PALIMPSZESZT
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HORVÁTH Krisztina
Warum versagt die Sprache? Kommunikationsstörung in Peter Handkes Werk

  1. Einleitung
  2. Die Romanfigur: von der Schöpfung bis zur Rezeption
    1. Erzählnormen und Innovation : Sonderheiten der Handkeschen Erzählweise
    2. Gestaltung der Romanfigur in Handkes Erzählungen
    3. Bewertung der Figuren als Leserorientation
  3. Das Soziale im Roman
    1. Die Romanfigur als sozialer Akteur
    2. Individuum und Gesellschaft in Handkes Werken
    3. Normen und Verstöße
  4. Kommunikationsstörungen
    1. Wieso versagt die Sprache? Ebenen der Kommunikationsstörung in Handkes Werken
    2. Die Welt als semiologisches System: Interpretation und Dechiffrierung
    3. Aggressivität und Machtverhältnisse
  5. Zusammenfassung
  6. Literaturverzeichnis
    1. Primärtexte von Peter Handke
      1. Behandelte Texte (benutzte Werkausgaben)
      2. Weitere Primärtexte
    2. Zu Peter Handke
      1. Monographien, Sammelbände und übergreifend angelegte Darstellungen
      2. Aufsätze, Essays und Rezensionen zu einzelnen Texten
    3. Allgemeine Sekundärliteratur
«Ich möchte lieber ahnen statt wissen. Sprache ist ja in aller Regel zerstörerisch. Wenn sie nicht den richtigen Augenblick findet, zerstört sie das Ungesagte.»
Peter Handke im Gespräch mit André Müller für die Zeit vom 3. März 1989

«Weil die Angst vor dem Unsinn vorbei ist,
brauchen sie keine Ordnung mehr.
Und der eigene Eindruck? -
Weil der Unsinn vorbei ist, ist der Anblick
zugleich schon der Eindruck geworden.
Und die eigene Sprache?-»

Peter Handke: Die Sinnlosigkeit und das Glück

1. Einleitung

In einem nach der Veröffentlichung der Stunde der wahren Empfindung aufgezeichnetem Gespräch[1] sucht Peter Handke die Zielsetzung seiner schriftstellerischen Arbeit folgendermaßen zu definieren: «Ich muß das Gefühl haben, daß andere das brauchen, daß es eine nützliche Literatur ist, im weitesten Sinn. [...] Ich möchte als Schriftsteller, zumindest ist das mein Wunschtraum, wie ein amerikanischer Schriftsteller sein: daß ich nicht einfach meine Phantasie und meine Ängste ausbreite, sondern daß ich da eine Geschichte finde, die die Kommunikation bewirkt [...], daß ich nämlich auch das schreiben will, was die Leute verdrängen, was sie wegtun». Doch scheint die zeitgenössische Kritik von einer derartigen Kommunikationsintention kaum Notiz zu nehmen : Paradoxerweise treffen den Autor die meisten Vorwürfe ausgerechnet wegen seiner Weltfremdheit und radikalen «Leserfeindlichkeit». Der besonders gegen Handke gestimmte Manfred Durzak geht in seiner Kritik so weit, daß er behauptet: Die Handkeschen Werke seinen höchstens als Dokumente einer psychischen Störung des Autors von Interesse, kaum aber als eine literarische Struktur, die Kommunikation bewirkt. «Wo soll in der Wirklichkeitsdarstellung der [...] Bücher die Geschichte zu entdecken sein, die Kommunikation mit dem Leser bewirken soll? - schreibt Durzak[2] - Handke [...] scheint es gerade darauf angelegt zu haben, mit einer zur Manie des bösen Blicks gesteigerten Denunziationsenergie alles das zu ersetzen und als unsinnig zu entlarven, was den einzelnen an Wirklichkeitsbezügen umgibt und in eine menschliche Gemeinschaft der andern andeutungsweise integriert. [...] Die Verdrängungen, die Handke hier möglicherweise aufarbeitet, sind seine eigenen, sind die traumatischen Residuen eines Bewußtseins, die in unkontrollierten Schüben brockenweise nach oben geschwemmt werden und als psychische Textur im Höchstfall noch den Autor betreffen können, aber kaum mehr den Leser».

Versucht man die auf Handkes Kommunikationsunfähigkeit zielenden Äußerungen der zeitgenössischen Kritik thematisch zu gruppieren, so ergeben sich im wesentlichen vier Punkte, die ihrerseits eng mit der rezeptionsästhetischen Auffassung literarischer Werke verknüpft sind.

1. In Peter Handkes Werken präsentiert sich die Wirklichkeit entstellt «und bleibt von daher so kulissenhaft und zufällig [...] Dadurch, daß die Außenwelt schemenhaft bleibt und die Entstellungen nur als Als-ob-Deformationen [...] gezeigt werden, wird das Bild der Wirklichkeit durch einen narzißtischen Spiegelsaal ersetzt[3]». Es sind also die Arbitrarität und die Anwendung des Zufälligkeitsprinzips, die den Autor daran hindern, in seinen Erzählungen auf die gesellschaftliche Wirklichkeit Bezug zu nehmen.

2. Die Handkeschen Geschichten handeln beinahe ausschließlich von nicht Einzelfällen. «Ist es als Zugang zur Wirklichkeit transponierbar auf ein bestimmtes Existenzgefühl in einer bestimmten historischen Situation, in der Handke schreibt?[4] - dies wird auf Seiten der Kritik ernsthaft in Frage gestellt. Indem die Protagonisten oft sozusagen pathologische Züge aufweisen, könne jede Deformierung der Außenwelt als Ergebnis dieser Bewußtseinszerstörung verharmlost und relativiert werden.

3. Die Verdrängungen, die Handke in seinen Erzählungen aufarbeitet, seien nicht bloße Symptomen irgendeines gespaltenen Bewußtseins, sondern geradezu die Offenbarungen der eigenen «psychischen Störung des Autors[5]». Die wahnhafte Deformierung der Welt und die Überbetonung des Ichs in den Texten seien also nicht einer Hermetik und in sich geschlossenen Struktur zuzuschreiben, sondern vielmehr dem Narzißmus und der rückhaltlosen Subjektivität von Handke selbst. Demzufolge hieße es: Handkes Werk «sei geschlossen wie eine Auster, ein Zeichen- und Bedeutungslabyrinth wie das Universum eines Schizophrenen, in dem Sprache nicht mehr zur Mitteilung verwandt wird, sondern um Mitteilung zu verschlüsseln[6]».

4. Indem der Autor die konventionellen Erzählmuster zerschlägt und sie in einem scheinbar regellosem und verwirrendem Spiel neu zusammenfügt, entfremdet er den Leser. Die durch die literarischen Modelle erweckte Erwartungen werden bewußt nicht erfüllt. «Die bewußte Künstlichkeit [der] Texte wirkt [...] jeder Identifizierung des Lesers entgegen. [...] Allerdings kann die Rezeptionsschwierigkeit, die diesem Erzählverfahren inhärent ist, nicht übersehen werden: daß nämlich durch die radikale Verfremdung des literarischen Diskurses der Text ohne Kommunikation bleibt und damit auch seine aufklärerische und bewußtseinsfördernde Intention scheitert[7]».

An diesem Punkt können wir unsere Aufgabe formulieren. Sie besteht darin, die obigen Behauptungen der Kritik Schritt für Schritt zu untersuchen und mittels einer gründlichen Analyse der Handkeschen Texte und unter Miteinbeziehung von einigen wichtigen theoretischen Schriften zu widerlegen. Dies soll in drei Schritten versucht werden. In einem ersten Schritt gilt es, die wichtigsten Innovationen von Handkes künstlerischen Schaffen kurz zu skizzieren. In diesem Teil der vorliegenden Arbeit soll vor allem auf die Fragen der Erzählhaltung und der Figurengestaltung näher eingegangen werden, da diese künstlerischen Mittel für die charakteristisch entfremdende Wirkung der Handkeschen Texte besonders maßgebend sind. In einem zweiten Teil sollen eventuelle (offene oder maskierte) gesellschaftliche Bezüge der behandelter Texte benannt und analysiert werden. Dabei gilt unsere besondere Aufmerksamkeit einerseits dem sozialen Gerüst der dargestellten Romanbevölkerung, andererseits den in den Charakteren integrierten gesellschaftlichen Wertsystemen, Normen und Normenverstößen, die die Haltung des Lesers am nachhaltigsten zu beeinflussen scheinen. Schließlich kommen wir zum dritten Schritt unserer Arbeit, wo untersucht wird, wie die Sprache in Peter Handkes Erzählungen zum wichtigsten Mittel der Gesellschaftskritik gemacht wird. An diesem Punkt ergibt sich ebenfalls die Frage nach der Wirkung und Funktionieren der Kommunikationsstörungen, die auf allen Ebenen von Handkes Erzählungen zu beobachten sind und die nicht nur zu einer generellen Entfremdung des Lesers beitragen, sondern zugleich auch als Vermittler einer scharfen Kritik an den alltäglichen menschlichen Interpretations- und Verständigungsmechanismen von besonderer Wichtigkeit sind.

2. Die Romanfigur: von der Schöpfung bis zur Rezeption

2.1. Erzählnormen und Innovation : Sonderheiten der Handkeschen Erzählweise

Was unterscheidet die Handkesche Schreibweise von den Erzählstrategien seiner Vorgänger oder Zeitgenossen? Auffallend ist zwar die Häufigkeit, mit der die Tageskritik Handkes bewußte Abkehr von bestimmten Erzählmustern und Gattungsgesetzen als entscheidenden Faktor seiner erzählerischen Haltung hervorhebt, nur ganz selten wird aber erörtert, welche Normen hier überhaupt gemeint sind. Wie in seiner Theorie des Erzählens Franz K. Stanzel darauf aufmerksam macht, sind «Umfang, Ausmaß oder Grad der schöpferischen Energie, die von einer bestimmten Form literarischer Gestaltung gefordert wird [...] schwer - wenn überhaupt - meßbar. Für die Erzählliteratur bieten die in einer bestimmten Epoche geläufigsten Formen des Erzählens, also die historischen Erzählformen und der Grad der Deviation eines bestimmten Erzählwerkes von diesen Normen, gewisse Anhaltspunkte für die Einschätzung des Ausmaßes und der Intensität der aufgewendeten schöpferischen Energie[8]». Im Fall Peter Handkes werden jeweils der Verzicht auf die Spannung der Geschichte, die Aufhebung der erzählerischen Fiktion und der Verstoß gegen die Erwartungshaltung als Innovationen herbeizitiert. Ferner ist noch von einer entweder auffällig distanzierten, oder sonderlich aus der Sicht einer Mittelpunktfigur berichtenden Erzählperspektive die Rede. Gelegentlich wird auch noch Handkes Tendenz erwähnt, die Möglichkeit einer auktorialen Erzählweise weitgehend zu vermeiden und die Motivation und Signifikanz aus dem Blickfeld auszuschalten. Sind aber all diese Kunstgriffe als Normenverstöße, als Deviationen anzusehen?

In seinen theoretischen Überlegungen verweist Stanzel auf den durchaus veränderlichen Charakter der Erzählnormen, indem er die für den viktorianischen Roman gültigen Normen mit den heutigen zu vergleichen sucht. Seine Schlußfolgerung lautet folgendermaßen: Die auktoriale Erzählsituation oder die quasi-autobiographische Ich-Erzählsituation, die im viktorianischen Roman am häufigsten anzutreffen waren «da ihre Durchführung an einen viktorianischen Autor die geringsten Anforderungen stellte» sind heute als Norm nicht mehr zutreffend. « [...] die Erzählnorm des Romans der Mitte des 20. Jahrhunderts ist nicht eine auktoriale oder eine autobiographische Ich-ES [Erzählsituation], sondern eine auktorial-personale ES[9]». Den Begriff «Idealtyp» oder «Prototyp der Erzählsituation» verwendet der Theoretiker für diejenige Struktur, die «den Autoren einer bestimmten Epochen am geläufigsten ist, die von ihnen am wenigsten Aufmerksamkeit und kreative Anspannung bei der Abfassung fordert und die daher auch im Trivialroman vorherrscht». Es bleibt schließlich die Frage, wie die für zeitgenössische Literatur zutreffende Erzählnorm zu bestimmen sei und was man von einer Verfehlung dieses Idealtypus zu halten habe. «Es scheint hier angebracht, noch einmal zu unterstreichen, fährt Franz K. Stanzel fort, daß Idealtypen keine literarischen Programme sind, für deren Realisierung Autoren mit einer Prämie der Kritik belohnt werden[10]. [...] Ohne uns dem Sibboleth der heute so weit verbreiteten Deviationstheorie ganz zu verschreiben, können wir sagen, daß durch die 'Verfehlung' des Idealtypus in der Gestaltung der Erzählsituation u.U. einer Erzählung eher 'poetische Qualität' oder 'Literarizität' zuwächst als durch eine möglichst weitgehende Annäherung an einen Idealtypus».

Die Erzählsituation in den drei Handkeschen Texten deren gründliche Analyse in der vorliegenden Darstellung angestrebt wird, ist keineswegs einheitlich. Vielmehr sehen wir uns berechtigt, über eine grundlegende Änderung der Erzählhaltung zu sprechen, die sich von einer Erzählung auf die andere allmählich vollzieht. Bereits nach der Veröffentlichung des Erzählbuchs Die Angst des Tormanns beim Elfmeter spricht die Kritik von einer Annäherung des Autors an konventionelle Formen des Erzählens. Nach der Fabellosigkeit der früheren Erzähltexten entwirft hier Handke «eine klar umrissene Figur», während er auch zum erstenmal «eine geschlossene Erzählperspektive durchhält. Zudem wirkt der Stil dieser Er-Erzählung auffällig distanziert[11]». In der Tat haben wir hier mit einer sogenannten personalen Erzählsituation zu tun. Unter diesem Terminus versteht Stanzel jene Form des Erzählens, in der «an die Stelle des vermittelnden Erzählers ein Reflektor [tritt]: Eine Romanfigur, die denkt, fühlt, wahrnimmt, aber nicht wie ein Erzähler zum Leser spricht[12]». Dieses Verfahren vermag es gewöhnlich, dem Leser eine Illusion der Unmittelbarkeit zu vermitteln. Dieser nimmt die Welt des Romans mit den Augen einer Reflektorfigur wahr, wodurch er meistens auch deren Perspektive übernimmt. Diese Perspektive und die scheinbare Unmittelbarkeit sollten es dem Leser ermöglichen, die psychologische Motivation der Reflektorfigur gründlicher zu verstehen und sich demzufolge mit diesem weitgehend identifizieren zu können.

