer österreichischen Literatur doch so lange nicht reden können, als immer nur Wiener Gestalten gezeigt, Wiener Fragen gestellt, Wiener Stimmungen gegeben werden. Aber auch, weil es uns selbst, denke ich, gut tun wird, Rivalen auf den Fersen zu spüren; dann blicken wir vielleicht doch einmal von unserer Manier auf, die schon fast zur leeren Routine wird. Und endlich, weil es ja nicht mehr geht, daß wir uns ewig nur im alten Kreise derselben Stoffe, derselben Töne drehen. Muß man sich denn nicht wundern, was die Autoren des »jungen Wien« alles liegenlassen, das doch der größten Wirkungen sicher wäre?[16]

Bahr beschließt schließlich seinen Aufsatz mit einer letzten Wendung gegen die Stadt, welche er in der Folge seiner textuellen Produktion in noch weit schärferem Ausmaß anprangern wird. Dabei solidarisiert er sich unaufgefordert mit den Schriftstellern, die auf dem Lande sitzen und erdige Prosa verfassen würden - d.h. er vereinnahmt Rosegger & Co. - und führt so einen Zirkelschluß insofern ein, als - wie unmittelbar darauf zu lesen - mit dem Personalpronomen »unser« die Bekehrung zur >Scholle< seinerseits als notwendig und vollzogen dargestellt wird. Gleichzeitig erfolgt an die >Schriftsteller der Stadt< die Aufforderung - mit dem Personalpronomen »wir« - es ihm gleichzutun: »Es ist unser fester Glaube, daß wir den Zirkel der paar Literaten und Dilettanten verlassen und ins weite Land zum Volke gehen müssen, wenn sich der große Traum einer neuen österreichischen Kunst erfüllen soll.«[17]

Und insofern ist diese Äußerung für Bahr Programm, als er tatsächlich in seinen späteren Schriften sich nachhaltig als einer Literatur zugehörig erweist, die mit der Rede von der Pathogenese der Bildung operiert und dagegen die Bewahrung des - vorsorglich mit positiven Adjektiva versehenen - Gutes/Guten in der Provinz ortet.[18]

Peter Rosegger, der stilisierte und sich selbst stilisiert habende Waldbauernbub par excellence, wandte Techniken und poetische Mittel bei der Produktion seiner Texte an, die zum einen den Verfahrensweisen entsprechen, die in der Nachfolge des Realismus angewandt wurden, andererseits ein gutes Bild von den diesbezüglichen Rezeptionsmechanismen abgeben, die hervorragend funktionierten.[19]

Er hat in seinem Werk erfolgreiche Mythen der Regression geschaffen, die zu seiner Zeit als überzeugende Gegenbilder zum unübersichtlich gewordenen Fortschritt und der Entfesselung seiner Destruktivkräfte gelesen wurden. Dem Wunsch nach Gegenwelten (erinnerte Kindheitswelt, bäuerlich-ländliche Natur) entsprechen die Topoi seiner kulturkritischen Publizistik, die sich der Radikalisierung des politischen Alltags (Antisemitismus, Nationalitätenstreit) nicht entziehen kann. [...] Die Krisen der Modernisierung machen die literarische Konservierung des Zurückgebliebenen zu Roseggers poetischem Hauptgeschäft [...]. Roseggers Apologie des bäuerlichen Konservativismus exponiert nicht nur überzeugend die Verwüstungen des Fortschritts, sondern instrumentalisiert ihn auch [...] für einen machtpolitischen Konservativismus, der technisch-industriellen Fortschritt stillschweigend voraussetzt und mit rückwärtsgewandten Gesellschaftsentwürfen verknüpft. Im Ersten Weltkrieg werden die Aporien dieser Position offenkundig und potenziert: Harmonie und Gewalt, Idylle und Kampf bleiben auf lange Sicht verhängnisvoll synchronisiert.[20]

Die Verwischungen sind, letztlich nicht paradoxerweise, so mehrfach, daß fallweise und dann immer öfter vorgebliche Homogenisierungen real möglich werden.[21] Die präsumptiven Folgen waren in ihren vollen Konsequenzen nur wenigen wirklich bewußt. Ein präziser Analytiker wie Robert Musil, der in den Tagebüchern bereits sehr früh Analysen des politischen Tagesgeschehens einfügte, verdeutlichte (im Mann ohne Eigenschaften) mit der notwendigen Ironie und Dar- wie Zusammenstellung heterogener Elemente, inwiefern diese sich zu einer einheitlichen Sinnstiftungsebene gerieren ließen:

Dort, in Kakanien, diesem seither untergegangenen, unverstandenen Staat, der in so vielem ohne Anerkennung vorbildlich gewesen ist, gab es auch Tempo, aber nicht zuviel Tempo. So oft man in der Fremde an dieses Land dachte, schwebte vor den Augen die Erinnerung an die weißen, breiten, wohlhabenden Straßen aus der Zeit der Fußmärsche und Extraposten, die es nach allen Richtungen wie Flüsse der Ordnung, wie Bänder aus hellem Soldatenzwillich durchzogen und die Länder mit dem papierweißen Arm der Verwaltung umschlangen. Und was für Länder! Gletscher und Meer, Karst und böhmische Kornfelder gab es dort, Nächte an der Adria, zirpend von Grillenunruhe, und slowakische Dörfer, wo der Rauch aus den Kaminen wie aus aufgestülpten Nasenlöchern stieg und das Dorf zwischen zwei kleinen Hügeln kauerte, als hätte die Erde ein wenig die Lippen geöffnet, um ihr Kind dazwischen zu wärmen. Natürlich rollten auf diesen Straßen auch Automobile; aber nicht zuviel Automobile![22]

Dabei wurden die Kontraste auch ästhetisch und somit zwangsläufig erbittert unter den Autoren ausgetragen. Arthur Schnitzler beispielsweise predigte mit quasi apotropäischem Gestus gegen die mit Absicht in eine spezifische Richtung des öffentlichen Lebens zielenden Texturen: »Im Kunstwerk, das aus einer inneren Notwendigkeit heraus geschaffen wurde, glüht ohne Unterlaß sonnenhaft die Idee wie ein leuchtend gewordenes Herz; das Machwerk, und wäre es vom höchsten technischen Range, trägt die Idee vor sich her wie ein flackerndes Lämpchen, und es ist meist erloschen, lang vor erreichtem Ziel.«[23] Diese Rede vom und gegen den >Tendenztext<, dem ausschließlich eindimensional intendierten Text, ist parallel gelagert einer Wendung gegen die Vereinnahmung von (der Literaturproduktion der Stadt mehrheitlich vorenthaltenen - weil zu ruralen -) Themen, Sinngehalten und Verfahrensweisen der gegensteuernden Produktionsweisen der sogenannten »Provinz«. Zugleich ist es ein Kommentar gegen allfällige Simplifizierungen, der wenig von seiner Aktualität eingebüßt haben dürfte: »Man kann [...] sagen, daß eine dichterische Gestalt ohne den sogenannten Erdgeruch überhaupt ein Unding ist. Und mit zum Kapitel der neuesten Begriffsverwirrungen gehört es, Bodenständigkeit und Erdgeruch heute hauptsächlich nur solchen Werken zuzusprechen, die in bäuerischen oder ländlichen Kreisen spielen.«[24]

Mit einer Umkehrung der Krankheitsmetaphorik ließe sich darauf hinweisen, daß nicht umsonst die Vielfalt der - vor allem urbanen - literarischen Tendenzen und Strukturen öfters mit einer Art »Rhizom« verglichen wurde.[25] Mit dieser Dialektik gilt es zurande zu kommen.

Ernst Bloch zeigte die Problematik der dialektischen, mit der Behaglichkeit und den utopischen Korrelaten operierenden Gemütlichkeit auf. Die Polarisierung von modernistischer Kälte (und konstruierender Produktionsweise) sowie dem auf »Blut und Boden« fundierten Gegenentwurf muß - kraft ebensolcher Mobilisierungsstrategien - eindeutig zugunsten des letzteren ausfallen, da andersherum die Wendung nicht funktionieren könne. Das korrigierende Potential des Arkadischen ließe sich nur mit dem von Schnitzler erwähnten »Erdgeruch« einsetzen, den dieser eben nicht allein den ländlichen Arealen und der darauf hingeschriebenen bzw. mitunter auch diesen entstammenden Literatur zugestehen möchte. Beide, Schnitzler wie später Bloch (und natürlich noch andere), argumentieren gegen die Umdeutung des arkadischen Potentials allein zum Zwecke ruraler Sinnstiftungen. Allerdings verkennt Bloch - wie auch Schnitzler - nicht die in den >erdigen< und anti-modernen Texten vermittelte Verführung durch das sog. >Echte< und er übersieht andererseits auch nicht die prekäre Struktur abgehobener und mehr oder weniger ebenfalls ausschließlich ins Einmalige tendierender Texte >der anderen Seite<, welche in ihrer bisweilen massiven Apodiktik keineswegs als ideale Gegenbilder zur Anti-Moderne gesehen werden können, sondern mitunter vielmehr gerade deren Geist verpflichtet scheinen:

Arkadisches ist im Original kein Spießerglück, und am schändlichsten war seine Deutung auf »Blut und Boden«; nur so aber stünde es in Alternative zur Konstruktion, vielmehr zu der anderen Verkommenheit, die den Geist eines Weltumbaus gänzlich in Hohlheit, Kälte, Künstlichkeit setzt. Statt dessen ist das Arkadische, wie bemerkt, ein Korrektiv, mit selber denkendem Vergißmeinnicht dazu; das genau im Plus ultra des Umbaus, des blauen Reiters ins Blaue, Konstitutiv-Arkadisches gilt nicht geringer auch als Korrektiv gegen allzu planende und verheizende Sozialutopie, die wirklich zum Bau gekommen ist.[26]

Hugo von Hofmannsthal (der durfte nicht fehlen) hingegen war sich weder der einen noch der anderen Möglichkeit gewiß, zumindest in seinem sog. Chandos-Brief bleibt von derartig markigen Gewißheiten ohnehin scheinbar wenig über, gleichwohl eine Krise diagnostiziert wird. Hier sei aber lediglich der Verweis auf die Decouvrierung des von Bahr gepriesenen Heilspotentials für die Literatur angebracht, denn in dem Text gilt es auch noch, die nicht nur von letzterem verkündete Alternative einer gegenläufigen Gedankenabfuhr als ausschließliche Sicherheit in ihrer Unsinnigkeit zu enthüllen.