Wenn dies im Tormann-Roman nicht der Fall ist, liegt nicht allein an der Erzählperspektive, sondern hauptsächlich an der Gestaltung des Reflektors Josef Bloch. Die Kritik wirft Handke nahezu einstimmig vor, er verzichte «hier gerade auf das, was dem Kriminalroman so wesentlich scheint: auf die spannende Geschichte[13]». Die Spannung versprechende Mordgeschichte, die als eigenständige Gattung sonst einen überraschenden Schluß und logisch erschließbare Kausalzusammenhänge voraussetzt, frustriert hier den Leser hauptsächlich dadurch, daß die Erzählperspektive sich konsequent auf das Unwichtige, ja auf das für die Lösung der Geschichte absolut Irrelevante verlagert. Dies erfolgt in einem engen Zusammenhang mit der sonderlichen Sehweise der Reflektorfigur, die offensichtlich darauf beharrt, alles aus einer verkehrten Perspektive wahrzunehmen: «Als der Habicht dann auf der Stelle flatterte und herabstieß, fiel Bloch auf, daß er nicht das Flattern und Herabstoßen des Vogels beobachtet hatte, sondern die Stelle im Feld, auf die der Vogel wohl herabstoßen würde[14]». In ähnlicher Weise beobachtet er einen Mann anstelle des Hundes, der dem Mann gerade zuläuft[15] oder statt des Stürmers den Tormann: « 'Es ist sehr schwierig, von den Stürmern und dem Ball wegzuschauen und dem Tormann zuzuschauen', sagte Bloch. 'Man muß sich vom Ball losreißen, es ist etwas ganz und gar Unnatürliches.' Man sehe statt des Balls den Tormann, wie er, die Hände auf den Schenkeln, vorlaufe, zurücklaufe, sich nach links und rechts vorbeuge und die Verteidiger anschreie. 'Üblicherweise bemerkt man ihn ja erst, wenn der Ball schon aufs Tor geschossen wird.'[16]». In diesem verkehrten Blick liegt zugleich der Schlüssel zur Lösung der ungewöhnlichen Erzählsituation. So wie Block, der statt des aktiven Stürmers, der mit seinem motivierten Verhalten die Aufmerksamkeit des Lesers mit einer größeren Wahrscheinlichkeit erregen würde, eher dem passiven Tormann Beachtung schenkt, lenkt hier der Erzähler unsere Aufmerksamkeit auf den unschlüssig wartenden Mörder, während das spannende Verfahren der polizeilichen Ermittlung außer Acht gelassen bleibt.

Diese Erzählperspektive bleibt im Grunde auch bei der späteren Aufarbeitung derselben Thematik im Roman Die Stunde der wahren Empfindung aufrechterhalten. Auch hier haben wir mit einer Reflektorfigur zu tun, der die Rolle zukommt, den Leser zu verfremden. Noch mehr als im Tormann-Text konzentriert hier die Erzählung auf den Inhalt des Bewußtseins einer Romanfigur: Gregor Keuschnig. Nicht nur seine Sinneswahrnehmungen werden dem Leser unter der Illusion der Unmittelbarkeit dargeboten, sondern auch seine Gemütsschwankungen, Träume und innere Gedankengänge. Trotz der scheinbaren Unmittelbarkeit verzichtet aber Handke keineswegs auf einen allwissenden Erzähler und tritt dadurch bereits hier den Weg zum auktorialen Erzählen und zu einer Außenperspektive an. Dieser Erzähler verrät seine Anwesenheit u.a. durch eine Antizipation der Geschichte, die der notwendigen Einschränkung des Wissens- und Erfahrungshorizontes zufolge aus der Sicht eines Reflektors kaum möglich wäre: «So begann der Tag, an dem seine Frau von ihm wegging, an dem ihm sein Kind abhanden kam, an dem er zu leben aufhören wollte und an dem schließlich doch einiges anders wurde[17]». Da dieser auktoriale Erzähler nicht verpersönlicht wird, braucht er auch seine Kenntnis von Keuschnigs Gedanken und Innenwelt vor dem Leser nicht zu motivieren. Während er aber in das Bewußtsein Keuschnig ein direkter Einblick darbietet, verweigert er uns jegliche Einsicht in die Beweggründe der Romanfigur. Daraus folgen einige entscheidende Eigenheiten der Hauptfigur Keuschnig, die dann bei dem Lesers notwendigerweise eine weitgehende Entfremdung bewirken.

In der dritten Erzählung Die linkshändige Frau wird Handkes Annäherung an eine Außenperspektive fortgesetzt. Im Vergleich zu den früheren Texten erscheint diese Perspektivenänderung als eine entscheidende Innovation in Handkes künstlerischen Schaffen, die auch in den meisten Analyseversuchen der Kritik hervorgehoben wird. Manfred Durzak spricht über eine in Abstand verharrende Erzählperspektive und über das Ausbleiben einer erzählerischen Introspektion. Er bemerkt: «Die Figur Mariannes wird in ihren Gesten, ihrem Verhalten von außen her abgetastet, wird nur als Erscheinungsbild vor den Leser hingestellt, ohne daß sie als Charakter, als Person eindeutig profiliert würde[18]. Auch Christoph Bartmann[19] macht auf diese «Vision von außen» und zugleich auf die «Häufigkeit, mit der von den Augen der 'Linkshändigen Frau' die Rede ist», aufmerksam. Dies ließe nach Bartmann auf eine «Reduktion von der ausladenen Symbolisierung innerer Zustände hin zur asketischen Außensicht» schließen: im Text sei also eine «möglichst unscheinbare Subjektivität, die ohne Innensicht auskommt» intendiert. Obwohl aus diesem Text die innenweltlichen Vorgänge bewußt ausgespart bleiben, wird hier weiterhin auf jede auktoriale Kommentierung und Werturteile verzichtet. In Wahrnehmungsprozesse und innere Monologe der Protagonistin wird zwar keine Einsicht mehr dargeboten, dennoch bleibt die Figur Marianne eine Art Reflektorfigur dadurch, daß ihre Anwesenheit und begrenzte Perspektive die Haltung des Erzählers zu motivieren scheint. Damit läßt sich die Erzählsituation als eine auktorial-personale bestimmen: Der Vermittlungsvorgang erfolgt aus der Position der Außenperspektive wie bei der auktorialen Erzählform, zugleich ist aber der Handlungsablauf durch die eingeschränkte Erfahrungsoptik einer Reflektorfigur orientiert.

Damit läßt sich also feststellen, daß das Erzählen der untersuchten Handkeschen Texte entweder aus einer personalen oder einer auktorial-personalen Erzählsituation stattfindet: ausgerechnet aus den Perspektiven, in denen Franz K. Stanzel die für den Roman der Mitte des 20. Jahrhunderts charakteristische Erzählnorm sieht. «Die moderne Erzählliteratur hat der Bewußtseinsdarstellung mehr Aufmerksamkeit zugewendet als irgend einem anderen Aspekt der dargestellten Wirklichkeit und dabei ein sehr differenziertes Instrumentarium von Darstellungsformen entwickelt[20]», schreibt der Theoretiker. In dieser Optik kann Handkes Erzählhaltung wohl kaum als eine so entscheidende Deviation bewertet werden, daß sie allein imstande wäre, die befremdenden Effekte Handkescher Texte zu erklären. Die bisher aufgedeckten Sonderheiten der Erzählstrategie Handkes lassen darauf schließen, daß Erzählperspektive und Figurengestaltung eng miteinander verknüpft sind. Der eigentümliche Charakter Handkes Werks sei also nicht allein durch die Untersuchung der Erzählposition zu ermitteln, sondern unter Miteinbeziehung von einer gründlichen Analyse der Handkeschen Romanfigur.

2.2. Gestaltung der Romanfigur in Handkes Erzählungen

Die ersten Versuche, eine Poetik der Romanfigur zu entwickeln, wurden Anfang der 1970-er Jahren von französischen Theoretikern unternommen. Unter dem entscheidenden Einfluß des Strukturalismus und des Nouveau-Romans wurde die Illusion der psychologischen Realität der Romanfigur bloßgestellt indem man bewies: Die Figur sei nichts als «Wortgewebe», eine bloße «Papierkreatur[21]», die im höchsten Fall als «participant» (Teilnehmer), keineswegs aber als «être» (Lebewesen) angesehen werden darf. Philippe Hamon kommt das Verdienst zu, den von der traditionellen Kritik so häufig übersehenen Zeichencharakter der Romanfigur erkannt und dafür die unterscheidenden Termini personne und personnage eingeführt zu haben. Diese Begriffe, für die die deutschsprachige Literaturwissenschaft keine prägnante Entsprechung fertig hat, könnten als «Persönlichkeit» und «Person» übersetzt werden. «Die Mode der psychoanalytischen Kritik trägt dazu bei, schreibt Hamon, [...] daß aus dem Problem der Romanfigur ein genauso verwickeltes wie schlecht gestelltes Problem gemacht wird [...] indem die Begriffe Persönlichkeit und Person dauernd verwechselt werden. [...] Wir sind bestürzt zu sehen, wie häufig die sonst auf eine anspruchsvolle Methodik oder Verfahren basierenden Analyseversuche an dem Problem der Figur scheitern, weil sie auf diesem Gebiet ihre wissenschaftliche Prinzipien aufgeben um sich an den banalsten Psychologismus zu wenden[22]». Folgerichtig hat es keinen Sinn, in einer wissenschaftlichen Arbeit literarische Gestalten vor eine Art Tribunal zu stellen, als handle es von lebendigen Menschen, die sich wegen ihres Verhaltens zu rechtfertigen hätten. Vielmehr sollte man die Figuren als Zeichen ansehen, die an der Kommunikation Autor-Text-Leser einen wichtigen - wenn nicht geradezu den wichtigsten - Teil haben. Aus dieser Hinsicht soll auch die Rolle der Romanfigur in den Handkeschen Erzählstrategien untersucht werden.

Der gegen die Handkeschen «Helden» meist erhobenen Vorwurf der Kritik betrifft einerseits «die geistische Irrealität im Verhalten der Figuren[23]», andererseits ihre moralische oder emotionale Rückständigkeit, die jeder Identifizierung des Lesers entgegenwirke. Zitiert werden vor allem die lieblos durchgeführten Geschlechtsakte Blochs und vor allem Keuschnigs, wessen Gefühllosigkeit seiner Tochter gegenüber Durzak besonders zu empören scheint. Im Sinne der Trennung die - wie wir bereits festgestellt haben - zwischen realen Personen und literarischen Figuren zu erfolgen hat, erscheint uns eine solche, auf die Psychologie der Figuren zielende Kritik unberechtigt. Nicht weniger unbegründet ist aber die Aussage, moralische Rückständigkeit der Figuren könnte bei dem Leser eine unwiderrufliche Ablehnung bewirken. Wir vertreten eher die Meinung, daß die Art und Weise wie der Erzähler uns eine Romanfigur vor die Augen führt die Einstellung des Lesers zu dieser Figur viel nachhaltiger beeinflussen kann, als irgendeine ideologische oder moralische Ansicht, die der Figur zugeschrieben wird. Vincent Jouve spricht in seinem Buch L'Effet-personnage von einer «Prädetermination der Rezeption der Romanfigur», die mittels der Anwendung bestimmter Erzähltechniken stattfindet: «Welcher Leser würde es behaupten, nie Sympathie für eine Figur empfunden zu haben, die jedoch unterschiedliche, den des Lesers sogar entgegengesetzte ideologische und moralische Optionen verteidigte? Ist vielleicht Raskolnikov nicht feig und dazu noch ein Mörder? Dennoch erreicht er, das wir seine Partei ergreifen[24]». Daher erscheint höchst wahrscheinlich, das die Einstellung des Lesers in erster Linie davon abhänge wie ihm die Figur von dem Text vorgestellt wird, und weniger von deren physischen und moralischen Porträt.

Wie wird aber in den Handkeschen Erzählungen die Hauptfigur überhaupt dargestellt und welchen Techniken ist ihr entfremdender Charakter zu verdanken? Das Porträt einer literarischen Figur, das sich bis zur letzten Seite der Erzählung in einem ununterbrochenen Prozeß der Erweiterung und Bereicherung befindet, kann aus sehr verschiedenen Elementen bestehen. Einer der Wesentlichsten ist der Eigenname oder der eventuelle Beiname und Spitzname, mit dem die Figur bezeichnet ist. Nicht minder wichtig ist das physische Porträt, das die Sympathie des Lesers in einem besonders hohen Maß zu steuern vermag : Als Leser oder Zuschauer sind wir doch alle mehr oder weniger daran gewöhnt, den Held einer Geschichte in dem Schönsten der Darsteller zu erkennen. Zu dem Porträt gehören ferner noch die gesellschaftliche Position und soziales Verhalten der Figuren, die ihren Ausdruck oft in dem Beruf oder in den Familien- und Arbeitsverhältnissen finden. Nichtsdestoweniger charakteristisch sind aber die ideologischen und moralischen Grundsätze, die die Figuren eventuell vertreten, die Beweggründe der von ihnen ausgeführten Handlungen und ihr Verhältnis zu der zum Ausdruck ihrer Ansichten verwendeten Sprache. Am allerwichtigsten sind aber die von dem Erzähler festgelegten Richtlinien, die der Leser bei der Bewertung der literarischen Figuren zu beachten hat. Solche Kommentare haben einen unterschiedlichen Wert je nachdem, ob sie von dem Erzähler, von der betroffenen Figur selbst oder von anderen Figuren stammen. In Die Angst des Tormanns beim Elfmeter werden Name und Beruf des Protagonisten gleich zu Beginn festgelegt : Josef Bloch war früher ein bekannter Tormann, jetzt ist er Monteur und als solcher gerade entlassen worden. Ähnlich ergeht es Gregor Keuschnig, der ebenfalls bereits am Erzählanfang als Pressereferent der österreichischen Botschaft vorgestellt wird. Mit einer Änderung der Erzählhaltung hängt zusammen, das in der Erzählung Die linkshändige Frau die Protagonistin von dem Erzähler nie anders als «sie» oder «die Frau» erwähnt wird : Nur aus den Dialogen erfahren wir ihren Vornamen, Marianne. Auf dem ersten Blick erscheint dieser Wechsel als eine Innovation in der Handkeschen Erzählstrategie, in der Tat handelt es sich aber um eine Distanzierung der Hauptfigur gegenüber, die bereits in den früheren Texten zu beobachten ist : Weder Bloch, noch Keuschnig werden im Laufe der Erzählung mit dem Vornamen bezeichnet, der Erzähler verwendet immer wieder den unpersönlich klingenden Nachnamen oder gar das Personalpronomen. Mit dieser Distanzierung steht das völlige Ausbleiben der physischen Porträts aller Protagonisten in Parallele. Nie wird Blochs oder Keuschnigs Gesicht oder Bekleidung beschrieben, und auch von Marianne heißt es lediglich das sie Augen hatte, «die, auch wenn sie niemanden anschaute, manchmal aufstrahlten, ohne das ihr Gesicht sich sonst veränderte»[25], was aber im eigentlichen Sinn wiederum keine Beschreibung ist. Das der Erzähler nie von der äußeren Erscheinung seiner Figuren berichtet, mag wohl an der Innenperspektive der Reflektorfiguren liegen. Da die Wahrnehmung der dargestellten Wirklichkeit in allen Texten vom Standpunkt eines personalen Mediums erfolgt, bietet sich kaum Gelegenheit, eine ausführliche Beschreibung dieser Reflektorfigur zu erstatten. Selbst wenn der Reflektor gelegentlich mit dem eigenen Aussehen (z.B. vor dem Spiegel) konfrontiert wird, hat sein wertender Kommentar nie das Gewicht einer zumindest scheinbar glaubwürdigen Erzählerstimme. In seinen theoretischen Schriften betont Franz K. Stanzel, das selbst in einer personalen Erzählsituation, wo die Darstellung anscheinend allein durch die Wahrnehmung einer Reflektorfigur orientiert ist, ist «in der Mitteilung dieser Wahrnehmung [...] auch noch die Stimme eines auktorialen Erzählers zu vernehmen, dessen 'point of view' somit ebenfalls, wenn auch auf recht unbestimmte Weise, vom Leser registriert werden kann[26]». Diese Stimme gibt dem Leser in keinem von den drei hier behandelten Texten klare Anweisungen hinsichtlich die Bewertung der Protagonisten. Damit können wir zumindest teilweise erklären, warum sich der Leser besonders verunsichert und befremdet fühlt.