[I]n aller Natur fühlte ich mich selber; wenn ich auf meiner Jagdhütte die schäumende laue Milch in mich hineintrank, die ein struppiges Mensch einer schönen, sanftäugigen Kuh aus dem Euter in einen Holzeimer niedermolk, so war mir das nichts anderes, als wenn ich, in der dem Fenster eingebauten Bank meines studio sitzend, aus einem Folianten süße und schäumende Nahrung des Geistes in mich sog; das eine war wie das andere; keines gab dem anderen weder an traumhafter überirdischer Natur, noch an leiblicher Gewalt nach [...].[27]

Die Möglichkeit einer Alpenidylle scheint somit der Figur »Chandos« bzw. dem angeblichen lyrischen Ich ebenso unbedeutend bzw. gleichbedeutend wie die als einer Pathogenese förderliche und primär wegen der Herausbildung rationaler Denkmuster verschrieene Studierhaltung, die Aneigung von Bildungsgut. Eine ähnliche Diagnose - allerdings unter Zuhilfenahme theoretischer Mittel zum Zwecke der Analyse dieser Zustandsbefindlichkeit - findet sich beispielsweise lediglich ein Jahr später in einem Aufsatz Georg Simmels dargestellt, der einen Teil seiner Theorie von der Nivellierung in den Großstädten transportiert.[28]

Die Distanz, welche in den Großstädten entsteht, erläutert Simmel anhand der Ferne, in der - laut seiner These - jedes Kunstwerk zur Unmittelbarkeit der Dinge steht. Diese Auffassung der Distanz wiederum korreliert mit der bereits angesprochenen Begrifflichkeit Benjamins von der Aura[29] insofern, als Käuflichkeit, Austauschbarkeit bei Simmel einen teilweise sehr ähnlichen argumentativen Status zugebilligt bekommen wie die Reproduzierbarkeit bei Benjamin.

Simmels Theorie zufolge wird unter anderem die vorgebliche Distanz von Stadt und Land im Rahmen einer Entwicklung der Zivilisation hin zur Moderne für das Ich aufgehoben. Diese Konsequenzen wie auch die Problematik der zunehmenden Inkompatibilität der Sprache sind auch Produkte der beschleunigten Rhythmen des geistigen wie sozialen wie ökonomischen Lebens infolge von deren und anderer Umwälzungen; aus der Erkenntnis heraus, diese Geschwindigkeitsumstellung nicht mehr vollständig erfassen und somit auch denken zu können, entstehen durch diese und andere paradigmatische Wechsel u.a. auch die Vorlieben für historistische Bezüglichkeiten, die blitzlichtartige Erfassungsweise des Impressionismus, die kleinen Formen und kurzen Skizzen.

Die oben erwähnte Bahrsche Position ist auch vor dem Hintergrund entsprechend radikalerer Verdikte gegen die Stadt zu sehen und die Schnitzlerschen Reden zur Echtheit der Kunst finden ein (wenn auch nicht geistig gleichartig gewirktes, so doch) zumindest semantisches Pendant in einem berüchtigten Manifest des 19. Jahrhunderts, in Julius Langbehns anonym erschienenem Traktat Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen.

Das heutige Kunstgewerbe hat, auf seiner stilistischen Hetzjagd, alle Zeiten und Völker durchprobirt und ist trotzdem oder gerade deshalb nicht zu einem eigenen Stil gelangt. Ohne Frage spricht sich in allem diesem der demokratisirende nivellirende atomisirende Geist des jetzigen Jahrhunderts aus. Zudem ist die gesamte Bildung der Gegenwart eine historische alexandrinische rückwärts gewandte; sie richtet ihr Absehen weit weniger darauf, neue Werthe zu schaffen, als alte Werthe zu registriren. Und damit ist überhaupt die schwache Seite unserer modernen Zeitbildung getroffen; sie ist wissenschaftlich und will wissenschaftlich sein; aber je wissenschaftlicher sie wird, desto unschöpferischer wird sie.[30]

»Heutiges Kunstgewerbe« (der anti-merkantilistische Vorwurf ist eindeutig, was den Propagandastrukturen der Heimatkunst-Bewegung entspricht, die sich selbst diametral zu diesen Regeln und Anwürfen verhält); »stilistische Hetzjagd« (Unsicherheit wird suggeriert, weil ein fester Halt fehlen und damit die Inauthentizität bzw. >Unechtheit< zwangsläufig impliziert würde); Demokratie wird mit Adjektiva wie »nivellirend« und »atomisirend« in einen Konnex gebracht und somit - kraft der zugeschriebenen >Eigenschaften< - dahingehend behandelt; letztlich der Anwurf gegen Wissenschaftlichkeit, die als Bedrohung erscheinen muß (in zweifacher Hinsicht) und deren Leistung keine schöpferische sein könne - von Kraftlosigkeit ist hier nicht mehr notwendigerweise die Rede, die diesbezüglichen Rezeptionsmechanismen griffen hinsichtlich dieser pejorativen Kategorie ohnehin bereits instinktiv (automatisch). Die Dialektik des Realismus, bzw. die Umkehrung des Realismus mit seinen eigenen Mitteln (im Sinne einer unter anderen Vorzeichen als noch 30 Jahre davor intendierten Rezeption), griff voll.

»Natur« wird als absolute Größe über allen anderen Lizenzen bereits vorausgesetzt, muß also bereits über eine - hinsichtlich dieses Textes externe - feste Legitimationsgrundlage verfügen. Die sich aus dem Darwinismus (mehr oder weniger entgegen Darwinscher Absichten) sich entwickelt habenden Strömungen des Sozialdarwinismus und eines - auf der Grundlage von Abstammung und Blut - postulierten »Aristokratismus« sind Signalworte für eine Umstrukturierungsavance, deren Ziele mit >Volksgemeinschaft<, >Familie< und >Bauerntum< nur ungenau umschrieben werden. Ausgehend von einem - euphemistisch formuliert - windigen Interpretationsansatz, ausgehend von und unter Berufung auf Bibelzitate, wird ein Prinzip des Stärkeren formuliert, welches als zum einen auf den »einfachsten Erfahrungen des täglichen Lebens«, andererseits auf »den letzten Ergebnissen der Wissenschaft« (die Vereinnahmung funktioniert über Behauptungen jenseits der Nachweisebene, aber diesseits der marginalen Grundelemente der Bildung) beruhend dargestellt wird. Das »Naturreich« mit seinem postulierten (sozialdarwinistisch nützlichen) »Survival of the Fittest«, das mit seinen für eine sozialdarwinistische Romantik reichen Potentialen und Berufungsgrundlagen gegen die (nach positivistischen Überlegungen seitens der Wissenschaften) als disqualifiziert apostrophierte Natur des Hörsaals antritt, soll als Gegenkategorie zur vorherrschenden Unsicherheit approbiert werden, kraft des ihm zugeschriebenen Aristokratismus, welcher mit Schwachheit nichts zu tun haben kann (»Es ist die Macht des Blutes, um welche es sich in allen diesen Verhältnissen handelt.«), zufolge seiner naturgesetzlich bedingten Notwendigkeiten.[31]

Das Bauerntum wird als dabei jene Kraft apostrophiert, die noch einen Zusammenhalt gewährleisten könne in einer Welt und somit gegen diese zu bestehen vermöge, deren Abläufe als zu fließend und nicht begründbar dargestellt werden. Quasi die »Kraft der Scholle« soll als die Alternative zum »Unverwurzelten« eingesetzt werden; der von ihr mit »Naturrecht« ausgestattete und mit dem Mittel des »Heimathsgeistes« transportierte Aristokratismus ist die zum zwingenden Prinzip erhobene Schlußfolgerung. Als vermittelnde Instanz für die erwünschte Einheit von Geist und Körper wird das bäuerliche Leitbild zum führenden Wegweiser für den Zusammenhalt annonciert. Nebenbei läßt sich auch noch der traditionelle triadische ordo-Gedanke - in leicht abgeänderter personeller Zusammensetzung - reetablieren, wonach Monarch, Künstler und Bauer eine Einheit für sich seien, die über allem stünde. Die Verbindung dieser übergeordneten Trias der Gewalten ist der »Heimathsgeist«, mittels welchem eine Symbiose einzugehen »das Ideal« darstellen würde und mittels welchem die jeglichem Anlaß entsprechende Legitimation präfabriziert ist.[32]