Diese Desorientierung könnte theoretisch durch die Innenweltdarstellung der gesichtslosen und zum Teil auch namenlosen Figuren aufgehoben werden. Im allgemeinen ist dieses erzählstrategische Mittel «ein äußerst wirksames Mittel zur Sympathiesteuerung, weil dabei die Beeinflussung des Lesers zugunsten einer Gestalt der Erzählung unterschwellig erfolgt. Je mehr ein Leser über die innersten Beweggründe für das Verhalten eines Charakters erfährt, desto größer wird seine Bereitschaft sein, für das jeweilige Verhalten dieses Charakters Verständnis, Nachsicht, Toleranz usw. zu hegen[27]». Solche Sympathiesteuerung durch die Illusion der Innensicht findet in Handkes Erzählungen nicht statt. Was der Leser mittels des «unmittelbaren» Einblicks in das Bewußtsein der Figuren erfährt, ist nicht die psychologische Motivation, sondern lediglich eine chronologische Aufeinanderfolge von Gemütszuständen und flüchtigen Eindrücken, die durch ihre Veränderlichkeit und ständige Schwankungen zu der Verunsicherung des Lesers noch weiter beitragen. Das die Beweggründe konsequenterweise ausgespart, die Kausalprinzipien außer Kraft gesetzt werden, läßt auch die meisten von den Protagonisten ausgeführten Handlungen als ein ständiges zielloses Hinundher erscheinen, das den Leser geradezu frustriert. Innenweltdarstellung, d.h., der von dem Erzähler dargebotene Einblick in die Gedankengänge und Sinneswahrnehmung der Protagonisten bilden hier nahezu die einzige Konstituente, woraus die mit keiner klaren physisch-psychologischen Eigenschaften ausgestatteten Figuren bestehen. Selbst in diesem einzigen «Stoff» der Figuren häufen sich aber unmotivierte, erratische Elemente und offensichtlich bedeutungslose Details, die den Leser bereits durch ihre haarspalterische Minuziosität überanstrengen, anstatt ihre Nachsicht zu hegen. In Die Angst des Tormanns beim Elfmeter heißt es an einer Stelle : «Aus dem Sitzen war Bloch, ohne richtig aufzustehen, gleich weggegangen. Nach einiger Zeit blieb er stehen, fiel dann aus dem Stand sofort ins Laufen. Er trat schnell an, stoppte, lief jetzt rückwärts, drehte sich im Rückwärtslauf um, lief vorwärts weiter, drehte sich in den Vorwärtslauf um, wechselte nach einigen Schritten in den vollen Schnellauf über, stoppte scharf, setzte sich auf einen Randstein und lief sofort aus dem Sitzen weiter[28]». Die von der Hauptfigur durchgeführten, ständig stockenden Bewegungen im Raum erscheinen dem Leser, dem die psychologische Motivation ja nicht mitgeteilt wird, nicht nur unüblich, sondern durchaus ziel- und sinnlos. Die Erzählung Die Stunde der wahren Empfindung scheint ebenfalls aus solchen, «durch [das] gleichzeitige Wahrnehmen scheinbar unverbunden nebeneinander liegenden[29]» Bildern zu bestehen, die die von Keuschnig in Paris unternommenen Spaziergänge und die dabei empfundenen Gemütsschwankungen und minuziöse Beobachtungen beschreiben. Selbst Die linkshändige Frau, die anscheinend neue erzähltechnische Mittel verwendet, bildet keine Ausnahme : Zwar wird hier auf die Darstellung der Gedankengänge der Protagonistin verzichtet, dennoch bleibt eine detaillierte Angabe unbedeutsamer und brüchiger Handlungselemente beibehalten : «Sie ging, mit geschlossenen Augen, kreuz und quer durch den Raum ; dann, sich jeweils auf dem Absatz umkehrend, auf und ab. Sie bewegte sich rückwärts, sehr schnell, abbiegend, wieder abbiegend. [...] Sie setzte sich, stand auf, machte ein paar Schritte, setzte sich wieder. Sie nahm eine Papierrolle, die in einer Ecke lehnte, rollte sie auseinander, rollte sie wieder zusammen ; stellte sie schließlich zurück, wenig neben den alten Platz[30]».

2.3. Bewertung der Figuren als Leserorientation

Zum Teil sind also die verfremdenden Effekte der Handkeschen Erzählstrategie mit der fehlenden Motivation und der daraus resultierenden distanzierten Darstellung der Hauptfiguren zu erklären. Aus den oben ermittelten Sonderheiten der Figurengestaltung ergeben sich dennoch Folgerungen, die wir nicht außer Acht lassen dürfen, wenn wir das Funktionieren und die Wirkung der Erzähltechniken Peter Handkes zu verstehen suchen. So stoßen wir unvermeidlich auf das Problem der Beurteilung der Figuren und der relativen Verläßlichkeit der Reflektorfigur als Mittler des fiktionalen Geschehen an den Leser. Die unterschiedliche Verläßlichkeit des auktorialen Erzählers und einer Reflektorfigur ist ein Problem, das in den meisten Romantheorien gestellt wird. Henri Mitterand[31] macht darauf Aufmerksam, das in dem Roman einzig der Diskurs eines auktorialen Erzählers ohne Kritik zu entnehmen sei, die Aussagen der Figuren gelte dagegen als relativ. Dieser Gedanke findet auch bei Franz K. Stanzel Bestätigung, der feststellt : «Der auktoriale Erzähler [...] ist zwar auch nicht über alle Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit zu erhaben, er kann aber dennoch in der Regel solange Glaubwürdigkeit beanspruchen, als dem Leser nicht ausdrücklich signalisiert wird, das auch diesem Erzähler gegenüber skeptische Zurückhaltung am Platz ist[32]». In Peter Handkes Erzählungen, wo die Handlung (ohne jeglichen auktorialen Eingriff oder wertenden Kommentar des Erzählers) ausschließlich aus der Sicht der Reflektorfiguren mitgeteilt wird, entsteht allmählich ein Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Erzählung ausgerechnet durch eine Verunsicherung des Lesers, vor allem was die Verläßlichkeit des wahrnehmenden Reflektors betrifft.

In seinem Buch Texte et idéologie untersucht Philippe Hamon die sogenannten «wertenden» oder «normativen Apparaten», die in dem Erzähltext eingebaut die Bewertung des Lesers orientieren. In dem Roman ist die Bewertung nicht unbedingt ein Monopol des Erzählers, behauptet Hamon, für die Bewertung einer Figur kann sowohl die Figur selbst, als auch der Erzähler mit den verschiedenen Romanfiguren abwechselnd zuständig gemacht werden. Damit aber dieser Urteil selbst zur Geltung kommt, müssen die wertenden Instanzen (ob Erzähler oder Figuren) als vertrauenswürdige Beobachter und kompetente, urteilkräftige Bewerter qualifiziert werden. Im Fall einer Beobachterfigur ist es also von einem besonderen Interesse, die Sehfähigkeit hervorzuheben und eventuell mit einem bestätigenden Kommentar zu unterstützen[33]. In den Handkeschen Erzählungen ist von diesem Kriterium der Glaubwürdigkeit nicht nur keine Spur, sondern es wird geradezu methodisch untergraben, indem der Leser auf die Seltsamkeit der Sehweise der Reflektorfigur aufmerksam gemacht wird. In der Angst des Tormanns beim Elfmeter heißt es gleich am Erzählanfang : «Dem Monteur Josef Bloch [...] wurde [...] mitgeteilt, das er entlassen sei. Jedenfalls legte Bloch die Tatsache, das bei seinem Erscheinen [...] nur der Polier von der Jause aufschaute, als eine solche Mitteilung aus[34]». Durch den zweiten Satz wird die Verläßlichkeit des nüchternen Tons nichtig gemacht : «Die Tatsache des ersten Satzes entpuppt sich als Interpretation und zwar eine höchst seltsame Interpretation. Wo so interpretiert wird, ist etwas nicht geheuer. Die Ordnung und Sachlichkeit der Sätze trügt[35]». Nicht nur als unglaubwürdiger Interpret wird Bloch enthüllt, sondern auch als ungenauer Beobachter, dessen Sinneswahrnehmung ständige Überprüfung und Korrektion bedarf. So heißt es an einer Stelle : «Bloch bildete sich ein, die Geräusche zu hören, mit denen die Bierflaschen aufs Spielfeld fielen. [...] Es kam ihm vor, als hätte man die Flutlichtanlage eingeschaltet[36]». Immer wieder werden die von Bloch erfahrenen Objekte und Prozesse als «Als-ob-Erscheinungen» dargestellt, die in der Regel durch die Formeln «Bloch kam es vor als», oder «die Bilder schienen» eingeleitet werden. Öfters werden Störungen in Blochs Wahrnehmungsvermögen zur Sprache gebracht, die teils als absichtliche Prozesse charakterisiert werden : «Er versuchte möglichst wenig wahrzunehmen» [S.8], teils aber automatisch eintreten : «Bloch, der nicht gewohnt war, so viel Einzelheiten wahrzunehmen, schmerzte der Kopf» [S.28] oder «Bloch war gereizt. Innerhalb der Ausschnitte sah er die Einzelheiten aufdringlich deutlich : als ob die Teile, die er sah, für das ganze standen. [...] Auch tat ihm der Kopf weh [...] Die aufdringlichen Einzelheiten schienen die Gestalten und die Umgebung, in die sie gehörten, zu beschmutzen und ganz zu entstellen [S.76-77]. Der Leser erfährt außer der bloßen Wahrnehmungen Blochs auch seine Gedankengänge, die das Gesehene oder Gehörte begleiten und bewerten, ist aber gleichzeitig gewarnt, diese Interpretationen für verläßlich zu halten. Die Einschätzungen der Reflektorfigur enthalten keine Anhaltspunkte, die dem Leser für eine Unterscheidung von Wichtiges und Unwichtiges behilflich sein könnten : «Buchstäblich war alles, was er sah, auffällig. Die Bilder kamen einem nicht natürlich vor, sondern so, als seien sie extra für einen gemacht worden. Sie dienten zu etwas. Wenn man sie ansah, sprangen sie einem buchstäblich in die Augen. 'Wie Rufzeichen, dachte Bloch. [...] Die Ausschnitte, die man sah, schienen an den Rändern zu flimmern und zu zittern» [S.87]. Nicht minder befremdend ist für den Leser das ständige Korrigieren der bereits wahrgenommenen und beschriebenen Erfahrungen : «Bloch erwachte von dem Knallen und Schnaufen auf der Straße, mit dem die Abfalltonnen in den Müllwagen gekippt wurden ; als er aber hinausschaute, sah er, das vielmehr die Falttür eines Busses, der gerade abfuhr, sich geschlossen hatte [...] ; die Mißverständnisse fingen wieder an» [S.39]. Wenn die entfremdende Wirkung einerseits durch das Ausbleiben jeglicher orientierenden Erzählerkommentare erzielt wird, das den Leser geradezu zwingt, sich allein auf die nicht einmal halbwegs glaubwürdigen Beobachtungen und Überlegungen der Reflektorfigur zu verlassen, wird andererseits das Vertrauen des Lesers durch den Außenseitercharakter Blochs erschüttert. Zu Recht bemerkt Stanzel, das «die verfremdende Wirkung der erlebten Wahrnehmung [...] im modernen Roman meist nicht mehr mit allegorie- und fabelähnlicher Rolleneinkleidung erzielt [wird] [...], sondern durch die Wahl von Charakteren vor allem aus den Randschichten der Gesellschaft. Die Zahl der Außenseiter, Verfemten, Deklassierten, die im modernen Roman mit dieser Funktion betraut werden - man denke an Leopold Bloom, Josef K., Bieberkopf, Meursault -, ist auffällig groß. Die Konzentration auf die Seh- und Erlebnisweise eines Geisteskranken oder Debilen [...] ist als konsequente Fortsetzung der Tendenz zur Verfremdung durch eine extreme Form der Mediatisierung zu verstehen[37]». Diese Definition des modernen Romancharakters mag wohl auf jeden Handkeschen Protagonisten zuzutreffen, zumindest erscheint es der Kritik offensichtlich verführerisch, Handkes Erzählungen in einer psychoanalytischen Interpretation als Krankengeschichten zu lesen. So wird zum Beispiel Blochs Wahrnehmungssystem häufig als das eines Schizophrenen identifiziert, der nicht mehr imstande ist, sich aus seiner sonderbaren Wahrnehmungsweise zu lösen, d.h., «von sich selbst zu abstrahieren und seine Perspektive auf die Wirklichkeit zu relativieren[38]».

Während Blochs zielloses Umherirren und merkwürdig «planloses und unmotiviertes» Verhalten häufig mit der beginnenden Schizophrenie gleichgesetzt wird, sind bereits mehrere Interpretationsversuche unternommen worden, die Gregor Keuschnig der Stunde der wahren Empfindung als einen typische Borderline-Patienten ansehen. Wolfgang Ignée oder Tilmann Moser identifizieren Keuschnig als eine neurotische Gestalt, die die Welt «als eine Welt von Zeichen, von Symbolen erlebt» und «die Sexualität als eine vermeintliche Brücke zum anderen zu betrachten und zu benutzen» pflegt, «wobei der Partner nicht als Partner wahrgenommen zu werden braucht, sondern nur 'als Objekt kurzer, aber komplizierter Verschmelzungsvorgänge fungiert'[39]». Wie vorher im Fall Blochs, erfährt der Leser die Außenwelt auch in der Stunde der wahren Empfindung aus der Optik des Protagonisten, der zugleich eine Reflektorfigur ist. Wie früher Bloch, ist auch Keuschnig ein sonderbarer Beobachter, von dem ein objektiver Bericht der Außenwelt kaum zu erwarten ist. Seine Sinneswahrnehmung vermischt sich mit inneren Monologen, die das Beobachtete zugleich bewerten. Diese Bewertung erfolgt aber aus einem überaus schwankenden Standpunkt, der sich unter dem Einfluß Keuschnigs Gemütsbewegungen fortwährend ändert. So erscheinen ihm die beobachteten Objekte mal furchterregend und bedrückend, mal beruhigend und harmonisch : «Trotzdem machte ihn schon der nächste Blick auf die Wolken wieder verdrossen. Er wollte nichts mehr sehen. Verschwinde endlich - alles! [...] - Ich nehme wahr wie für jemand andern! dachte Keuschnig. Es war aber eine kurze Anmerkung. Mit der Bewegung, mit der er dann vom Gehsteig in den Drugstore an der Avenue Matignon einbog, kam er sich auf einmal, wenigstens fürs erste, gerettet vor[40]». Der Traum, der Keuschnigs Unbehagen auslöst und der als «Erfahrungsschock» den Protagonisten aus dem Alltagstrott herausreißt, repräsentiert keine ausreichende Motivation für eine so abrupte Lösung aller Beziehungen und für ein derart asoziales Verhalten, wie Keuschnigs : «Als sie in den Taxi stieg, dachte er daran, ihr zu sagen : Ich hoffe das du zurückkommst. Er versprach sich aber und sagte, in demselben Ton, in dem er eigentlich das andere meinte : 'Ich hoffe, das du stirbst.'[41]». Noch ausdrücklicher als Bloch im Tormann-Text, schätzt sich Keuschnig selbst als Außenseiter ein. Während der Selbstbewertung des Protagonisten in der Angst des Tormanns beim Elfmeter noch keine besonders wichtige Rolle zukommt, schätzt sich Keuschnig, dessen Bewußtseins- und Körperempfindungen sich stets überlagern, selbst immer wieder als einen Außenseiter ein. «Ab heute führe ich also ein Doppelleben, dachte er. Nein, gar kein Leben : weder das gewohnte werde ich nur vortäuschen, noch ein neues ; [...] Ich fühle mich hier nicht mehr am Platz, kann mir aber überhaupt nicht vorstellen, irgendwo anders am Platz zu sein ; kann mir nicht vorstellen, so weiterzulesen, wie bis jetzt, aber auch nicht, zu leben, wie jemand andrer gelebt hat oder lebt[42]». Wie früher Bloch, so wird nun auch Keuschnig mit seinem Spiegelbild konfrontiert : Unter diesem Vorwand bewertet er nicht nur das eigene Ich, und zwar durchaus negativ, sondern auch seine Bewußtseinsgespaltung und seine Verfremdung, ja Ekel vor sich selber kommen zum Vorschein : «Im Innenspiegel des Taxis erblickte er unversehens sein Gesicht. Er wollte es zuerst nicht erkennen, so entstellt es war. Ohne das er nach Vergleich suchte, fielen ihm sofort mehrere Tiere ein. Jemand mit diesem Gesicht konnte weder Gedanken noch Gefühle aussprechen. Er schaute sich noch einmal an, aber weil er jetzt, wie am Morgen bei dem Spiegel vor der Bäckerei darauf vorbereitet war, fand er das Gesicht nicht wieder, auch nicht, als er suchte, indem er Grimasse schnitt. Aber es war passiert : mit diesem einzigen vorgefaßten Blick hatte er auch noch das Einverständnis mit dem eigenen Aussehen verloren. [...] Jedenfalls sollte man mit einem solchen Gesicht still sein, dachte er. Mit dieser Larve war es sogar eine Anmaßung, Selbstgespräche zu führen. Undenkbar, noch einmal freundschaftlich 'Na du!' zu sagen. Andererseits - und bei diesem Gedanken setzte er sich auf - konnte er sich mit einem solchen Gesicht auch die Gefühle leisten, die bis jetzt nur in den Träumen vorgekommen waren! [...] Mit dieser gemeinen Miene gab es keine Ausreden. Keuschnig traute sich alles zu [...] Keuschnig bekam Angst vor sich selber[43]». Eine solche befremdende Darstellungstrategie ist um so bemerkenswerter, als dadurch die Sympathie des Lesers Keuschnig doppelt, einerseits als einem sich seltsam benehmenden Protagonisten, andererseits als einer subjektiven und unverläßlichen Beobachterfigur, verweigert wird. Die Innovation der Stunde der wahren Empfindung ist dennoch nicht diese Steuerung der Verfremdung, sondern das Auftreten einer zweiten Beobachterfigur, die den Protagonisten von außen her bewertet und damit den fehlenden Bezug zu der Wirklichkeit wiederherstellt. Dies ist die Aufgabe des österreichischen Schriftstellers, in dem manche Kritiker sogar eine Art Alter-Ego Keuschnigs zu sehen pflegen. Durch die Beobachtung des Schriftstellers wird Keuschnigs Verhalten aus einer anderen Perspektive gezeigt und zugleich treffend beschrieben. Die von dem Schriftsteller durchgeführte Verbalisierung und Analyse Keuschnigs seltsamen Benehmens dient vor allem als Orientierungspunkt für den verunsicherten Leser, der bis jetzt vergebens nach einer Einläuterung der Situation gesucht hat.

Auch Marianne, die Protagonistin der Linkshändigen Frau gehört zu den Außenseitern. Wie Bloch und Keuschnig, ändert auch sie ihr Leben schlagartig, ohne dafür einen besonderen und explizit ausgedruckten Beweggrund zu haben. Im Unterschied zu den früheren Erzählungen Handkes wird aber hier zum ersten Mal auch auf die Innenweltdarstellung der Hauptfigur verzichtet, die im übrigen ein wirksames Mittel ist, den Leser zugunsten einer Romangestalt zu beeinflussen. Diese Strategie wird von Stanzel folgendermaßen bewertet : «In Peter Handkes Roman Die linkshändige Frau (1976) werden ziemlich konsequent die innenweltlichen Vorgänge, die offensichtlich das erzählte Geschehen begleiten, ausgespart. Hier werden ganz bewußt im Text Unbestimmtheitsstellen gelassen, durch die der Leser fortlaufend zur Komplementierung des Erzählten aus seiner eigenen Vorstellungs- und Erfahrungswelt veranlaßt wird[44]». Läßt der Text den Leser darüber meistens im Zweifel, was die Protagonistin empfindet und wie sie die anderen Figuren bewertet, so erfahren wir hier ausführlich, wie sie selbst von den verschiedenen Bewerterfiguren eingeschätzt wird. Während in der Stunde der wahren Empfindung nur noch eine Figur imstande war, die Situation des Protagonisten zu versprachlichen, so finden wir in dieser Erzählung bereits eine umfangreiche Gruppe von Figuren, die Marianne von verschiedenen Standpunkten her zu analysieren und einzuschätzen versuchen. Der Ehemann Bruno, die Lehrerin Franziska, der Verleger, der Vater, der Schauspieler und sogar das Kind Stefan kommentieren einer nach dem anderen Mariannes Bemühungen, ihr Leben zu ändern. Die Protagonistin selbst bildet keine Ausnahme : Sowohl in Dialogen, als auch in - vor dem Spiegel geführten - Selbstgesprächen drückt sich ihre eigene Haltung und Selbsteinschätzung aus. «Die Frau : 'Ich bin beklommen, glaube ich;' [...] Sie ging zu dem Spiegel im Flur und sagte 'Jesus - Jesus - Jesus.' [...] Zuhause stand die Frau vor dem Spiegel und schaute sich lange in die Augen ; nicht um sich zu betrachten, sondern als sei das die einzige Möglichkeit, über sich in Ruhe nachzudenken. Sie begann, laut zu sprechen : 'Meint, was ihr wollt. Je mehr ihr glaubt, über mich sagen zu können, desto freier werde ich von euch.' [...] Sie stand vor dem Spiegel und sagte : 'Du hast dich nicht verraten. Und niemand wird dich mehr demütigen![45]». Im Parallele zu diesem doppelten Bewertungssystem sind dem Leser im Laufe der Erzählung verschiedene Zeichen der Regression begegnet, die, wie das Loch im Pullover oder das fehlende Knopf, den Weg der Protagonistin zum Außenseitertum illustrieren. Wenn die «linkshändige Frau» trotz der fehlenden Motivation, der ausgesparten Innenweltdarstellung und den widersprüchlichen Aussagen der wertenden Figuren nicht zu einer negativen Figur wird, liegt hauptsächlich daran, das diese sich im Laufe der Geschichte als nicht glaubwürdiger und nicht weniger Außenseiter enthüllen, als die Protagonistin selbst. Die elementare Angst, die Bruno in seiner Einsamkeit in Finnland empfindet und die zwanghafte Suche nach Geborgenheit, die er nach seiner Heimkehr unternimmt, Franziskas Flucht vor dem Alleinsein in die Frauenbewegung, des Verlegers abrupte Trennung von seiner Freundin, begründet allein durch den Gedanken, das diese ihm einen jüngeren Mann vorziehen könnte, all diese Tatsachen sprechen dafür, das Glaubwürdigkeit und Urteilkräftigkeit der Figuren eng mit der Position verknüpft ist, die sie in dem sozialen Gerüst des Romans besetzen. Was daraus zu erschließen ist, ist zunächst die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Aspekten der Handkeschen Romanfiguren. Die soziale Dimension darf also bei einer Betrachtung verfremdender Effekten der Erzählstrategien Peter Handkes nicht außer Acht gelassen werden.

3. Das Soziale im Roman

3.1. Die Romanfigur als sozialer Akteur

«Worauf eine soziale Welt gegründet wird [...] ist das dialektische Verhältnis zwischen der Welt und dem Roman, durch das die Fiktion ergriffen werden kann [...][46] - schreibt Claude Duchet in Lectures sociocritiques. Für Duchet ist der Roman «ein fiktiver Raum, dessen Organisation von spezifischen narrativen Techniken abhängt, aber zugleich auch ein gesellschaftlicher Mikrokosmos, dessen Elemente die Totalität einer kulturellen Einheit brechen, die selbst in die reale Welt eingeordnet ist. Gerade weil der Roman wie eine Gesellschaft funktioniert und sich auf unsere soziale Erfahrungen beruft, gelingt er zur Kohärenz einer Praxis, und dadurch, zweifelsohne, auch zur Literarizität». Diese Definition der Beziehungen zwischen Roman und Gesellschaft erscheint uns um so interessanter, als er darauf verzichtet, den sozialen Aspekt eines literarischen Textes unmittelbar in der außerliterarischen Realität zu suchen. Anstatt uns mit der Genese oder Rezeption eines Werkes zu befassen um dessen Originalkontext wiederherzustellen suchen, können wir also das Soziale auch woanders suchen : im Textes selbst. Nicht in der Absicht, den literarischen Text als unmittelbare Widerspiegelung einer Ideologie oder als historisches, ökonomisches oder kulturelles Dokument der realen Gesellschaft seiner Entstehungsepoche zu lesen, wie das von Georg Lukacs empfohlen wird. Diejenige Kritiker, die bei Handke die «Schemenhaftigkeit» und «Deformation» der Aussenwelt als das völlige Ausbleiben jeder sozialen Dimension auffassen und den subjektiven Ton der Handkeschen Erzählungen mit einer totalen Interesselosigkeit für gesellschaftliche Fragen gleichsetzen, scheinen mit Lukacs darüber einverstanden zu sein, daß «nur realistische Kunst kann [...] die Wirklichkeit konkret und adäquat widerspiegeln, weil sie die Erscheinungen nicht aus dem Gesamtzusammenhang herauslöst[47]». Hingegen sind wir hier vielmehr der Meinung, die Peter V. Zima in seiner Textsoziologie vertritt : «Es wäre jedoch falsch anzunehmen, daß Literatur die gesellschaftliche Widersprüche unmittelbar wiedergibt ; diese erscheinen vielmehr als durch die literarische Produktion vermittelt : Auf Grund dieser entscheidenden Konstellation ist das Werk selbst widersprüchlich[48]».