Berücksichtigt man das legendär gewordene Verdikt von György Lukács, wonach »die Form des Romans, wie keine andere, ein Ausdruck der transzendentalen Obdachlosigkeit [ist]«,[33] begibt man sich unweigerlich auf die Suche nach den in der Provinzliteratur angelegten Strukturen und Verfahrensweisen und nach den Formen der Rezeption, die einerseits aufgebaut wurden, um diesen Rückhalt - bei aller Brüchigkeit - zu transportieren und die andererseits dazu angetan waren, diese Sinngehalte entsprechend aufzunehmen. Die Besonderheit besteht dabei darin, daß bald jeglicher Zweifel an der Möglichkeit der Erfüllung eines Ideals (gemeint ist: dieses Ideals) schlicht als >krank< abgetan werden kann. Daraus ergibt sich für die bestehenden Verhältnisse ein bestimmter Handlungsbedarf bzw. die Aufgabe und Notwendigkeit einer Gesinnungsänderung: Die Verabschiedung des Individuellen (»Menschenrechte«) zugunsten des Allgemeinen (»Volksrechte«) wird als Auftrag propagiert; das wesentlichste Grundrecht, welches sich aus diesem vorgeblichen Befriedigungsversuch der Massen ableiten lasse, wäre das auf die einheimische Kunst (was immer darunter figurieren soll), gepaart mit einem einheimischen Geistesleben.[34] Die völlige Durchdringung des »Volkskörpers« wird vermittels Wortwahl, Syntaxstruktur und Gemination (eines der wesentlichen Strukturprinzipien der Heimatkunst-Bewegung, da sich über diese Darstellungsform ein fester Wille und unverrückbare Grundsätze problemlos, mit geringstem Aufwand und um so wirkungsvoller signalisieren lassen) deutlich eingefordert, das Nichteinheimische weiter undefiniert gehalten und gemeinsam mit der individualistischen Ausrichtung ausgegrenzt. Ausgrenzung beginnt bereits bei der Kunst:

Was ist Wahrheit? hat man oft genug auch in der Kunst gefragt und oft genug auch hier den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Wahr ist, wer wahrt. Der Künstler hat seine Persönlichkeit zu wahren; durch sie wird er schöpferisch; und desto mehr, je mehr er sie wahrt - gegenüber allen äußeren Ansprüchen von Tradition Markt Mode Theorie, eigener Schwäche und fremder Anmaßung. Wahr ist, was währt.[35]

Die Alliteration sichert hier die Aufmerksamkeit für die Signalworte und deren Koppelung. Transportiert wird die Relevanz des »Echten«, welches - abgesichert durch Tradition - es weiter zu bewahren gilt. Tradition, Markt, Theorie, Mode, Schwäche und Außenseitertum, Wissenschaft und hier insbesondere der als entromantisierend gedachte, und tatsächlich als zerstörerisch geltende und auf diesen Fundamenten benannte Positivismus, werden in eins gesetzt und als äußere Anmaßung verurteilt, welche vor allem die Grundlagen der Wahrheit gefährden würde. Die Semantik erinnert an Thomas Manns »unpolitisches« Diktum, wonach sein (u.a. mit Nietzsche aufmunitionierter und nicht unbedingt zum engeren Kreis der Heimatliteratur zu zählender) Roman Buddenbrooks »geworden, nicht gemacht, gewachsen, nicht geformt und eben dadurch unübersetzbar deutsch [ist]. Eben dadurch hat [der Roman] die organische Fülle, die das typisch französische Buch nicht hat.« Die Sublimierung von Verlustgefühlen in einer Moderne, an der man zugleich antizipieren möchte, findet als vorläufigen Bezugspunkt die Verlustanzeige (die sich gegen das Außen richtet) und zieht sich als quasi ideellle Grundstruktur durch ungezählte Texte des Genres (Heimatkunst, Provinzliteratur). Was nicht heißt, daß die entsprechenden Texte ausschließlich aus einem Kalkül für den Markt entstanden wären.

Im Mittelpunkt von Uwe K. Ketelsens Interesse (und seiner wesentlichen Studie zur Literatur der 30er und 40er Jahre) steht demzufolge unter anderem die »Nichtidentität zwischen den fingierten literarischen Welten und der historischen Realität«:[36]

Das zieht eine doppelte Blickrichtung nach sich: gerade in der Differenz zwischen der Realität und den Texten siedelt sich der ideologische Charakter dieser Literatur an, und besonders an der literarischen Struktur der Texte (etwa an der Behandlung des Erzählerproblems im Roman) läßt sich die Bedeutung dieser Literatur ablesen, weil (auch) auf dieser Ebene die Steuerung von Wahrnehmung und Bewußtsein organisiert wird. [-] Der traditionell idealistischen Kunstdoktrin des 19. Jahrhunderts folgend, schrieben viele dieser Autoren der Kunst das zu, was nach ihrem Empfinden der modernen >Realität< gerade abging. Für sie sollte »wahre Kunst« in erster Linie das in der Realität Abwesende imaginär vergegenwärtigen.[37]

Die traditionelle Heimatliteratur, die vor allem in der Zeit zwischen 1880 und 1930 eine Blüte erlebte, ließ sich dabei aufgrund ihrer Affinitäten zu völkischen Idealen in der Folgezeit bis 1945 (und teilweise darüber hinaus) nur allzuleicht instrumentalisieren. Idealisierte Beschreibung ländlicher Räume, traditionelle moralische Werte, Intellektfeindlichkeit, nicht hinterfragte Ordnungsmuster, Glorifizierung bäuerlicher Lebensweise, poetologische Vereinfachungsstrategien, zyklische Zeitabläufe und patriarchalische Familienstrukturen erbrachten wesentliche Momente einer spezifischen Rezeptionssituation.

Heimatthematik wurde nach 1945 in Österreich von der >anderen Seite< her anders intoniert, auf ein >Dreigestirn< wie Paula Grogger, Friedrich Perkonig und Karl Heinrich Waggerl (dessen allweihnachtliche Präsenz in österreichischen Stereoboxen - in Union mit Carl Orff - ungebrochen sein dürfte; allerdings könnte die Bedrohung des heimatlichen wie identitätsstiftenden Weihnachtsfriedens, durch intergalaktische Kampftruppen und eine unsichere Zukunft der Heimat im All - »lost in space« -, seit der Kindheit des Verfassers zugenommen haben) folgten Hans Lebert, Gerhard Fritsch und Thomas Bernhard. Anfang der 60er Jahre entstand eine Literatur, die scheinbar mit Desideraten operierte, die doch nur, und das zeigte diese Literatur deutlich, weithin gültige Substrate österreichischen Selbstverständnisses waren. Die »Heimatluft« verbarg immer deutlicher

[...] nun in der wirklichen, in der bebaubaren Erde ein Aas, gut vergraben und auch gut vergessen, doch gerade weil man es so gut vergraben und vergessen hat, hält es sich und stinkt mit jedem Tage ärger. Man riecht es nicht. Aber man atmet es ein und haucht es seinem Nächsten wieder ins Gesicht; man hat den Mund, man hat die Lungen voll davon und bekommt es langsam in den Blutkreislauf. Gott sei Dank! Wir sind gefeit, wir sind immun. Wir sind an unser Klima schon gewöhnt. Wir sagen nur »Heimatluft« und zwinkern uns zu und werden niemals etwa Übles riechen.[38]

In dieser Literatur werden immer wieder die alten Biologismen durch die neuen konterkariert, von diesen in einer nicht mehr vereinnehmbaren Weise abgelöst.[39] Insbesondere bei Fritsch und Lebert werden Anfang der 60er die Grundlagen quasi >er- bzw. aufgearbeitet<, Jelinek setzt dagegen 1995 diese schon voraus. Dadurch hat ihr Text scheinbar etwas weniger Grund - wenngleich er aus dem spezifischen Kontext der österreichischen Geschehnisse, gerade auch der Entstehungszeit des Romans, heraus zu verstehen ist und dadurch (abgesehen von der sprachlichen Leistung) seine Qualitäten gewinnt. Die ästhetische Qualität dieser Texte (insbesondere ihrer Konstruktion und ihres spezifischen Spracheinsatzes) ist zumeist auch darin zu suchen, daß alle Texte eine Form von unheilbarem Rhizom einsetzen - was insbesondere bei Lebert und Jelinek unverkennbar, bei Fritsch vor allem durch die genuine Boshaftigkeit der Einwohnerschaft (Szenerien im Heimatkundemuseum!) offensichtlich gemacht ist. Sicherheiten werden derart aufgelöst, klare Trennungen im Sinne der oben erwähnten Dichotomien gibt es eigentlich nicht: alles ist desolat, beschmutzt, in irgendeiner Form »krank«, gebrechlich, verkommen, verbrecherisch.

Hier liegt der zweite Knackpunkt für die Ästhetik dieser Texte: sie wahren allesamt die Balance bei diesem Thema - einerseits wird es verstanden, die faschistischen bzw. völkischen Ideale zu entlarven, andererseits verfallen sie nicht in ein problematisches Vokabular, eine ambivalente Terminologie. Ihre Texte sind für dialektische Beweisführungen der Gegenseite nicht zu verwenden, zu durchdringend sind Verwesung und Ambivalenzen (wann sonst können Ambivalenzen als >durchdringend< bezeichnet werden?)

Zunehmend widmeten sich österreichische Autoren (vor allem diejenigen, die sich durch die diese früheren thematischen Adaptionen begleitenden Umstände bedrängt fühl[t]en) in dieser oder einer anderen Weise dem Thema, es drängt sich der Verdacht auf, daß geradezu vom Paradethema einer österreichischen Literatur der letzten 100 Jahre (zumindest aber seit 1945[40]) zu sprechen wäre, dessen populärste Ahnherren Peter Rosegger und Ludwig Anzengruber zu sein scheinen.

Reinhard P. Gruber dreht den Spieß nur scheinbar um und seine dramatische Steirerfigur Hödlmoser treibt diesen im Rahmen allfälliger Konfrontationen in die diversen anwesenden Wänste. Die Selbstdefinition Hödlmosers konveniert dabei mit dem von Gruber montierten »kurzexcurs« über die »steirische heimatliebe«.

wie kein anderes volk liebt das steierervolk seine heimat. es lebt seine heimat.

es identifiziert sich mit ihr. es ist SELBST die steiermark.

der bach, der stein, das feld, der fluß, der berg, der wald, die ALPEN, die bäume, der wein, der most, das bier, das obst, das gebirge, die höhlen, der boden, das dorf, die stadt, der busch, die vögel, das tier, der steierer, die kleidung, das eigenartige leben - und die inbrünstige beziehung aller untereinander:

DAS IST DAS STEIRERVOLK.

der steirer, der seine heimat liebt - und es gibt keinen anderen, so sind wir eben - liebt sich selbst, weil er selbst die steiermark ist. daher diese brunst.[41]

Der Hang zur Orgiastik ist zwar dem heimatverbundenen Steirer scheint's ein besonderes Anliegen, Gruber vermittelt diesen Befund auch in Heimatlos. Eine steirische Wirtshausoper in einem Rausch eingehend (es scheint das Los der Heimat zu sein, daß sie nicht bei sich ist). Identitäten gehen dabei entweder in stakkatoartiger Folge zu Bruch oder werden kraft konsequenter Anwendung zu Auslösern dieser Brüche anderer. Die steirische Heimat wird aber aufgrund der Durchkapitalisierung vormals ausschließlich ruraler Bereiche als umfunktionalisiert dargestellt, zunächst gehen Sicherheiten verloren. Aus der entstehenden Nullstelle, dem Gruberschen Desiderat, ergibt sich die Dringlichkeit eines anderen Ansatzes, und

Heimat ist Sicherheit, sage ich. In der Heimat beherrschen wir souverän die Dialektik von Kennen-Erkennen, von Trauen-Vertrauen: Da wir sie kennen, erkennen wir sie und getrauen uns zu sprechen und zu handeln, weil wir in unsere Kenntnis-Erkenntnis begründetes Vertrauen haben dürfen.[42]

Da es sich dabei jedoch um eine individuelle Kenntnis-Erkenntnis handelt, kann daraus kaum eine objektivierbare Angelegenheit werden. Lediglich der Mangel an Heimat ist prinzipiell eine problematische Größe - daraus ergibt sich aber noch kein allgemein anwendbarer Begriff von Heimat.

Es läßt sich, was der Mensch an Heimat nötig hat, nicht quantifizieren. Und doch ist man gerade in diesen Tagen, da die Heimat an Reputation verliert [Der Text entstand Mitte der 60er Jahre; Anm.], stark versucht, die bloß rhetorische Frage [Wieviel Heimat braucht der Mensch?; Anm.] zu beantworten und zu sagen: Er braucht viel Heimat, mehr jedenfalls, als eine Welt von Beheimateten, deren ganzer Stolz ein kosmopolitischer Ferienspaß ist, sich träumen läßt. Man muß sich wehren gegen unstatthafte Gefühlssteigerung, die einen aus der Überlegungsspähre hinaus ins Sentimentalische reißen würde. Nietzsche ist da mit seinen schreienden, schwirren Flugs zur Stadt ziehenden Krähen und dem Winterschnee, der dem Vereinsamten droht. Weh' dem, der keine Heimat hat, heißt es im Gedicht. Man mag nicht exaltiert erscheinen und verdrängt die lyrischen Anklänge. Was bleibt, ist die nüchternste Feststellung: Es ist nicht gut, keine Heimat zu haben.[43]

Umso schwieriger scheint es (wieder einmal), abseits pathetischer Trivialität, noch einen gültigen Heimatbegriff zu finden (die Frage, ob Heimat überhaupt notwendig sei, konnte sich für den exilierten Améry nicht stellen[44], »Heimat ist, reduziert auf den positiv-psychologischen Grundgehalt des Begriffs, Sicherheit[45]); Gert Jonke behilft sich mit Bloch (und Améry mit Nietzscheschen Dithyramben und überhaupt scheint der intellektuelle Verweis in diesen Debatten eine wesentliche Komponente abzugeben): »>Heimat ist, wo noch niemand war<, sagt Bloch. Das ist mir die liebste Quintessenz zu diesem Thema«[46], sagt Jonke. Sein Pessimismus (zunächst ein scheinbarer, dann ein tatsächlicher, kombiniert mit der Hoffnung, daß Schlimmeres verhütet werden könnte) gründet auf dem Blochschen Schluß in dessen Prinzip Hoffnung. Die Tendenz Blochs ist ein direkterer Optimismus, heißt es bei ihm doch: »Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in der Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.«[47] Jean Améry floh, sah und beantwortete diese Frage sehr ähnlich, auch er siedelte den ursprünglichsten Heimatkontext gerade dort an:

Daß rückschrittliche Bärenhäuterei den Heimatkomplex besetzt hat, verpflichtet uns nicht, ihn zu ignorieren. Darum nochmals in aller Deutlichkeit: Es gibt keine »neue Heimat«. Die Heimat ist das Kindheits- und Jugendland. Wer sie verloren hat, bleibt ein Verlorener, und habe er es auch gelernt, in der Fremde nicht mehr wie betrunken umherzutaumeln, sondern mit einiger Furchtlosigkeit den Fuß auf den Boden zu setzen.[48]

Eine unbeschwert sentimentalische Rückfahrt gilt als zunehmend unmöglich und Heimat wird nunmehr vermessen, der Geometrische Heimatroman Gert Jonkes (und in gewisser Hinsicht auch der quadratroman Friedrich Achleitners) legt ein das Bild der Oberfläche ergebendes Gebilde über einen nach allgemeiner Übereinkunft die Realität darstellenden (somit ebenfalls zu konstituierenden) optisch-naturalistischen Abguß, der seinerseits inmitten der Strukturen aufgeht, die ihm verpaßt werden. Ganz in Gegensatz zu diesen Unternehmungen steht das Unterfangen, das Borges in seiner Geschichte Von der Strenge der Wissenschaft schildert (und das Jonke in seinem letzten Buch zitiert), nämlich der Versuch von Kartographen, die genaueste Landkarte eines Reiches zu erstellen. Das Unternehmen gipfelt in einer Karte, die genau so groß ist, wie das abzubildende Reich selbst, der Maßstab ist 1:1.

Es besteht die zumindest denkbare Gefahr, daß allzu viele Versuche, sich mit einem Thema so intensiv und exakt wie möglich auseinanderzusetzen, letztlich ein ähnliches Schicksal erfahren wie die etwas unhandliche (wenngleich höchst präzise) Karte, die doch nur alles verdeckt (und sich dadurch selbst verunmöglicht), was sie aufzuzeigen vorgibt. Ein Symposion, dessen TeilnehmerInnen sich der Heimat und identitätsstiftenden Instanzen widmen, wäre demnach zweifach gefährdet. Die Postmoderne tut für hier geführte Überlegungen ihr übriges.

Das zur Diskussion gestellte Feindbild entsteht durch die Problematisierung des Individuellen, welches als in seiner Umwelt eingelagert und von ihr beeinflußbar gedacht werden muß, ebenso wie eine Wechselwirkung nicht ausbleiben kann. Allerdings gerade diese Frage der Wechselbeziehungen und systemischen Bezüge wirft für mit derartigen Verbindungen bewußt arbeitende Strukturen größere Legitimationsprobleme auf, sobald darauf eingehend die Rückbezüglichkeiten mitreflektiert werden sollen. Und von dieser Gegenbewegung des scheinbaren Irrationalismus ist auch die >Ästhetik der Stadt< mitbetroffen, denn entgegen den Massen-Konzeptionen verbindet den Ästheten mit dem Positivisten letztlich ein - etwas grob gesprochen - extremer Subjektivismus. Wie für den Ästheten nichts wirklich ist, was außerhalb des eigenen Subjekts läge, so gibt es für den Positivisten keine Gewißheit jenseits der subjektiven sinnlichen Erfahrung. Auswege, wenn sie überhaupt gefragt sind, bieten sich viele, zu viele. Ein möglicher könnte darin bestehen (und er wird scheinbar zunehmend beschritten), eine »authentische Kritik der Moderne«[49] zu unternehmen, von den Erkenntnissen der neuzulesenden Texte nochmals auszugehen. Daß bei einem solchen Unternehmen die utopischen Bezüge nicht fehlen, versteht sich von selbst.[50]

Die sinnliche Erfahrung ist aber - abseits positivistischer Denkmuster - eine wiederzugewinnende Größe, die ungestört ergreifen können soll; anders gesagt: Zur Zeit einer vielleicht gar nicht mehr so zu benennenden Postmodernität ist das Begreifen, nicht zuletzt im Gefolge des l'art pour l'art, nicht so sehr gefragt, was nicht heißt, daß Vermittlungsinstanzen nicht mehr bewußt strategisch plaziert werden. In vielerlei Hinsicht ergreifend wiederum sind somit die Versuche, sich mittels entsprechend plazierter Beiträge eine Vorrangstellung auf dem Gebiet der populären Heimatkunst-Bewegung zu erwirtschaften.

1996 war das Jahr des Millenniums. Österreich vermutete 1000 Jahre alt sein zu dürfen und diverse Feierlichkeiten unterstrichen den staatsgründenden Aspekt eines Grundstücksdeals. Die Wirtschaftskammer, stets um das Ansehen des Landes bemüht, schrieb einen Liedwettbewerb aus, der dazu dienen sollte, das Musikland Österreich verstärkt im diesbezüglich schwachsichtigen Blickpunkt der Öffentlichkeit zu positionieren. 250.000,- österreichische Schillinge waren zu vergeben und Robby [sic!] Musenbichler kam, textete und siegte.