Wie soll aber das Soziale im Erzähltext und vor allem in der Struktur der Romanfiguren aufgedeckt werden? Im Roman, wo alles bedeutet und kein Detail auf den Zufall überlassen wird, ist das Soziale überall anwesend. Folglich kann die Romanfigur selbst, die davon nur einen Bruchteil, eine Bedeutungseinheit unter so vielen anderen darstellt, kaum mit einer Totalitätsanspruch untersucht werden. Dennoch unterscheidet sie sich aufgrund ihres antropomorphen Charakters von den übrigen Bedeutungeinheiten des Romans, indem sie mit allen sozialen Umgangsformen des Menschen (mit der Art und Weise, wie dieser sich ernährt und bekleidet, wie er wohnt, arbeitet, leidet, genießt, usw.) gekennzeichnet werden kann. Ein Vierteljahrhundert nach der Veröffentlichung von Philippe Hamons[49] Plädoyer für einen semiologischen Status der Romanfigur besteht heute kein Zweifel mehr, daß fiktive Gestalten nicht als Personen, sondern als Zeichen anzusehen sind, die ihrerseits wiederum aus sprachlichen Zeichen bestehen und zugleich mit verschiedenen semiologischen Systemen der wirklichen Gesellschaft eng verknüpft sind. Diese komplexe Zeichen erfüllen aber ihre Rolle erst wenn der Text von einem Leser aktualisiert wird, das heizt, in der Interaktion, die zwischen Text und Leser abläuft. Ausschlaggebend ist, daß im Lesevorgang der Leser der Romanfiguren nicht vereinzelt, sondern in ein quasi soziales Umfeld eingebettet begegnet, wo diese bestimmte Stellen besetzen und gewisse gesellschaftliche Rollen spielen. Erfahrungen aus der Lebenspraxis können dem Leser die Orientierung in solchen «Romangesellschaften» verbürgen : die Lesersympathie kann durch die den einzelnen Figuren zugeteilten gesellschaftlichen Positionen entscheidend beeinflußt werden. Hier soll jetzt eine der wesentlichsten Konsequenzen für die Interpretation beschrieben werden, die direkt aus der hierarchischen Darstellung von Romangesellschaften herzuleiten ist : Je größer ist das gesellschaftliche Ansehen, daß eine Romanfigur in der fiktiven Romangesellschaft genießt, desto größer wird auch die Bereitschaft des Lesers, sich mit dieser Figur zu identifizieren. In bestimmten traditionellen Erzählmustern (denken wir bloß an den Bildungsroman) bildet der Sozialisationsprozess eines Protagonisten geradezu das zentrale Thema des Romans. Dagegen kann eine mißlungene Sozialisation jeder Identifikation entgegenwirken. Folgerichtig wird einer als Außenseiter oder weltfremder Sonderling dargestellten Romanfigur die Lesersympathie oft verweigert, besonders dann, wenn - wie es in Handkes Erzählungen meistens der Fall ist - das Verhalten der Aussenseiterfiguren durch keine ausreichende Motivation rechtfertigt wird. Statt Sozialisation geht es in Peter Handkes Texten ausgerechnet um die Lösung aller gesellschaftlichen Bindungen der Protagonisten, und sogar dieser Entfremdungsprozess vollzieht sich scheinbar ohne Grund. Die Interpretation der Handkeschen Protagonisten, die gegen die von der Romangesellschaft vertretenen Normen verstoßen, wird dem Leser besonders erschwert, indem er durch die sonderlich Erzählperspektive stets in Unsicherheit gehalten wird. Die Handlung wird ihm allein aus der durchaus unverläßlich erscheinenden Perspektive der Haupt- und zugleich Reflektorfiguren mitgeteilt, die jedoch nie durch explizite Erzählerkommentare bestätigt oder verurteilt wird. Diese Situation wird von Wolfgang Iser folgendermaßen beschrieben : «Dabei kann der Leser sich allerdings weder auf die Bestimmtheit gegebener Gegenstände noch auf definierte Sachverhalte beziehen, um festzustellen, ob der Text den Gegenstand richtig oder falsch dargestellt hat. Diese Möglichkeit des Überprüfens, die alle expositorischen Texte gewähren, wird vom literarischen Text geradezu verweigert. An diesem Punkt entsteht ein Unbestimmtheitsbetrag, der allen literarischen Texten eigen ist, denn sie lassen sich auf keine lebensweltliche Situation so weit zurückführen, daß sie in ihr aufgingen beziehungsweise mit ihr identisch würden. [...] Wenn der Leser die ihm angebotenen Perspektiven des Textes durchläuft, so bleibt ihm nur die eigene Erfahrung, an die er sich halten kann, um Feststellungen über das vom Text vermittelte zu treffen[50]». Um sich in der Welt des Romans doch zurechtzufinden bleibt dem Leser wohl nichts anderes übrig, als sich mit den verschiedenen, durch die Romangesellschaft vermittelten Werten auseinanderzusetzen, um auf dieser Weise zu einer befriedigenden Interpretation der Protagonisten zu gelingen. Wir können also feststellen : Wo es zwischen Außenseiterfigur und Gesellschaft zu einem Konflikt kommt, kann der Leser der Wahl nicht entgehen, die Partei eines der beiden entgegengesetzten Wertsystemen zu ergreifen.

3.2. Individuum und Gesellschaft in Handkes Werken

Die Handkeschen Protagonisten gehören nicht a priori zu den Randschichten der Gesellschaft, vielmehr scheinen sie eine Art Sonderstatus zu genießen. Manfred Durzak nennt sie zutreffend «ökonomisch freischwebende Existenzen[51]», die zumindest in bequemen Verhältnissen leben. Bloch ist früher als bekannter Fußballtormann mit seiner Mannschaft durch die Welt gereist. Keuschnig lebt als Pressereferent der österreichischen Botschaft im eleganten sechzehnten Arrondissement in Paris, Marianne, die Protagonistin der Linkshändigen Frau, die mit einem wohlhabenden Geschäftsmann verheiratet ist, in einer Bungalowsiedlung, «über dem Dunst einer großen Stadt[52]». Wenn ihre Integration in die Gesellschaft trotzdem nicht oder nur unvollständig erfolgt, liegt es an der elementaren Angst, die sie gemeinsam haben : eine bedrückende Angst vor dem Ertapptwerden, Angst, aus der Rolle zu fallen. Sie scheinen alle Masken zu tragen, empfinden aber dabei ein Unbehagen, von dem sie sich schließlich gezwungen fühlen, das Rollenspiel aufzugeben und zugleich auf ihre soziale Position zu verzichten. In der modernen Literatur dient das Maskenmotiv häufig zur Verdeutlichung eines Identitätszerfalls : «Die Maske erlaubt dem Individuum eine Rolle zu spielen, sich zu verbergen. Sie setzt aber das Individuum als das von seinen Masken Verschiedene voraus[53]». Handkes Protagonisten befürchten alle, daß ihnen eines Tages die Maske von dem Gesicht gerissen wird und das dahinter verborgene wahre Gesicht zum Vorschein kommt. Sie vermuten, daß eine derartige Enthüllung ihrer wahren Identität von Seiten ihrer Umgebung nichts anderes als Abscheu und Zurückweisung hervorrufen würde. Was aber hier als Umgebung gemeint wird, ist auf merkwürdige Weise nicht die öffentliche Sphäre, die nach Nägele und Voris «zunehmend Entfremdungscharakter annimmt[54]». In erster Linie handelt es sich bei Handke um die private Sphäre, die gewöhnlich durch «eine Trennung des bürgerlichen Subjekts in ein privates und öffentliches [...] mehr und mehr [...] beinahe als der einzige Raum für individuelle Entfaltung gesehen wird : die Öffentlichkeit ist da, wo man nicht bei sich selbst ist, wo man gesellschaftliche Rollen spielt, also fremdbestimmt ist, nicht selbstbestimmt. [...] Das Resultat ist ein Selbstgefühl, das sich nur noch in der Innerlichkeit findet und für das alles Öffentliche äußerlich und selbstentfremdend ist. Nur im kleineren Kreis der Familie, der Freundschaft genießt man sich selbst[55]». Von einer solchen Innerlichkeit in Familien- und Freundeskreis kann in Handkes Erzählungen kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil erscheint den Protagonisten gerade die private Sphäre bedrohlich, während sie sich in den gewohnten gesellschaftlichen Rollenspielen der Öffentlichkeit am meisten verborgen fühlen. Bloch ist geradezu fasziniert von der «Selbständigkeit, mit der [...] die Kinokassiererin den Teller mit der Eintrittskarte ihm zugedreht hatte. Er war über die Schnelligkeit der Bewegung so erstaunt gewesen, daß er fast versäumt hatte, die Karte aus dem Teller zu nehmen. Er beschloß, die Kassiererin aufzusuchen[56]». In der Stunde der wahren Empfindung kommt noch ausdrücklicher zur Sprache, wie sich der Angstzustand, in dem sich der Protagonist Keuschnig stets befindet, durch den Umgang mit Fremden in lebensüblichen Alltagssituationen mildert. Diese Art der Geborgenheit erlebt Keuschnig zum erstenmal beim Blumenkauf : «Er war nur einer unter vielen, beschäftigt mit Alltäglichem, so sorglos, daß er Blumen kaufte. Er nahm sich vor, pedantisch zu sein. Im kühlen Blumengeschäft, als jemand, der sich Gladiolen einwickeln ließ, fühlte er sich so geborgen, daß er der Verkäuferin helfen wollte, die Schleife zu binden. [...] Daß sie während ihrer ganzen Tätigkeit, vom Beschneiden der Stengel, dem Entfernen der welken Blütenblätter bis zum Überreichen des Straußes keine Bewegung zu viel machte, war jetzt schön. Er fühlte sich in dem Laden wie untergestellt. Er konnte lächeln, wenn ihn dabei auch die Lippen spannten, und sie lächelte auch. Gerade diese nur geschäftsmäßige Freundlichkeit erschien ihm als eine menschenwürdige Behandlung, und sie rührte ihn[57]». Eine ähnliche Erleichterung empfindet Keuschnig in der Pressekonferenz, in dem Restaurant oder nach dem Geschlechtsverkehr mit dem unbekannten Mädchen im Botschaftsgebäude ; jedesmal also, wenn er sich äußerst unpersönlich behandelt fühlt. Er scheint solche mechanisch ausführbaren Handlungen, die in ihrer Formelhaftigkeit keine Eigeniniziative fordern, der vertrauteren Formen der Kommunikation zu bevorzugen. «Ein Offizier tastete ihn ab [...] Endlich etwas, was ohne mich geschieht - etwas, wo ich unbeteiligt zuschauen kann. Eine freie Sekunde! Er wollte irgendwem, irgend etwas dankbar sein. [...] In diesem Moment erlebte er überrascht die unpersönliche Berührung der Hände, die seine Schultern abklopften, als eine Aufmunterung. [...] Jetzt nicht wieder gleich alles vergessen, dachte Keuschnig. Dieses ganz sachlich gemeinte Abtasten habe ich heute, um sechs Uhr abend, als eine Zärtlichkeit empfunden![58]» Wie vorher bei dem Geschlechtsakt, woran das Besondere für ihn ausgerechnet das Gefühl ist, nicht «mit einer einmaligen, bestimmten Frau zusammenzusein» und «daß er für sie austauschbar war[59]», fühlt sich Keuschnig auch in der Pressekonferenz von dem Gedanken seltsam behütet, daß «für ihn Politik gemacht wurde[60]». In den unpersönlichsten Augenblicken des öffentlichen Lebens erhält er durch die Verschmelzung mit der Masse eine neue, wenn auch nur formelhafte Identität, die die Kluft zwischen seiner Maske und seinem wahren Ich plötzlich zu überbrücken scheint : «Es war so wohltuend, mit den Formulierungen andrer über sich nachzudenken : das Programm, das er mitschrieb, sagte ihm, wie er war und was er brauchte, sogar in einer Reihenfolge! [...] Ich bin definiert! dachte er - und das schmeichelte ihn. Definiert zu sein machte ihn endlich anauffällig, auch vor sich selber[61]». Die Suche nach Geborgenheit in der Unpersönlichkeit verschiedener Dienstleistungen wird auch in der Linkshändigen Frau thematisiert. Der soeben aus Finnland heimgekehrte Bruno formuliert an dem Tisch eines Restaurants die auch von Bloch und Keuschnig erlebte Erfahrung: «'Heute hatte ich es nötig, so bedient zu werden. Welch eine Geborgenheit! Welch eine kleine Ewigkeit! [...] Das Objekt dieser stolzen, respektvollen Dienerarbeit zu sein [...] bedeutet [...] wenn auch nur für kurze Stunde des Teetrinkens, nicht allein die Versöhnung mit sich selber, sondern, auf eine seltsame Weise, auch die Versöhnung mit der gesamten menschlichen Rasse.'[62]». Ein ähnliches Behütetsein erlebt auch die Protagonistin, die sich ausgerechnet in der unpersönlichen Atmosphäre des Supermarkts wohlfühlt : «'Ich fühle mich manchmal wohl hier.' Franziska zeigte auf einen Sehschlitz hinter einer Styroporwand, wo ein Mann in einem weißen Kittel die Käufer beobachtete. Im Lärm mußte sie schreien : 'Und von diesem lebenden Toten fühlst du dich wahrscheinlich auch noch behütet?' Die Frau : 'Er paßt in den Supermarkt. Und der Supermarkt paßt zu mir. Heute jedenfalls.'[63]».

Während das öffentliche Leben für die Handkeschen Protagonisten eine sichere Zuflucht gewährt, erscheint in den Erzählungen auf ungewöhnliche Weise ausgerechnet die Privatsphäre als entfremdend und bedrohlich. Das Subjekt befindet sich hier stets in einem feindlichen Element, wo ihm alles nur vorgetäuscht erscheint. Zu Beginn aller drei Geschichten ist von einer plötzlichen Entfremdung und Auflösung die Rede : Die Hauptfigur erlebt eine Art Erleuchtung, die sie daran hindert, das gewohnte Leben weiterzuführen. In dem Tormann-Text erscheint die Dekonstruktion sozialer Verbindlichkeit allererst als eine bloße Konsequenz Blochs Entlassung, und als solche auf einem fremden Einfluß zurückzuführen. Später wird dieser erste Eindruck allerdings korrigiert und der Leser schöpft Verdacht : vielleicht wurde Bloch nicht einmal entlassen und somit liegt die Dekonstruktion seines gewohnten Lebens allein an ihm selbst.