Weiß nicht wohin die Reise geht,
ich glaub nur es ist nie zu spät,
gemeinsam einen Weg zu gehen -
zusammen können wir bestehen.
Austria - verlier' Deine Seele nicht,
Austria - Du gibst mehr als Du versprichst,
Austria - ich glaub' an Dich und bau' auf Dich -
Oh ouwouwouwouwou Austria[51]

Gutdotierte Patrioten wie Robby Musenbichler oder auch Reinhard Fendrich, dessen Hymne »I am from Austria« (auch hier wohltemperierte Anglophonie als strategisches Hilfsmittel vorgeblicher Globalisierung des Heimatgedankens) ebenfalls wenig zu wünschen übrig ließ, stärken das neuzeitliche Image Österreichs, geben Interviews und lassen Presseaussendungen verfertigen, in denen sie nicht müde werden, ihre Verbundenheit mit österreichischem Boden nahelegen zu wollen.

»Die Ausrichtung der Realität auf die Massen und der Massen auf sie ist ein Vorgang von unbegrenzter Tragweite sowohl für das Denken wie für die Anschauung«,[52] befindet Walter Benjamin. Die Produktion der literarischen Provinz-Texte erfolgte mit äußerster Konzentration auf modernste Methoden und Verfahrenstechniken, welche - mehr oder weniger bewußt fein dialektisch - unter Berufung auf realistische Versatzstücke camoufliert wurde. Wird das zuvor angeführte Zitat im Zusammenhang mit der im Rahmen des Aufsatzes unmittelbar folgenden, berühmt gewordenen metaphorischen Definition des Begriffs der Aura zusammengedacht, so vervollständigt sich das Bild vielleicht. Denn der Zusammenhang von Kult und Aura, von Nähe und Ferne bedeutet genau jene Durchmischung, die eben auch in Texten der Heimatkunst virtuos betrieben wird, gerade durch Verfahrensweisen, die eine Nähe vorgeben und gleichzeitig durch die Verweise auf die als fern liegend vorgestellten und gut dargestellten Potentiale Bewegung erzeugt. Daß diese Ferne aber nicht überwunden werden soll, auch und gerade angesichts einer fortschreitenden Säkularisierung der Welt, weil widrigenfalls/sonst eine Enttäuschung zu konstatieren wäre, wird deutlich, und »mit der Säkularisierung der Kunst tritt die Authentizität an die Stelle des Kultwertes«.[53]

Die ursprüngliche Art der Einbettung des Kunstwerks in den Traditionszusammenhang fand ihren Ausdruck im Kult. [...] Es ist nun von entscheidender Bedeutung, daß diese auratische Daseinsweise des Kunstwerks niemals durchaus von seiner Ritualfunktion sich löst.[54] Mit anderen Worten: Der einzigartige Wert des »echten« Kunstwerks hat seine Fundierung im Ritual, in dem es seinen originären und ersten Gebrauchswert hatte. Diese mag so vermittelt sein wie sie will, sie ist auch noch in den profansten Formen des Schönheitsdienstes als säkularisiertes Ritual erkennbar.[55]

Schwierig ist es, die große Problematik, die sich hier auftut, und die dessen ungeachtet so gut funktioniert, angemessen und deutlich zu beschreiben (gleichzeitig kann es frappierend sein, daß die Offensichtlichkeit diverser Heimatkonstrukte diesen doch etwas angejahrten Befund so aktuell scheinen läßt und sich dennoch nicht abschafft). Die Problematik des Traditionszusammenhangs ergibt sich bei der Betrachtung der >Provinzliteratur<, welche sich eben um diesen bemühte, insofern, als Kult und Ritual - erfolgreiche Methode der Massensuggestion - und ihre verführerischen Potentiale von den Vereinnahmungsversuchen nicht ausgenommen bleiben. Mit der Ferne und ihren in auratischer Weise verbrämten Authentizismen lassen sich - eingelagert in entsprechende Verfahrensweisen und unter Einbeziehung der für derartige Unterfangen geeigneten Raumbearbeitungen - erwünschte Rezeptionsmechanismen mobilisieren. Die Beweisführung dafür ist ebenfalls problembeladen, da man leicht in Gefahr gerät, einer der vielen Folien aufzusitzen, die diverse »Volksschriftsteller« produziert haben. Und dabei wurde und wird dieses naive und doch absichtsvolle Sprechen auch freudig begrüßt.

Eines Benjaminschen Zeitgenossen - nämlich Siegfried Kracauers - ideologiekritischer Realismus zeigte nur eingeschränkt das Bedürfnis, die poetologischen Grundlagen der Erfolgsbücher festzumachen. Vielmehr ging es ihm um den Hinweis auf sozialpolitische Korrelationen und allenfalls in dieser Hinsicht glückende Parallelaktionen erfolgreicher Autoren.

Er [der große Bucherfolg; Anm.] ist das Zeichen eines geglückten soziologischen Experiments, der Beweis dafür, daß wieder einmal eine Mischung von Elementen gelungen ist, die dem Geschmack der anonymen Leserschaft entspricht. Eine Erklärung für ihn bieten allein die Bedürfnisse dieser Massen, die gewisse Bestandteile gierig einsaugen, andere hingegen entschieden ablehnen; nicht aber die Beschaffenheiten des Werks selber - oder doch nur insofern, als sie jene Bedürfnisse stillen. [...] Eine Nachfrage, die viel zu allgemein und konstant ist, als daß ihre Richtung durch private Neigungen oder bloße Suggestion bedingt sein könnte. Sie muß auf den sozialen Verhältnissen der Konsumenten beruhen.[56]

Vermutlich verhält es sich so - und damit folgt der titelgemäß nächste Zeitsprung -, daß eine Auseinandersetzung mit derart heterogenen Elementen in ihrer ganzen Komplexität auch zu unserer Zeit nicht sehr geschätzt wird, da durch sie eine Zerschlagung eingängigen und einschlägigen Materials betrieben und die mit vielfältigen Mitteln hergestellten eindimensionalen Mobilisierungstrategien für das latente Unterbewußtsein hintertrieben würden. Und niemand läßt sich das mühsam erkaufte Unterfutter seines ideologischen Augiasstalls gerne wegnehmen.

Robert Schneiders euphuistischer[57] Erfolgsroman Schlafes Bruder bietet eines der besten Beispiele dafür, wie mit althergebrachten poetischen Mitteln Publikumskreise zu gewinnen sind, deren sonstige Lektürebedürfnisse kaum erst in Buchhandlungen althergebrachten Stils befriedigt werden müssen. Eine kritische Analyse des Romans erweist einerseits die stringente Verbundenheit der Schneiderschen Arbeit mit - eben - Vorgängern auch schon im vorigen Jahrhundert, könnte andererseits eine Erklärung dafür bieten, warum der Roman zunächst von über 20 Verlagen abgelehnt worden sein soll und letztlich nicht nur dem Autor einen wohlverdienten Wohlstand einbrachte - und als Folgeprodukte auch noch Stoff für einen Film und eine Oper abgab. Vergleicht man darüber hinaus Schlafes Bruder mit anderen Texten des Autors, zeigt sich erst recht die gerade in diesem Fall geglückte Adaption, bzw. ein »geglücktes soziologisches Experiment«. Werner Kofler hält von diesem etwas weniger und das ist nicht nur auf die - gar nicht erfolgte und dadurch entsprechend traktierbare - Bevorzugung Schneiders bei der Vergabe des Musil-Stipendiums (1995)[58] rückführbar:

Gut, er ist ausgebildeter Schreibergeselle, er hat eine Schreiberlehre erfolgreich abgeschlossen, er versteht sich auf die Sargtischlerei. Wie er schreibt? Nun, er spricht vor sich hin die Namen Robert Musil, Robert Schneider, und schon schreibt er, schon geht es dahin, die Namen Musil Robert, Schneider Robert vor sich hingesagt, schon schreibt er, schreibt und schreibt, zwischendurch trinkt er Milch und ißt Schokolade, und schreibt, schreibt dahin, trinkt einen Schluck Milch und schreibt, nimmt ein Stück Schokolade und schreibt, sagt: Robert Musil, sagt: Robert Schneider, und Patsch! steht alles geschrieben dar; ein Schluck Milch, ein Stück Schokolade, und noch eines, und Patsch! erledigt sich alles wie von selbst. Wie der schreibt! Der kann aber schreiben, so schreiben können möchte wohl ein jeder gern! [...] Wie es nur schreibt, das Bübl, daß einer so schreiben kann! Gewaltig! Lüüt, lüüt![59]

Und so wie der Vorarlberger Schneider mit Onomatopoetik desavouiert werden soll, spielt die Frage der Sprache eine der ganz großen Rollen im essayistischen Heimattheater.

Nicht unberührt davon scheint auch der in Slowenien geborene Paul Parin, der in einem Symposions-Vortrag der Frage »Wieviel Heimat braucht der Mensch und wieviel Fremde verträgt er?« nachzugehen versucht hat - und sie aus seiner Sicht als Psychoanalytiker beantwortet. Für einen solchen »[...] hat Heimat die Bedeutung einer seelischen Plombe. Sie dient dazu, Lücken auszufüllen, unerträgliche Traumen aufzufangen, seelische Brüche zu überbrücken, die Seele wieder ganz zu machen. Je schlimmer es um einen Menschen bestellt ist, je brüchiger sein Selbstgefühl ist, desto nötiger die Heimatgefühle, die wir darum eine Plombe für das Selbstgefühl nennen.«[60]

Diese (auch von ungarischen Zahnärzten) benötigten Heimatgefühle seien letztlich (wie schon Parin bekannte Slowenen wüßten) »einfach dort, wo man geboren ist«. das gelte aber nicht so ohne weiteres für die Semantik im Deutschen, obzwahr »Im Französischen heißt es pays natal oder patrie, englisch home, homeland oder einfach native country, italienisch terra natia oder patria. Vaterland ist aber doch noch etwas anderes als das deutsche Wort >Heimat<. Gerade wegen der nationalen Etikette, die der Heimat anhaftet, ist mir die tatsächliche Trennung vom Land der Geburt immer angenehm gewesen.«[61] Peter-Paul Zahl wiederum hat in seinem Essay zum genannten Vortrag dieser dentalen Symbolstruktur beizukommen versucht, indem er den Parinschen Befund zu lediglich dem Ausgangspunkt für eine Neueröffnung der Debatte anwandte (die er dann bei einem Drink in der Karibik beschließt): »Gesetzt, das ist wahr und wirklich, was ist dann jener Zahn, ehe er kariös wurde, vor der Plombierung? Das Selbstgefühl? Mag sein. Aber, wie kommt es zustande? Und wo?«[62]

Letztlich findet sich dieses heimatliche Selbstgefühl wieder einmal im Kleinen, Überschaubaren, tendenziell homogen zu denkenden Schutzbereich, denn »Heimat kann nur Dorf, Kleinstadt, Kirchsprengel oder Kietz sein, niemals ein Land (es sei, es ist winzig), eine Föderation, ein Kontinent, eine Rasse.«[63] Dabei soll es aber nicht bleiben, da die Bedrohung auch dieser Refugien, gerade auch im Kontext einer entfremdenden Moderne (mit der man sich nicht abzufinden habe), eine latente ist. Und somit scheint im Versuch einer abgesicherten Konkretisierung des »Selbstgefühls« das äußerste Mittel ratsam:

Das dem Kapitalismus innewohnende Prinzip, hat Heiner Müller richtig erkannt, ist Selektion. Das genaueste Symbol für diese ist: Auschwitz. [-] Der Kampf [um] Heimat und Selbstbestimmung ist mithin Kampf gegen Ausbeutung, Ausplünderung und Selektion, ist der - oft verzweifelte - Versuch zu verhindern, daß sich die ganze Welt in ein einziges Auschwitz verwandelt. Auschwitz steht ja für beides: ist Symbol äußerster Heimatlosigkeit und, gleichzeitig, Ausrottung derer, die man heimatlos gemacht hat.[64]

Hier ließe sich möglicherweise ein Ansatzpunkt finden, um die neuere Heimatdiskussion, die von beiden politischen Seiten geführt wird, aufzurollen. Dieses Feld überlasse ich gerne klugen Köpfen. Angemerkt sei nur, daß das ohnehin stumpfe und somit latent kippende Heimatgerede der Rechten durch das einiger angeblich linker Intellektueller doch diverse Parallelen zu erfahren scheint. Hier wie dort wird die Säkularisierung zurückgenommen und erfolgt eine Sakralisierung bzw. Re-Sakralisierung. Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, wem damit gedient ist. Denen die selektieren und deshalb gleichzeitig ein homogenisierendes Konzept benötigen, oder denen, die aufgrund oktroyierter Heterogenitäten selektiert werden und durch den Rost der neuen Heimat fallen? Jean Améry hat darauf hingewiesen, daß »vom >Faschismus< [zu reden] als der exzessivsten Form des >Spätkapitalismus< [...] zur Erfassung der Tatbestände«[65] nicht statthaft sei.

Womit ich wieder am Anfang angelangt wäre.

Das Blut schoß ihm gegen die Schläfen vor Scham über solch batzenweiche Angst, welche er letztlich bekundet hatte. Er bog das Genick wie ein Stier vor dem Sprung. Ging still und schwieg. Gespenstisch schwangen sich die Pappeln an den Sumpfsäumen. Ein paar neue Sterne zitterten durch die Himmelsweite. Itzt steilte sich sacht die Straße bis zum Wetterkreuz, zwischen den Feldern des Schröffel und des Torbäcken. Es war überall schon Umfried der Heimat, die Ruhe der Erbsassen, es war das Gleichmaß eines eng begrenzten Lebens mit vieler Arbeit und wenig Leidenschaft, ganz in sich selbst gefestigt, ganz verschlossen.[66]