Verglichen mit dem Tormann-Roman bedeutet Die Stunde der wahren Empfindung eine Radikalisierung. Nach dem entscheidenden Traum, in dem er einen Mord begeht, gesteht sich Keuschnig, ein Doppelleben zu führen. Auf einmal wird er sich der Verlogenheit und Schablonenhaftigkeit seiner Lebenspraxis bewußt. Mit einem panischen Bemühen versucht er also die gewohnte Rituale weiterzuspielen und wird dabei zunehmend von einem gegen sich und seine gesellschaftliche Pflichten gerichteten Ekelgefühl befallen. «Welche Schande werde ich meinen Eltern bereiten, dachte er [...] : ein Mörder in der Familie! Am meisten aber bedrückte ihn, daß er jemand andrer geworden war und doch weiter so tun mußte, als ob er dazugehöre[64]». Ab nun leidet er unter der Zwangsvorstellung, daß er sich in jedem Augenblick verraten kann : «Keuschnig wollte durch das Haus grölen. Dann blickte er still zur Decke, vorsichtig, als könnte ihn das schon verraten. [...] Er war es jetzt, der auf einmal Angst hatte, etwas Falsches zu sagen, etwas Falschas zu tun ; er war es, der sich bei allem auf einmal etwas denken mußte, beim Fleischzerschneiden, bei einer Umarmung, sogar beim Atemholen. Was sich so vertraut ereignen sollte, vollführte er als zeremonielle Vorgänge, ängstlich bedacht, nicht aus der Rolle zu fallen[65]. Das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, führt zuerst zur Auflösung der innigsten Beziehungen Keuschnigs. Was den Protagonisten von seiner Frau und seiner Geliebten Beatrice trennt, ist nicht daß er selbst «über Nacht ungewöhnlich» geworden ist, sondern daß die anderen ihre Rollen regungslos weiterspielen. Diese Routine erscheint Keuschnig von nun an erstickend, es fällt ihm auf einmal schwer, so tun, als ob. «Keuschnig ertrug das Schauspiel nicht länger [...] Sogar die Säuglinge unter den Sonnenschirmen, mit ihren karottenbreibraunen Wangen, kamen ihm als gekünstelt vor [...] Keuschnig tat weiter als ob : blickte sich um, als ob... Er zitterte. Gleichzeitig wurde sein Gesicht leer vor ängstlicher Selbstbeherrschung[66]». Die Entfremdung, die Keuschnig erfährt, hindert ihn vor allem an dem Umgang mit seiner Familie und seinen Freunden, wo er sich weniger auf Floskeln und Schablonen der Sprache und auf Rituale des Alltags verlassen kann. Während er sich an der unpersönlichen Haltung der Geschäftsleute erfreut, «erscheinen ihm alle Situationen fremd, die durch Sprache, Assoziation oder Gewohnheit Vertrautheit oder eine enge persönliche Beziehung signalisieren : er begibt sich in eine permanente Verweigerung[67]», bemerkt zu Recht Rolf Günter Renner. Deshalb weigert sich Keuschnig so lange, sich auf den Weg nach Hause zu begeben und hat dann so nötig, übertriebene Vorbereitungen zu treffen, um seine Heimkehr im voraus zu organisieren. «Keuschnig stand vor seiner Haustür, und weil er nicht wußte, wie er sich nun verhalten sollte, und in welcher Reihenfolge, wurde ihm übel. [...] Ich muß erst in Gedanken proben, was ich gleich zu tun habe, dachte er. Zuerst jedenfalls den Aktenkoffer in die Garderobe zu stellen. Dann war zu hoffen, daß ihm als erstes das Kind entgegen kam [...] Blieb das Kind aus, so würde er in der Garderobe möglichst schnell ein geeignetes Gesicht machen und [...] ohne überflüssige Bewegung vor die Leute treten[68]».

Das Motiv des Rückzugs aus den Formen der Sozialisation bildet auch in der Erzählung Die linkshändige Frau den Kern der Handlung. Auch hier geht es um Vortäuschen : das Subjekt muß sich in jedem Augenblick verstellen, um nicht aus seiner Rolle zu fallen. Wie in den anderen Texten, steht hier wiederum eine abrupte Trennung an dem Erzählanfang. Von einer scheinbar unbegründeten Erleuchtung befallen verläßt die Protagonistin ihren Mann, Bruno. Eine solche Ausgangssituation läßt gewöhnlich einen Neuanfang erwarten, davon ist aber in diesem Text nicht die Rede. Die Protagonistin lehnt zwar das Bestehende ab, aber nicht mit der Absicht, das Alte durch etwas Neues zu ersetzen. Statt dessen zieht sie sich aus jeder Form der Sozialisation zurück und hält sich konsequent von allen Bindungen fern. Diese Haltung wird vor allem durch die vor dem Spiegel geführten Selbstgespräche der Protagonistin signalisiert : «Du hast dich nicht verraten. Und niemand wird dich mehr demütigen69». Dieser Verzicht auf die bestehenden sozialen Bindungen, der allen Handkeschen Protagonisten gemeinsam ist, zeigt sich vor allem in Form von Verstößen gegen die bestehenden gesellschaftlichen Normen.

3.3. Normen und Verstöße

Peter Handkes Erzählungen thematisieren Entfremdungsgeschichten : gewöhnlich geht es um einen verkehrten «Entwicklungsprozess» der Protagonisten, die sich von sozialisierten Subjekten in Außenseiter verwandeln. Nicht daß sie von der Gesellschaft abgelehnt wären, vielmehr läßt sich die Lösung ihrer sozialen Bindungen auf ihre eigene, meist instinktive Rebellion gegen das allgemeingültige gesellschaftliche Wertsystem zurückführen. Sie geraten in Konflikt mit der Gesellschaft dadurch, daß sie deren Spielregel ablehnen. Diese Ablehnung, die sich allererst in einer passiv - abwehrenden Haltung zeigt, geht nur gelegentlich in eine offene Revolte über. Die Beweggründe, die diese Attacken der Protagonisten gegen das Bestehende auslösen, bleiben meist unklar : Wahrscheinlich handelt es hier weniger von geplanten und bewußten Handlungen, als von einer spontanen Aufschwung asozialer Aggressivität. Zu Recht konstatiert Christoph Bartmann : «Hier tritt [...] die Lustkomponente der Zersetzung sozialer und Persianer Identität weit deutlicher hervor [...] Was an Zusammenhang gewonnen wird, geht durch eine Dekonstruktion sozialer Verbindlichkeit hindurch, in der das Subjekt lustbetont die Ordnungen des sozialen verwirft. Allgemein formuliert ; Alles Gute, Wahre und Schöne in Handkes Werk ersteht im Durchgang durch eine Negativität, die begriffliche und lebensweltliche Fixierungen auflöst. Dieser Zustand soll 'tabula rasa' heißen[69]». Um den Konflikt von gesellschaftlichen Normen und respektlosem Verhalten der Hauptfiguren zu verdeutlichen muß der Erzähler eine Romanbevölkerung darstellen, die die gesellschaftlichen Spielregel, gegen die die Protagonisten sich wehren, akzeptiert. Folgerichtig sollte es letztendlich zu einem Aufeinanderprallen widerstreitender Interessen kommen, in dem nicht nur die entgegengesetzten Wertsysteme der Romangesellschaft und der Protagonisten eine wichtige Rolle spielen, sondern auch die Auffassung des Lesers. Statt dessen vertreten aber die Handkeschen Protagonisten keine richtige Alternative : Sie begnügen sich mit einer bloßen Dekonstruktion von verlogenen sozialen Verhaltensformen, ohne diesen andere Werte entgegenzustellen. Dies macht dem Leser zwar nicht leicht, sich mit den Hauptfiguren zu identifizieren, läßt ihm jedoch das als sinnlos entpuppte gesellschaftliche Wertsystem kaum reizvoller erscheinen. Dabei zeichnet sich in den drei Romanen eine klare Entwicklungstendenz ab, die eine Nivellierung der Bewertung von Hauptfiguren und Romanbevölkerung erzielt. Während die Protagonisten immer weniger pathologische Züge aufweisen, wirkt die Romangesellschaft mit ihren zweifelhaften Verhaltensmustern selbst in zunehmendem Masse inkohärent.

In dem ersten Text, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, ist von dem Leser noch kaum zu erwarten, sich ausgerechnet mit Bloch solidarisch zu fühlen. Auch wenn man von seinem seltsam zerstörerischen, möglicherweise ja schizophrenen Wahrnehmungssystem und frustrierend ziellosen Verhalten absieht, ist Bloch immerhin ein Mörder : Damit hat er nicht nur ethische Gesetze verletzt, sondern auch allgemeingültige Grundlagen jedes menschlichen Zusammenlebens. Den Mord an der unbekannten Kinokassiererin begeht er aus Ratlosigkeit, bloß weil er nicht mehr imstande ist, die immer anstrengend werdende Konversation weiterzuführen. Dieser Beweggrund erscheint geradezu absurd : Statt die Mordtat zu begründen und zu entschuldigen, verrät er Blochs absolute Unfähigkeit zu jeder Form der gesellschaftlichen Integration. Auch nach dem Mord verhält sich Bloch merkwürdig. Statt den Tatort möglichst schnell zu verlassen, legt er sich nieder und schläft sofort ein. Auch seine spätere Flucht besteht nur aus einem passiven Abwarten der nähernden polizeilichen Ermittlungen. Blochs asoziales und situationsinadäquates Benehmen zeigt sich aber nicht nur in Zusammenhang mit dem Verbrechen, sondern auch in allen üblichen Lebenssituationen. Immer wieder verwickelt er sich in Schlägereien, ohne dafür den geringsten Grund zu haben : «er legte zum Zahlen einen zusammenfalteten Schein auf den Tisch. Jemand neben ihm faltete den Schein auf und sagte, es könnte ja im Schein noch ein andrer Schein versteckt sein. Bloch sagte : Und wenn? und faltete den Schein wieder zusammen. Der Bursche faltete den Schein auf und schob einen Aschenbecher darüber. Bloch griff in den Aschenbecher und warf dem Burschen von unten herauf die Stummel in das Gesicht. [...] Er schlug nach dem Burschen, der ihm den Schein aufgefaltet hatte. Ein Fuß traf ihn von hinten, und er fiel mit dem Burschen gegen den Tisch. Noch im Fallen schlug Bloch auf ihn ein[70]». Blochs soziale Umfeld besteht nur aus losen Verhältnissen, oberflächlichen Bekanntschaften. Weder Freunde hat er, noch eine Lebensgefährtin : Nach einer gescheiterten Ehe mißlingt ihm nun auch die Affäre mit der Kassiererin. Die anderen Figuren, denen er noch in Wien oder auf dem Grenzort begegnet, unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht entscheidend von ihm. «Was diese Figuren und ihre Verhaltensweisen von Bloch unterscheidet - bemerken Nägele und Voris - ist, daß sie in ihrer Realität und im Gebrauch der Sprache zu Hause sind, negativ ausgedrückt, daß sie sich von den Spielregeln der Signifikanten spielen und leben lassen. Zwar ist auch Bloch darin gefangen, aber er ist nicht darin zu Hause, er leidet darunter, die Sprache wird ihm unnatürlich [...][71]». Wenn Bloch von ihnen nicht aufgenommen wird, wenn er nicht «dazugehört», liegt allein an seiner eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit : «Blochs Unverständnis gegenüber kommunikativen Übereinkünften, die ihn zum Opfer einer hinter seinem Rücken kodifizierten Ordnung werden läßt, ist die auf einen Helden übertragene Praxis der Reduktion von Weltbildern auf die reine Aufmerksamkeit gegenüber den Phänomenen. Die Voraussetzungen, aufgrund deren Kommunikation funktioniert, sind im Falle Blochs ausgeblendet, so daß er verwundert und bestürzt auf die kommunikative Kompetenz seiner Gesprächspartner reagiert[72]». Überdies läßt sich feststellen, daß Bloch einzig aufgrund seiner fehlenden Sprachkompetenz und kommunikativen Handikaps zu Mörder und Außenseiter wird.

Ähnlich ergeht es Gregor Keuschnig in der Stunde der wahren Empfindung. Während es in diesem Roman zu einer Radikalisation kommunikativer Normenverstöße kommt, allgemeingültige Gesetze der Menschheit bleiben nun durchaus respektiert. Die Hauptfigur begeht den Mord nur noch in seinem Traum, gerade diese fiktive Tat bedeutet aber das entscheidende Erlebnis für ihn, den Erfahrungsschock, der sein Leben ändert. «Was waren denn die richtigen Dimensionen? Der Traum ist wahr gewesen, und ich habe ihn an diese eingepaukte Harmonie verraten, dachte er. [...] Der Traum ist vielleicht mein erstes Lebenszeichen seit langem gewesen. Er hat mich warnen sollen. Er wollte mich umdrehen, wie jemanden, der lange auf der falschen Seite gestanden hat. Ich möchte die schlafwandlerischen Sicherheiten für den Wachzustand vergessen. Die Sicherheiten zu verlieren, wird anstrengend sein, weil mir täglich dieselben Sicherheiten begegnen werden - die doch nur andre mir vorgeträumt haben. [...] Sagen wir, der Traum der letzten Nacht sei mein Lebenstraum gewesen[73]». Dank diesem Traum entdeckt Keuschnig die bis dahin durch Sozialisation unterdrückten Kräfte seines Unbewußten, die sich von nun an immer weniger bändigen lassen und schließlich zur Selbstentfremdung führen. Dies manifestiert sich vor allem in Keuschnigs ständigen Mordgedanken, die den ganzen Text durchdringen : Überall sieht er Todeszeichen, hat mal Todesangst, mal befürchtet er, die Ehefrau oder die Tochter zu töten. Seine wahre Identität, die sich hinter der Maske der Sozialisation verbirgt, erscheint ihm nun monströs und nahezu furchterregend. Nach der ersten Konfrontation mit seinem Unbewußten kommt sich Keuschnig allmählich über die Verlogenheit der Situation in klaren : Die bestehenden Normen zwingen ihn, ein Doppelleben zu führen. In diesem gesellschaftlichen Spiel befindet er sich jedoch nicht allein, auch die anderen Figuren spielen mit. So bemüht sich Keuschnigs Ehefrau Stefanie, die Verhaltensmuster des fremden Landes so gut wie möglich nachzuahmen : «wie sie es an den Französinnen gesehen hatte[74]» hält sie ihrem heimkehrenden Mann links und rechts den Wangen hin. Die alltägliche Kommunikation erscheint, wie bereits in dem früheren Tormann-Text, auch hier von unversprachlichten Agressionen dominiert. Wenn das Subjekt sich ständig beobachtet fühlt, liegt es nicht allein an seinem schizophrenen Verfolgungswahn, sondern auch daran, daß er tatsächlich beobachtet wird. «'Ich gehe nachschauen, ob sie noch wach ist', sagte Keuschnig, um das verräterische Gesicht von dem Schriftsteller abwenden können. [...] Der Schriftsteller machte inzwischen noch immer Notizen. 'Bist du von der Polizei?' fragte Keuschnig[75]». Die einzig mögliche Befreiung aus dieser einschüchternden, bedrückenden Sozialisation liegt in der Destruktion aller bestehenden Bindungen durch den Verstoß gegen die gesellschaftlich festgelegten Normen. Dies erfolgt bei Keuschnig zuerst, indem er seine bis dahin als Tabus in das Unterbewußte verdrängte Triebe nun wenigstens für sich eingesteht. «Andererseits - und bei diesem Gedanken setzte er sich auf - konnte er sich mit einem solchen Gesicht auch die Gefühle leisten, die bis jetzt nur in den Träumen vorgekommen waren! - Und sofort erinnerte er sich, mit welch fremdem Genuß er in einem Traum eine Frau angepinkelt hatte. Damals hatte ihn das beim Aufwachen geniert. Das war nicht ich, dachte er sofort. Zu seinem neuentdeckten Gesicht aber paßte dieser Genuß ; er war ihm nicht fremd - das war er. Und so wurde ihm klar : mit dem entlarvten Gesicht durfte nichts mehr ihm fremd sein. [...] Keuschnig traute sich alles zu, sogar einen Lustmord. Endlich gestand er sich, daß der Mord an der alten Frau im Traum eine Lustmord gewesen war[76]». Die Destruktion, die in diesem Text - wie Christoph Bartmann zu Recht feststellt - auf dem Lustprinzip beruht, beginnt mit dem Abbau der von Keuschnig internalisierten Wertsysteme. Zuerst besteht Keuschnigs Aufgabe darin, allgemein respektierte Tabus zu brechen und Werte zu bestreiten, die die Gesellschaft gewöhnlich für unerschütterlich erklärt. Das tut er auch während er die Passanten betrachtet und sich dabei obszönen Kinderunarten hingibt : Ein Liebespaar stellt er sich inmitten des Geschlechtsakts vor («Aber warum war der Mann so groß? Unappetitlich, so groß zu sein. Und die Vorstellung, daß er seinen lächerlichen Samen in den armseligen Bauch dieser langweiligen Frau hineinspritzt![77]»), den Gedenktafel des Widerstandskämpfers profaniert er, indem er den Toten ein Arschloch nennt. Die Poesie erscheint ihm auf einmal «unzuständig», seine eigene, «bis jetzt so ernst verrichtete» Arbeit sinnlos, die ganze Welt und er selbst darin lächerlich. Auch der Ehebruch mit seiner Geliebten, Beatrice, genügt ihm nicht mehr : Um seine neulich entdeckte animalische Triebe freizulassen braucht er die Anonymität eines völlig unbekannten Mädchens. Weitere Tabus werden gestürzt, indem er später seiner Frau Stefanie darüber berichtet - und dies sogar vor den Augen ihrer Gäste.