Fußnoten

[1] Karl Heinrich Waggerl: Brot. Roman. Frankfurt/Main 1976 (st 299), p.225
[In den folgenden Fußnoten werden Texte bei Erstnennung vermittels vollständigem Zitat nachgewiesen, danach erfolgt der Verweis durch Nennung des Autors, des Titels und - gegebenenfalls - der Seitenzahl.]
[2] Folgende Titel bieten m.E. wesentlichste Hilfestellungen - auch wenn sie in der Folge nur teilweise nochmals anzitiert werden: Klaus Amann: Zahltag. Der Anschluß österreichischer Schriftsteller an das Dritte Reich. Frankfurt/Main 1988; Klaus Amann und Albert Berger (Hrsg.): Österreichische Literatur der 30er Jahre. Ideologische Verhältnisse, institutionelle Voraussetzungen, Fallstudien. Wien, Köln 21990; Friedbert Aspetsberger: Literarisches Leben im Austrofaschismus. Königstein 1980; Uwe K. Ketelsen: Literatur und Drittes Reich. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Vierow 1994; Andrea Kunne: Heimat im Roman. Last oder Lust? Transformationen eines Genres in der österreichischen Nachkriegsliteratur. Amsterdam 1991 (Amsterdamer Publikationen zu Sprache und Literatur 95); Jochen Meyer: Berlin - Provinz. Literarische Kontroversen um 1930. 2., durchgesehene Auflage. Marbach 1988 (Marbacher Magazin 35/1985); Karlheinz Rossbacher: Heimatkunstbewegung und Heimatroman. Zu einer Literatursoziologie der Jahrhundertwende. Stuttgart 1975; Karl Wagner: Die literarische Öffentlichkeit der Provinzliteratur. Der Volksschriftsteller Peter Rosegger. Tübingen 1991 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 36). Die genannten WissenschafterInnen sind am vorliegenden Aufsatz schuldlos.
[3] Als einen von vielen diesbezüglichen Befunden vgl.: »Kein Museum, keine Kirche kann mich für den unheilvollen Anblick entschädigen, den mir zum Beispiel das Schaufenster einer Buchhandlung in einer kleinen Stadt liefert: eine repräsentative Fülle von Dummheit, lyrischem Dilettantismus, mißverstandener idyllischer >Heimatkunst< und einer phrasenreichen Anhänglichkeit an eine >Scholle< aus Zeitungspapier und Pappendeckel, in der man höchstens einen Zylinder einpacken kann, die niemals ein Gefühl birgt, keinen Keim und keinen Samen. Aus einem gespenstischen, aber über Millionen Volksgenossen verbreiteten Halbdämmer steigt da eine Literatur ans Tageslicht, mit Namen schreibender Gespenster, die sich großer Auflagen erfreuen und die aller Gesetze gegen Schmutz und Schund spotten dürfen, weil sie die >Keuschheit< im Schilde führen und die vollbärtige >Männlichkeit< und weil sie die gesamte Zukunft des Dritten Reichs vorwegnehmen. Wieviel Gift in veilchenblauen Kelchen! [...] Die adligen Porträts längst verwester Kulturträger in den Galerien verschwinden vor der Fülle der lebendigen zeitgenössischen Gesichter, in denen lediglich der Leitartikel des hirnlosen Provinzblättchens seine Spuren eingegraben hat und über denen das unausrottbare, kecke grüne Hütchen wie der Gipfel einer konfektionierten Natur aus wasserdichtem Lodenfilz schimmert. [...] Die hurtige Oberflächlichkeit der großen Städte - und der Snobismus der mittelgroßen - sind mir, wie Sie wissen, verhaßt. Aber die Dumpfheit des öffentlichen Lebens in den kleinen Städten ist tödlich.« (Joseph Roth: Brief aus dem Harz. In: Frankfurter Zeitung vom 14. 12. 1930, p.418 - Jetzt in: Ders.: Werke in drei Bänden. Bd. 3. Köln 1991, p.274)
[4] Ernst Mach: Erkenntnis und Irrtum. Darmstadt 1968, p.27
[5] Die Diskussion um Begriffe wie »Heimatliteratur«, »Provinzliteratur«, »Heimatkunst«, regionale Literatur« etc. erfährt (abgesehen von den oben genannten Büchern und einigen Aufsätzen) in ihrer Vielfalt und Ungenauigkeit zumeist eine Entsprechung in der Handhabung von Begriffen wie »Heimat«, »Provinz«, »Region«. Dagegen hat Karlheinz Rossbacher (s.o.) eine Trennung von Heimatkunst und Provinzliteratur vorgeschlagen, die sich unter anderem an den unterschiedlichen kontextuellen, geographischen (damit historischen, politischen) Vorgaben orientiert. Im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes wird die Begrifflichkeit sich vor allem an der Thematisierung von ländlichen Gegebenheiten und Landschaften durch die österreichische Literatur orientieren. »Heimatliteratur« und »Provinzliteratur« werden verhältnismäßig unterschiedslos verwendet - abgesehen davon, daß man auch eine Unterscheidung dahingehend vornehmen könnte, daß Heimatliteratur als ein primäres Thema, quasi einen Überbegriff bereitstellend, die Geborgenheit in einem vertrauten Umfeld (und dessen Gefährdungen) beschreibt. Provinzliteratur könnte dann als Teil davon, als Literatur aus nichtstädtischen Gebieten, angesehen werden. Doch wäre nach einem solchen Schema beispielsweise Robert Schindels Roman »Gebürtig« ohne weiteres der Heimatliteratur zuzusprechen, was mit den gemeinhin transportierten Sinngehalten des Begriffs nicht unbedingt deckungsgleich sein könnte. Und was ist mit AutorInnen, die auf dem Land leben, sich aber keineswegs mit den üblicherweise als »Provinzliteratur« bezeichneten Texten identifiziert sehen möchten?
Was eine Region ist, bestimmen derzeit vor allem die gängigen EU-Richtlinien für entsprechende Förderungsprojekte dahingehend, daß es sich um Gebiete handle, die mit den jeweils aktuellen landes- und bundespolitischen Stellen vereinbarungsgemäß - gemäß den über die tagespolitisch relevanten Bestimmer nichts stets kongruent verlegbaren Instanzen - auf politisch abgezirkelte Kataster umlegbar sind. Anders gesagt: die Regionaldiskussion auf offiziellem EU-Niveau ist eine ahnungslose. Beispielsweise systemtheoretisch gesehen (um nur einen von vielen Denkansätzen zu erwähnen) wird's, scheint's, überhaupt kompliziert. Eine Region läßt sich aber nicht nach diesen Kriterien erfassen, ist daher niemals tatsächlich administrierbar. Das Problem ist (auf einer etwas verschobenen Ebene) ein ähnliches wie im Zusammenhang mit dem Begriff von der Heimat - auch diese besteht aus Grenzen (braucht diese meist auch dringendst), die sowohl ein- als auch ausschließen. Die Provinz im üblichen Sprachgebrauch hingegen erscheint als eine pejorative Mischung aus nicht Festlegbarem und engen Grenzen, eine paradoxe Melange, deren Stärke vor allem ex negativo im Verweisungscharakter liegt. Damit wird man dem Begriff auch nicht unbedingt gerecht.
[6] Vgl. dazu u.a. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. In: Ders.: Abhandlungen. Gesammelte Schriften, Band I.2. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Sholem hrsg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/Main 1991 (stw 931), p.503: »Die Masse ist eine matrix, aus der gegenwärtig alles gewohnte Verhalten Kunstwerken gegenüber neugeboren hervorgeht. Die Quantität ist in Qualität umgeschlagen. Die sehr viel größeren Massen der Anteilnehmenden haben eine veränderte Art des Anteils hervorgebracht. Es darf den Betrachter nicht irre machen, daß dieser Anteil zunächst in verrufener Gestalt in Erscheinung tritt. Doch hat es nicht an solchen gefehlt, die sich mit Leidenschaft gerade an diese oberflächliche Seite der Sache gehalten haben.« [Hervorhebungen im Original; Anm.]
[7] Vgl. u.a. die Schnitzlerschen Tagebuch-Notate vom 21/I/1917, 3/IV/1917, 12/VII/1918 und 16/VII/1918.
[8] Arthur Schnitzler am 24/IX/1918 im Tagebuch.
[9] Arthur Schnitzler ibid. am 15/I/1919.
[10] Karl Kraus hat gerne das Motiv vom sich in Permanenz überwindenden Bahr aufgenommen. Vgl. u.a.: »Hermann Bahr sitzt fleißig im Griensteidl, zupft auf seiner Nervenguitarre und ersinnt - neue Bezeichnungen, neue Sensationen für die Saison und überwindet; ich glaube, er überwindet jetzt den Symbolismus, übrigens kann man das bei ihm nie genau wissen: Unser Hermann Bahr thut immer >heimlich<.« (Karl Kraus: Wiener Brief. In: Die Gesellschaft, Jg. 8, November 1892 - jetzt in: Ders.: Frühe Schriften 1892-1900. Bd. 1: 1892-1896. Hrsg. v. Johann J. Braakenburg. München 1979, p.50 [Hervorhebung im Original; Anm.])
»In letzter Stunde läuft abermals eine Depesche aus Wien ein, leider sehr betrübenden Inhaltes. Bahr hat wieder überwunden und überwindet nun fortwährend, ohne Aufenthalt. Er ist nicht zu stillen, sein Zustand ist sehr geschwächt.« (Karl Kraus: [Glosse über Hermann Bahr]. In: Der Zuschauer, Jg. 2, No. 5 vom 1. März 1894, Beiblatt: Pasquino, No. 3, p.241 - jetzt in: Ders.: Frühe Schriften 1892-1900. Bd. 1, p.194)
[11] Hermann Bahr: Die Entdeckung der Provinz. In: Ders.: Bildung. Essays. Leipzig 1901, p.184-191
[12] Peter Rosegger: Die Entdeckung der Provinz. Ein flüchtiges Plaudern. In: Die Zeit Nr. 234 v. 25. März 1899, p.184 [Eine Fußnote weist darauf hin, daß der Redakteur Hermann Bahr diesen Aufsatz als Auftakt zu einer Reihe von Beiträgen »über das geistige Leben in unseren deutschen Provinzen« plazierte.]
[13] Meine Rede vom »Brückenkopf« wäre insofern leicht falsifizierbar, wenn sie bedeuten sollte, daß damit in der vorgeblich breiten Phalanx der »Jung Wien«-Literatur und ihrer (spätestens zu diesem Zeitpunkt) Ausläufer Platz für das Geerdete, die >Scholle< schaffen soll. Das kann so natürlich nicht stimmen, als sich die Verkaufszahlen und Publikationserfolge diametral zu einer solchen Annahme verhielten. Wahr bzw. intendiert ist eher, daß zunächst die vorgeblichen Vebindungsmomente für Bahr zu befördern waren und er - nicht nur damit - tatsächlich Literatur herbeischreiben wollte, die für ihn von zunehmend größerer Bedeutung war.
[14] Eine vollständige Übernahme hätte zwar auch problemlos als eine starke Verortung im Geflecht der herbeigeschriebenen Intertextualitäten und damit der entsprechenden Traditions-Imponderabilien und -Insignien gewertet werden können - allerdings erschien es sicherlich >markiger<, impressionistische Anspielungen zu unterlassen.
[15] Wegen einer latent antisemitischen und relativ unverschlüsselt den »Anschluß« propagierenden, anti-österreichischen Rede anläßlich des Richard Wagner-Trauerkommers' 1883; übrigens dieselben Gründe, warum ihm das Studium in Graz verwehrt und in Czernowitz wegen erneut einschlägiger Betätigung ein Disziplinarverfahren angedroht wurde - 1885 wird er sich von all dem wieder distanzieren, nachdem ein hochrangiger reichsdeutscher Beamter ihn darauf hingewiesen hatte, daß derartige Aktivitäten nicht erwünscht seien und Österreich eines eigenen, höchst spezifischen Patriotismus der Deutschsprachigen benötige (vgl. zu letzterem: Hermann Bahr: Selbstbildnis. Berlin 1923, p.185f.).