Keuschnigs asoziale Haltung und Protest gegen die Kulturisation zeigt sich auch in der infantilen Versprachlichung von Obszönitäten. Sorgfältig notiert er sich, wie am Nachbartisch im Restaurant jemand sich die Nase bohrt («Einmal, als die Frau den Mann auf die Wange küßte, bohrte er sich nebenbei in der Nase.[78]»), wie dem Schriftsteller vor Lachen der Schleim aus der Nase springt, riecht «fast zufrieden» den eigenen Schweiß und träumt, «daß er in einer fremden Wohnung vergessen hatte, nach dem Scheißen die Spülung zu ziehen, und schon war jemand andrer auf dem Weg zum Klosett[79]». Diese Tendenz zur Vulgarität spitzt sich in seinem Wunsch zu, sich vor den anderen nackt zu zeigen : «Zugleich kam ihm wieder ein Bild aus dem Traum [...] Er war nackt gewesen, [...], wie oft in den Träumen - aber diesmal hatte er, anders als sonst, nackt sein wollen. Er hatte erstmals eine Lust dabei gespürt, sich nackt zu zeigen, und zwar nicht jemandem allein, sondern einer ganzen Gesellschaft ; und statt nur vorbeizulaufen, stellte er sich vor alle hin[80]». Den Gipfelpunkt der Peinlichkeit erreicht die Erzählung allerdings in der Szene, wo dieser Traum des Protagonisten in Erfüllung geht. Nachdem er dem Schriftsteller einen Pfirsichkern ins Gesicht gespuckt hat, zieht sich Keuschnig aus und läuft nackt um den Tisch herum, springt dann zusätzlich die Freundin des Schriftstellers an und beschmiert sich schließlich methodisch mit dem Rest von dem Ragout. Keuschnig, dem es offensichtlich immer weniger gelingt, den Schein des zivilisierten Verhaltens aufrechtzuerhalten, benimmt sich letztendlich als eine «sich UNSTERBLICH BLAMIERENDE Kreatur[81]» und sprengt geradezu lustvoll auch die letzten Überreste seiner Sozialisation. Der ungewöhnlich hohe Peinlichkeitsgrad und auffällige Absurdität dieser unheroischen Revolte entsetzt den Leser (und bekanntlich auch sämtliche Kritiker) und warnt ihn zugleich, sich mit dem buffonesken Protagonisten zu identifizieren. Andererseits müssen wir jedoch erkennen, daß Keuschnigs radikale Verstoß gegen die bestehenden sozialen Normen nicht unbegründet ist, sondern eine Konsequenz der Verlogenheit der Romangesellschaft. Somit ist Keuschnig kein Psychopath mehr, der aufgrund seines Kommunikationshandikaps von einer überwiegend normalen Gesellschaft ausgestoßen wird, sondern ein Rebell, der die Formen gesellschaftlicher Ordnung mit offensichtlicher Lust durchstreicht : «Lächerlichkeit und Peinlichkeit dominieren Keuschnigs Verhalten und sein Bild von sich : Nacktheit, Selbstbesudelung mit «Ragout», aggressive Sexualität stehen dafür. Die «Zote» bedeutet eine Ausdruckslust am «Durchstreichen». Diese Ausdruckslust bringt die «Sinnlosigkeit» ans Ende, weil sie eine Zustandsintensität schafft, in der das «Vorausgedachte», das zu bezeichnen sie begonnen hatte, durch die Lust am Aussagen aufgelöst wird [...][82]».

Während im Tormann-Roman Blochs pathologische Zügen noch überwiegend frustrierend und befremdend wirkten und auch mit Keuschnigs Darstellung nur eine ziemlich beschränkte Lesersympathie erzielt wurde, gilt Marianne in der Erzählung Die linkshändige Frau als die erste wahrhaftig sympathische Handkesche Hauptfigur. Möglicherweise läßt sich dies auf einige Innovationen in Peter Handkes Gesellschaftsdarstellung zurückführen. Im Unterschied zu den früheren Erzählungen erscheint hier die Gesellschaft nun nicht mehr Massenhaft-anonym : Sie besteht aus individuellen Charakteren, die alle gewisse Verhaltensstörungen zu bekämpfen haben. Bruno, Mariannes Ehemann, zeichnet sich durch seine männlich-chauvinistische Haltung aus, mit der er seine Unsicherheit und Ängste zu tarnen sucht. Während einer Geschäftsreise in Finnland erkennt er, daß er das Alleinsein nicht aushält : Er braucht die Familie und das Bedientsein um sich sicher und geborgen zu fühlen. Diese Befürchtung bestätigt sich wenn seine Frau ihn verläßt : er reagiert mit Aggressivität und einem geradezu infantilen Benehmen, schlägt seine Frau, verbrennt ihr Foto und versucht, sie mit Drohungen wieder zu Verstand zu bringen. Später besteht er darauf, ihr Geld zuzustecken, führt ihr vor, wie er im Büro seine «Opfer» einzuschüchtern pflegt und beschimpft sie mitsamt dem ganzen weiblichen Geschlecht : «Älter und älter wirst du werden und sagen, daß es dir nichts ausmacht, und eines Tages wirst du dich aufhängen. Du wirst so unbeleckt ins Grab abstinken, wie du gelebt hast. Wie vergeht dir denn die Zeit bis dahin? Wahrscheinlich sitzt du herum und beißt an den Fingernägeln, nicht wahr? [...] Ihr Frauen mit eurer mickrigen Vernünftigkeit! [...] Und nie ist euch langweilig, ihr Taugenichtsen. [...] Weißt du warum nie was aus euch werden kann? Weil ihr euch nie allein betrinkt! [...] Du und dein neues Leben! Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die ihr Leben auf die Dauer geändert hat[83]». Nach der Bewertung Franziskas hält er allein nicht aus, «er fällt dabei sofort in die alte Kinderunarten zurück[84]». Das komplexe Bild, das sich einerseits aus Brunos eigenen Äußerungen und Benehmen, andererseits aus Franziskas Aussagen zusammenstellt, ermöglicht dem Leser die Figur zu bewerten. Dabei fallen einerseits Unausgewogenheit, Gemütsschwankungen, Aggressivität und Infantilität, andererseits aber eine ausreichende psychologische Motivation ins Gewicht.

Franziska, die Lehrerin ist immer auf die Meinung anderer bedacht. Sie achtet darauf, in jedem Fall eilig Stellung zu nehmen, ihre zu verschiedenen Zeitpunkten geäußerten Meinungen sind aber oft widersprüchlich. Der Erzähler bezeichnet sie als : «eine kräftige Person mit blonden Haaren und einer Stimme, die man aus jeder Menschensammlung heraushörte, auch wenn sie gar nicht laut sprach. Sie redete fast nur in Meinungen, aber nicht aus Überzeugtheit, sondern aus Sorge, daß Gespräche sonst als Tratsch erscheinen würden[85]». Sie vertritt emanzipatorische Ideen und agitiert für eine Gruppe der Frauenbewegung. Franziskas Haltung wird zugleich dadurch abqualifiziert, daß ihre Handlungen sich ausschließlich auf eine grenzenlose Angst vor der Einsamkeit zurückführen lassen («Ich verachte das Alleinsein. Ich verachte mich, wenn ich allein bin.[86]»). In ihren Beziehungen war immer sie die Verlassene, vielleicht deshalb möchte sie Marianne überzeugen, allein nicht lebensfähig zu sein. Nach den meisten Kritikern sei sie als Mariannes Gegenfigur aufzufassen : Sie vertritt Ordnungen der Sozialisation und Kulturisation. Ihre Glaubwürdigkeit als Bewerterfigur wird allerdings entscheidend durch das Scheitern von ihrem eigenen Privatleben eingeschränkt. Negativ lassen sich auch ihre draufgängerische Haltung und Meinungsschwankungen bewerten.

Auch der Verleger, Mariannes Arbeitgeber und Verehrer verhält sich seltsam unmotiviert in der Sphäre des Privaten. Er berichtet von seiner merkwürdigen Trennung von einer Freundin, die allein von seiner augenblicklichen Vorstellung verursacht wurde : Die Freundin könnte ihn bei dem Anblick eines unbekannten jungen Mannes alt und ekelhaft finden. Selbst Mariannes Vater scheint im Leben versagt zu haben und vor allem unter der Einsamkeit zu leiden : «Die Frau fragte : 'Bist du zufrieden, Vater?' Der Vater schüttelte den Kopf und sagte dann, als ob eine Geste als Antwort nicht genügte : 'Nein.' [...] 'Ich glaube, ich habe irgendwann einmal angefangen, in die falschen Richtung zu leben [...] Ich bin so sehr allein, daß es am Abend vor dem Einschlafen oft niemanden gibt, über den ich nachdenken könnte, einfach, weil ich tagsüber mit niemandem zusammen war. Andererseits treffe ich mich zum Beispiel mit jener Frau vor allem, um im Fall des Falles beizeiten gefunden zu werden und nicht zu lange als Leichnam herumzuliegen.'[87]» Die gesellschaftliche Normen, die all diese Figuren vertreten, besagen, daß das Subjekt das Glück nur in einer Gemeinschaft und allein mittels eines Sozialisationsprozess erstreben kann. Ein einsames Leben zu führen bedeutet daß man versagt hat und auf dem Gebiet der Sozialisation kläglich gescheitert ist. Dieses Wertsystem scheint außer der Protagonistin die ganze Romanbevölkerung internalisiert zu haben, deswegen ist ihnen Mariannes freiwillige Wahl, sich von ihrem Mann ohne einen besonderen Grund zu trennen, geradezu unverständlich. Empört oder besorgt setzten sie alles ein, um sie von ihrem Plan abzubringen : «Hast du eigentlich jemals allein gelebt?» [S.28] - fragt ihr Franziska, «Sei mir nicht zuviel allein. Sonst stirbst du mir eines Tages daran» [S.37] - warnt sie Bruno. «Nun beginnt die lange Zeit Ihrer Einsamkeit, Marianne» [S.55], droht der Verleger und selbst der Vater warnt seine Tochter : «Und du wirst auch so enden wie ich, Marianne» [S.92]. Indem die Protagonistin das Bestehende ablehnt und freiwillig auf jede Form der Sozialisation verzichtet, stellt sie die gesellschaftlichen Idealen in Frage. Ihr Protest droht den ganzen sozialen Aufbau, an dem sich die anderen Figuren so verzweifelt festzuklammern suchen, abzustürzen oder als unsinnig zu entlarven. Dabei zeigt sich das normengerechte Verhalten der Figuren kaum effizienter, als Mariannes offene Ablehnung : Zwar wird die Form bewahrt und die Normen aufrechterhalten, trotzdem erscheinen sie alle einsam und unausgeglichen, viel mehr als die Protagonistin selbst. Wie Keuschnig in der Stunde der wahren Empfindung, so wird nun auch Marianne fortwährend beobachtet : «Zur offenen Tür traten Franziska und Bruno herein. Franziska sagte zur Frau : «'Und wir dachten, den einsamsten Menschen auf Erden hier zu treffen.» Die Frau : 'Ich entschuldige mich für den Zufall, heute abend nicht allein zu sein.'.[88]» Alle würden sie gern an einem Fehler ertappen um ihr zu beweisen daß der von ihr gewählten Weg zu keinem Ergebnis führen kann. Wenn ihnen dies nicht gelingt, liegt vor allem daran, daß die Protagonistin ihre Rolle erfolgreich zu Ende spielt. Dadurch erkauft sich Marianne schließlich ihre Freiheit : Wie das offene Ende der Erzählung vermuten läßt, wird ihr die lang ersehnte Ruhe ab nun gewährt. Wir können zwar der fast einstimmigen Kritik beistimmend feststellen, daß der Verzicht auf die psychologische Motivation der Protagonistin bei dem Leser Entfremdung bewirken kann. Dennoch ist nicht zu übersehen, daß Mariannes passive und ruhige Haltung trotz ihrer mangelnden Beweggründen dem Leser weit sympathischer erscheint, als die aggressive, geradezu aufdringliche Intoleranz der anderen Figuren. Indem der Erzähler Marianne zur Zielscheibe von Brunos Arroganz werden läßt, sichert er ihr bereits unvermeidlich die solidarische Haltung des Lesers : «Und du? Hast du schon Krebs? Die Frau antwortete nicht. [...] Du läßt es dir also gutgehen, allein mit DEINEM Sohn, in einem schönen warmen Haus [...] Wie alt bist du eigentlich? Bald wirst du einen faltigen Hals haben, und aus deinem Leberflecken werden Haare wachsen. Dünne Froschbeine, und der Körper darüber ein Plundersack. [...] Die Frau : 'Du siehst furchtbar traurig aus, Bruno.' [89]» In der Erzählung Die linkshändige Frau ist folgerichtig nicht nur die Permanenz des Themas «Auflösung sozialer Bindungen» festzustellen, sondern zugleich auch die der Kommunikationsproblematik, die uns bereits aus den beiden früheren Texten bekannt ist. Die Handkeschen Hauptfiguren - Bloch, Keuschnig, und Marianne bildet darunter auch keine Ausnahme - verstoßen gegen die bestehenden sozialen Normen hauptsächlich dadurch, daß sie die meisten gewöhnten Formen der Kommunikation ablehnen. Auf die Formen und Konsequenzen dieser asozialen Haltung und Kommunikationsverweigerung soll im folgenden näher eingegangen werden.