[16] Hermann Bahr: Die Entdeckung der Provinz - Jetzt in: Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Hrsg. v. Gotthart Wunberg unter Mitarbeit von Johannes J. Braakenburg. Stuttgart 1984 (RUB 7742), p. 209
[17] Ibid., p. 210 [Hervorhebung durch den Verf.; Anm.]
[18] Vgl. dazu einen der wenigen nicht in der herkömmlichen Bahr-Rezeption verankerten Aufsätze: Hildegard Hogen: Der Mann von übermorgen? Hermann Bahr in seinen späten Schriften. In: Österreich in Geschichte und Literatur. Mit Geographie. Jg. 38 (1994), H. 1, p.24-47, insbesondere p.25-33
[19] Vgl. Karl Wagner: Die literarische Öffentlichkeit der Provinzliteratur.
[20] Ibid, p.5f.
[21] Im übrigen ließe sich für Deutschland und die weltweite Rezeption (ab spätestens Ende der 60er Jahre) sicher eine diesbezüglich interessante Untersuchung am Beispiel der Hesseschen Romane vornehmen - gerade auch hinsichtlich der scheinbar unterschiedlichen Kontexte zwischen Kalifornien zu Beginn der 70er Jahre und Deutschland zwischen 1900 und 1933.
[22] Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. Bd. 1. Hrsg. v. Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 1987 (Rowohlt Jahrhundert, Bd. 1), p.32f.
[23] Arthur Schnitzler: Werk und Widerhall. In: Ders.: Aphorismen und Betrachtungen. Hrsg. v. Robert O. Weiss Bd. 1: Buch der Sprüche und Bedenken. Aphorismen und Fragmente. Frankfurt/Main 1993 (FTB 11969), p.110
[24] Arthur Schnitzler: Aphorismen und Betrachtungen. Bd. 3: Über Kunst und Kritik. Materialien zu einer Studie, Methoden und Kritisches [wie oben], p.80
[25] Vgl. zur für die Literaturwissenschaft folgenreichsten - und tendenziell anders gelagerten - Definition des Begriffs: Gilles Deleuze und Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur. Aus d. Französ. v. Burkhart Kroeber. Frankfurt/Main 1976 (es 807). Hinsichtlich der metaphorischen Konnotationen gibt Susan Sontag ersten Aufschluß (Susan Sontag: Krankheit als Metapher. Aus d. Amerik. v. Karin Kersten u. Caroline Neubaur. Frankfurt/Main 1981 [FTB 3823], z.B. p. 76ff.).
[26] Ernst Bloch: Exkurs: Arkadia und Utopia. In: Ders.: Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs. Werkausgabe Bd. 14. Frankfurt/Main 1985 (stw 563), S. 266 f.
[27] Hugo v. Hofmannsthal: Ein Brief. In: Ders.: Erzählungen. Erfundene Gespräche und Briefe. Reisen. Gesammelte Werke Bd. V. Hrsg. v. Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt/Main 1979 (FTB 2990), p.464
[28] Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben. In: Ders.: Das Individuum und die Freiheit. Frankfurt/Main 1993 (FTB 1990), p.192-204 - Dieser Aufsatz stellt eine Zusammenfassung seiner »Philosophie des Geldes« dar. Vgl. Dazu: Ders.: Philosophie des Geldes. Hrsg. v. David P. Frisby u. Klaus Christian Köhnke. Gesamtausgabe Bd. 6. Frankfurt/Main 1989 (stw 806) Einen ersten guten Einblick in die angesprochene Problematik bietet der Aufsatz von Lothar Müller: Die Großstadt als Ort der Moderne. Über Georg Simmel. In: Die Unwirklichkeit der Städte. Großstadtdarstellungen zwischen Moderne und Postmoderne. Hrsg. v. Klaus R. Scherpe. Reinbek bei Hamburg 1988 (re 471), p. 14-36
[29] Vgl. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, p.479: »Es empfiehlt sich, den [...] für geschichtliche Gegenstände vorgeschlagenen Begriff der Aura an dem Begriff einer Aura von natürlichen Gegenständen zu illustrieren. Diese letztere definieren wir als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft - das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen. An der Hand dieser Beschreibung ist es ein Leichtes, die gesellschaftliche Bedingtheit dieses Verfalls der Aura einzusehen.« Benjamin bedient sich hier einer auf den Reserven des Natürlichen aufbauenden Metaphorik, um gerade diese Reserven zu mobilisieren und gegen eine Vereinnahmung zu bewahren.
[30] [Julius Langbehn:] Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Leipzig 1890, p.1
[31] Ibid., p.40
[32] Ibid., p.125
[33] György Lukács: Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. Darmstadt, Neuwied 111987 (SL 36), p.32
[34] Vgl. [Julius Langbehn:] Rembrandt als Erzieher, p.159
[35] Ibid., p.209
[36] Uwe-K. Ketelsen: Literatur und Drittes Reich, S. 17
[37] Ibid.
[38] Hans Lebert: Die Wolfshaut. Roman. Mit einem Nachwort von Jürgen Egyptien. Wien, Zürich 1991, p.451
[39] Als eines der chronologisch aktuellen Bücher mit einem solchen Ansatz wäre zu nennen: Elfriede Jelinek: Die Kinder der Toten. Reinbek bei Hamburg 1995 (Elfriede Jelinek hatte sich ja sehr um eine Neuauflage von Leberts »Wolfshaut« bemüht, wiewohl Karl-Markus Gauß sie gerade in dieser Hinsicht nicht unkritisch bedachte - vgl. Karl-Markus Gauß: Ein Haufen Fleisch. In: Die Presse v. 9. September 1995, Spectrum, p.V)
[40] Einen entsprechenden Befund gab es bereits vor mehr als 20 Jahren, beispielsweise bei Josef Donnenberg: Das Thema Heimat in der Gegenwartsliteratur und Anzengruber als Schlüsselfigur der Tradition der Heimatliteratur. In: Traditionen in der neueren österreichischen Literatur. Zehn Vorträge. Hrsg. v. Friedbert Aspetsberger. Wien 1980, p.67-82.
Um nur einige wenige AutorInnen und Texte unterschiedlichen Zuschnitts und nach 1945 zu nennen (und jede/r der genannten AutorInnen hat fast selbstverständlich noch eine Reihe weiterer, diesbezüglich thematisierender Arbeiten vorgelegt): Ingeborg Bachmanns »Jugend in einer österreichischen Stadt«, Konrad Bayers »berg«, Thomas Bernhards »Frost«, Hermann Brochs »Versucher«, Elfriede Czurdas »Kerner«, Heimito von Doderers »Zwei Lügen«, Gerhard Fritschs »Fasching«, Norbert Gstreins »Einer«, Peter Handkes »Wunschloses Unglück«, Josef Haslingers »Kleinhäusler Ignaz Hajek«, Marlen Haushofers »Wand«, Bodo Hells »Dom. Mischabell. Hochjoch«, Franz Innerhofers »Schöne Tage«, Elfriede Jelineks »Liebhaberinnen«, Gert Jonkes »Geometrischer Heimatroman«, Werner Koflers »Guggile«, Hans Leberts »Wolfshaut«, Robert Menasses »Schubumkehr«, Waltraud Anna Mitgutschs »Züchtigung«, Felix Mitterers »Piefke-Saga«, Christoph Ransmayrs »Vergorene Heimat«, Peter Roseis »Franz und ich«, Gerhard Roths »Stiller Ozean«, Werner Schwabs »Abfall Bergland Cäsar«, Peter Turrinis und Wilhelm Pevnys »Dorfschullehrer«, Josef Winklers »Wildes Kärnten«, Gernot Wolfgrubers »Herrenjahre«. Eine solche Aufzählung muß bereits dann endgültig unvollständig werden, bezieht man die Identitätsthematik mit ein, berücksichtigt die Texte mit dem expliziten Schauplatz Wien, verweist auf die diesbezügliche Lyrikproduktion. Und die Produktion eines semioffiziös rechten und/oder konservativen Lagers wurde ebenso marginal angeführt wie das (um weiterhin politisch-schematisch zu dilettieren) weite Feld dazwischen. Dazu kämen auch noch zahlreiche Essays zu österreichischen Befindlichkeiten und Mentalitäten.
[41] Reinhard P. Gruber: Aus dem Leben Hödlmosers. Ein steirischer Roman mit Regie. München 1988 (dtv 10867), p.19
[42] Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. München 1988, p.65
[43] Ibid., p.80
[44] Ebensowenig für Walter Benjamin, der in einer Rezension von Anna Seghers Roman »Die Rettung« 1938 durchaus selbstbezüglich befand: »Doch das Menschenkind hat noch kein Zuhause.« (Walter Benjamin: Eine Chronik der deutschen Arbeitslosen. In: Ders.: Kritiken und Rezensionen. Gesammelte Schriften Bd. III. Frankfurt/Main 1991 [stw 933], p.536)
[45] Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne, p.65 [Hervorhebung im Original; Anm.]
[46] Gert Jonke: Individuum und Metamorphose. In: Ders.: Stoffgewitter. Salzburg 1996, p. 30
[47] Ernst Bloch: Werkausgabe Bd. 5: Das Prinzip Hoffnung. In fünf Teilen. Werkausgabe Bd. 5.3. Frankfurt/Main 31990 (stw 554), p.1628
[48] Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne, p.67
[49] Vgl. etwa Willem van Reijen: Die authentische Kritik der Moderne. München 1994
[50] Vgl. etwa Burghart Schmidt: Am Jenseits zur Heimat. Gegen die herrschende Utopiefeindlichkeit im Dekonstruktivismus. Ein Essay mit Anhang. Wien 1994
[51] Zit. nach »Muse küßt Musenbichler«. In: Der Standard v. 14/XI/'96, p.1
[52] Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, p.480
[53] Ibid., p.481 [Fußnote]
[54] Benjaminsche Fußnote dazu: »Die Definition der Aura als >einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag<, stellt nichts anderes dar als die Formulierung des Kultwerts des Kunstwerks in Kategorien der raum-zeitlichen Wahrnehmung. Ferne ist das Gegenteil von Nähe. Das wesentlich Ferne ist das Unnahbare. In der Tat ist Unnahbarkeit eine Hauptqualität des Kultbildes. Es bleibt seiner Natur nach >Ferne so nah es sein mag<. Die Nähe, die man seiner Materie abzugewinnen vermag, tut der Ferne nicht Abbruch, die es nach seiner Erscheinung bewahrt.« [Hervorhebung im Original; Anm.]
[55] Ibid., p.480 [Hervorhebungen im Original; Anm.]
[56] Siegfried Kracauer: Über Erfolgsbücher und ihr Publikum. In: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays. Mit einem Nachwort von Karsten Witte. Frankfurt/Main 1977 (st 371), p.67 [Hervorhebungen im Original; Anm.]
[57] Vgl. zur differenzierbaren Verwendung des Begriffs u.a. auch David Lodge: Die Kunst des Erzählens. Illustriert anhand von Beispielen aus klassischen und modernen Texten. Aus d. Engl. v. Daniel Ammann. Zürich 1993, p.120
[58] In diesem Jahr sprach die Jury Norbert Gstrein und Marie-Thérèse Kerschbaumer ebendieses Stipendium zu.
[59] Werner Kofler: Üble Nachrede. In: Ders.: Üble Nachrede - Furcht und Unruhe. Reinbek bei Hamburg 1997
[60] Paul Parin: Heimat, eine Plombe. Rede am 16. November 1994 beim 5. Symposion der Internationalen Erich Fried Gesellschaft für Literatur und Sprache in Wien zum Thema »Wieviel Heimat braucht der Mensch und wieviel Fremde verträgt er«. Mit einem Essay von Peter-Paul Zahl. Hamburg 1996 (EVA-Reden 21), p.18
[61] Ibid., p.12
[62] Peter-Paul Zahl: Die Stätten meiner Kindheit. In: Paul Parin: Heimat, eine Plombe, p.19
[63] Ibid., p.49
[64] Ibid., p.55
[65] Jean Améry: Vorwort zur Ausgabe 1977. In: Ders.: Jenseits von Schuld und Sühne, p.8f.
[66] Paula Grogger: Das Grimmingtor. Roman. Wien, München, Zürich 1970, p.301



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