4. Kommunikationsstörungen

4.1. Wieso versagt die Sprache? Ebenen der Kommunikationsstörung in Handkes Werken

In den vorhergehenden Kapiteln ist uns die Handkesche Sprachproblematik bereits unter vielen verschiedenen Erscheinungsformen begegnet. Die «psychologische Entfaltung und Zuspitzung der Sprachproblematik», die Peter Handke zum ersten Mal am Beispiel der Figur von Josef Bloch demonstriert, bleibt ein permanentes Thema, um das sich auch die späteren Erzählungen zentrieren. Die Kommunikationsstörung, die in allen drei Texten eine entscheidende Rolle spielt, beschränkt sich keineswegs auf das Gebiet der Konversation: Das Dechiffrieren von Schriftsprachen, Plakaten, Wandaufschriften, die Telekommunikation, die verschiedene Formen der Medien bedeuten weitere Ebene der Kommunikation, die in Handkes Erzählungen konsequent verfehlt wird. Die Angst des Tormanns beim Elfmeter ist die Geschichte einer Destruktion sozialer Verpflichtungen mittels Sprache. Blochs Isolation und existentielle Verstörtheit erwachsen aus seinem Unverständnis gegenüber kommunikativen Abmachungen, die für jede Konversation eine grundlegende Bedingung darstellen. «Wenn es darum geht, eine Figur zu abqualifizieren, so ist die beste Methode sie in ihrem Verhältnis zur Sprache zu abqualifizieren[90]», behauptet Philippe Hamon. Das Schreiben oder das Sprechen bedeutet für die Figur eine Konfrontation mit sprachlichen Normen: Diese riskiert eine Bewertung ihrer Kompetenz, eine Sprache zu sprechen. Das wertende Kommentar kann dabei nicht nur auf die Qualität der Sprachverwendung gerichtet werden, sondern auch auf den Effekt, den sie bei dem Hörer hervorruft. In beiden Fällen überzeugt der Text von Blochs Kommunikationsunfähigkeit. Entweder finden die Worte Blochs nicht einmal Beachtung («Ein Polizist, den er grüßte, in der Meinung, ihn zum Stehenbleiben bewegen zu können, grüßte nicht zurück. Bloch fragte sich, ob der Polizist die Worte, die er ihm über die Straße zugerufen hatte, vielleicht nicht richtig ausgelegt hatte[91]»), oder bleibt die erwartete Wirkung aus: «Er versuchte, der Kellnerin in möglichst kurzen Zeit einen Witz zu erzählen; als die Zeit um war und er den Witz noch immer nicht fertig erzählt hatte, brach er mitten im Satz ab und zahlte. Die Kellnerin lachte[92]». Die Grunde für Blochs Sprachstörung sind darin zu suchen, daß er nicht imstande ist, die Mechanismen einer Unterhaltung zu verstehen und die für das Thema relevanten Informationen von den unwichtigen zu trennen. Deshalb gelingt es ihm nur zufällig, auf eine Äußerung eine passende Antwort zu finden: «Bloch bemerkte, daß jedesmal, wenn er etwas erwähnte und davon erzählte, die beiden mit einer Geschichte antworteten, die sie selber mit dem erwähnten oder einem ähnlichen Gegenstand erlebt hatten oder die sie jedenfalls vom Hörensagen von dem Gegenstand wußten. [...] Außerdem sprachen sie von Dingen und vor allem von Personen, die er nicht kennen konnte, als ob er sie kennen müßte oder eingeweiht sei. [...] Bloch dagegen erklärte zu jedem Namen, um wen es sich dabei handelte. Sogar Gegenstände, die er erwähnte, beschrieb er, um sie zu erklären[93]». Anstelle der Kausalzusammenhänge von Aussage- und Antwortsätzen tritt bei ihm das Zufälligkeitsprinzip. Bloch versucht zwar, die Gespräche anderer allein der Form nach nachzuahmen, er vermag aber nicht, die Formen mit einem Inhalt zu füllen. So verwickelt er sich häufig in Gespräche, die er dann aus Ratlosigkeit nicht weiterführen kann: Unschlüssig steht er vor der Aufgabe, eine kohärente Antwort zu produzieren. «Je länger er sprach, desto weniger natürlich kam ihm vor, was er redete. Allmählich schien ihm gar jedes Wort einer Erklärung zu bedürfen. Er mußte sich beherrschen, um nicht mitten im Satz ins Stocken zu geraten. Ein paarmal, wenn er einen Satz, den er gerade sagte, vorausdachte, versprach er sich; wenn das, was die Friseurmädchen sagten, genauso ausging, wie er es beim Zuhören mitgedacht hatte, konnte er zunächst nicht antworten. [...] als er dann stockte und nicht weiterwußte und schließlich nach Sätzen suchte, die er noch sagen könnte, wurde die Umgebung wieder auffällig[94]». Ihren Gipfelpunkt erreicht Blochs Kommunikationsunfähigkeit in der Szene, wo er ohne Motiv, aus bloßer Ratlosigkeit zu Mörder wird, weil ihm gerade nichts Passendes einfällt, um das Gespräch mit der Kassiererin weiterzuführen.

Die Ebene der konversationellen Störungen ist auch in Keuschnigs oder Mariannes Fall von einer entscheidender Bedeutung. Im Vergleich zu Bloch sind diese Figuren durch eine höher qualifizierter Sprachkompetenz gekennzeichnet, die allein schon ihre Arbeit erforderlich macht. Keuschnigs Aufgabe besteht darin, «französische Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, Artikel oder einfach nur Meldungen anzukreuzen, die Österreich betrafen, dann dem Botschafter möglichst jeden Tag eine Zusammenfassung vorzutragen und zweimal im Monat einen Brief für das Außenministerium in Wien zu schreiben[95]». Marianne arbeitet als Übersetzerin: Diese Tätigkeit setzt auch gründliche Kenntnisse mehrerer Zeichensysteme voraus. Wenn sie aus der Kommunikation plötzlich ausgeschlossen bleiben, liegt also nicht an ihrer mangelnden Sprachkompetenz, sondern vielmehr an der eigenen Entscheidung, die Sozialisation rückgängig zu machen indem sie die Kommunikation verweigern: «Wenn mich jetzt jemand anredet, schlage ich ihm die Schädeldecke durch[96]». Diese asoziale Haltung zeigt sich auch in der Ablehnung gewisser konversationellen Normen, die sonst besagen, was ausgesprochen werden darf und was verschwiegen bleiben soll. «Du bedeutest mir nichts. Ich will mir nicht länger vorstellen, mit dir alt werden zu müssen. Ich will nichts mehr von dir wissen», sagt Keuschnig zu seiner Frau gleich am Erzählanfang. Wieder einmal verspricht er sich später, wo er einen spontanen Einfall ausspricht: «Ich hoffe daß du stirbst[97]». Überhaupt kommt in diesen Dialogen häufig zu einer Versprachlichung von Hintergedanken, die den Höflichkeitsregeln gemäß gewöhnlich nicht an den Tag gelegt werden dürften. «'Fast wäre ich auch auf dich hereingefallen [...] Aber dann habe ich bemerkt, daß du, unter deinem ausführlichen Jammern, mich sehr aufmerksam und sogar verschmitzt beobachtet hast. [...] Wie soll ich dir übrigens glauben [...]?[98]», heißt es in der Stunde der wahren Empfindung, «Wenn sie nicht sozusagen eben mein Arbeitgeber geworden wären, würde ich es wagen, Ihnen zu zeigen, wie müde ich bin[99]» -sagt Marianne in der Linkshändigen Frau.

Eine weitere Ebene der Kommunikationsstörung stellen in der Erzählung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter mißlungene Ferngespräche dar. Die Ursache des Versagens liegt nun nicht allein im «Sender» selbst, sonder wenigstens zum Teil auch im «Kanal»: Sooft Bloch versucht jemanden telefonisch zu erreichen, scheitert die Kommunikation an den unzureichenden technischen Bedingungen. Mal verschlingt das Gerät seine Münzen, mal geht ihm das Kleingeld aus oder er findet den Hörer abgerissen auf dem Boden. Wenn endlich alle Probleme beseitigt werden, findet er keinen zu Hause oder ist der Freund, den er anrufen wollte «in einem Trainingslager kaserniert», wo er telefonisch nicht erreicht werden kann. Auch Keuschnig bedeutet es manchmal Schwierigkeiten, sich des Telefons zu bedienen. «Aus Angst, sich beim Telefonieren zu versprechen oder auf einmal nicht mehr weiterzuwissen, schrieb er sich vor jedem Gespräch wörtlich auf, was er dann sagen wollte[100]». Gleichzeitig wird aber hier das Telefon ein wichtiges Mittel, nach der Befreiung von den bestehenden Bindungen eine zweite Sozialisation zu unternehmen. Keuschnig wählt die auf dem Gehsteig geschriebene Nummer einer Unbekannten und verabredet sich mit ihr im Café de la Paix. Da die Erzählung ihn knapp bevor dieses Treffens verläßt, bleibt der Ausgang dieses Kommunikationsversuchs verschleiert, jedoch scheint durch diese Verabredung eine Zukunftsperspektive, ein möglicher Neuanfang angedeutet zu sein. In der Erzählung Die linkshändige Frau bleibt das Telefon weiterhin das Symbol einer zweiten Sozialisation : «Der Verleger : 'Läutet bei Ihnen denn nie das Telefon?' Die Frau : 'In den letzten Tagen kaum mehr. Im Winter überhaupt ganz selten. Vielleicht im Frühjahr wieder? [...] Der Verleger : 'Ich werde mir erlauben, Ihr Telefon manchmal klingeln zu lassen, auch wenn es noch tiefer Winter ist.'[101]».

Zu den Kommunikationsebenen und permanenten Motiven Handkescher Texte gehört auch das Kino. Die meisten Protagonisten sind besessene Kinobesucher. Dies bedeutet dennoch keineswegs, daß ihre Interpretationsversuche auf diesem Gebiet erfolgreicher sind, als in anderen Bereichen des Alltagslebens. Wenn die Figuren nicht mitten in der Vorstellung einschlafen, wie Bloch oder Marianne, dann haben sie es schwer, die Bilder und Geräusche der Filme auszulegen und von den Straßengeräuschen zu unterscheiden. Keuschnig hat im Laufe der Erzählung Die Stunde der wahren Empfindung öfters mit Filmen zu tun : mit Vertigo, Ben Hur, österreichischen Stummfilmen und Fernsehfilmen nach Arthur Schnitzlers Erzählungen. Die letzteren betrachtet er besonders kritisch, er bemängelt hauptsächlich, daß die Personen darin «nicht wirklich lebten, [...] sondern ... nur AUSWENDIG gelernt hatten, WIE MAN LEBEN VORTÄUSCHTE[102]».

Die Werbung, die Medien, Zeitungs- und Buchlektüren, die verschiedenen Formen des Schriftverkehrs bedeuten ebenfalls weitere wichtige Kommunikationsebenen in Handkes Texten. Alle Handkeschen Protagonisten sind eingefleischte Zeitungsleser. Immer wieder kauft sich Bloch Zeitungen, aber nicht nur, wie einige Kritiker behaupten, um den Stand der polizeilichen Ermittlung zu verfolgen, sondern auch schon längst vor dem Mord an der Kinokassiererin. Diese meist passive Art der Kommunikation strengt ihn nicht weniger an, als das Sprechen selbst : An einer Stelle heißt es, daß er die Zeitungen, weil es sich um Wochenendsausgaben handelt, besonders «schwer» empfindet, an einer anderen wird hervorgehoben, daß er «das Durchblättern der Zeitschriften schwer ertrug, andererseits kein Heft, bevor er es ganz durchgeblättert hatte, zur Seite legen konnte[103]». Während er sich in dem Aufblättern von Zeitungen «geübt» erweist, übertrifft das Dekodieren und Verstehen des Gelesenen zumeist seine Fähigkeiten. «Er zog die Zeitung aus der Innentasche seines Rocks, schaute auf die Buchstaben hinunter, las aber nicht. Dann plötzlich fand er sich dabei, wie er las. [...] Als, ohne daß ein Absatz gemacht wurde, die Sätze unvermittelt von etwas ganz anderem [...] handelten, schrak er auf. 'Da hätte man doch einen Absatz machen müssen!' dachte Bloch, der nach dem kurzen Aufschrecken wütend geworden war[104]». Die Aggressivität der Figur steigert sich jedes Mal, wo ihm das, was er wahrnimmt, leeres Formel bleibt, dessen Sinn er nicht zu ergreifen vermag. Andererseits fehlt ihm auch an Konzentrationsvermögen um das Dechiffrieren zu Ende zu führen. Deshalb schaltet er den Musikautomaten ein, geht aber hinaus noch bevor die Platten gespielt hätten, läßt in einer Bar den Fernsehapparat einschalten, schläft aber sofort ein oder wendet sich unbeteiligt woandershin. Er liest abgefetzten Kinoplakate und empfindet Ekel für «gewisse Reklameversen, Schlagermelodien oder Staatshymnen [...] die er bis in den Schlaf hinein nachsprechen oder nachsummen mußte[105]».

Keuschnigs Interesse für die Medien ist eng mit seinem beruflichen Tätigkeitsbereich verknüpft : Er ist verpflichtet, das in der französischen Presse überlieferte Bild Österreichs zu verfolgen und zu korrigieren. Dabei entwickelt er sich eine besondere Lesemethode die darin besteht, einen Filzstift in der Hand die «sogenannten Kraftsätze» und vor allem Wörter wie «Autriche» oder «autrichien» herauszufinden. Anstelle des Inhalts der gelesenen Artikel zählen für ihn bei der Lektüre allein die wenigen vorausformulierten Richtlinien, die er offiziell zu folgen hat. Allerdings bleibt die Kommunikation nicht nur aufgrund dieser oberflächlichen Lesemethode aus. Auch die berichtigenden Briefe an die Medien, die Keuschnig verfaßt und seine Rapporte an das Außenministerium bleiben unbeachtet. Die Lektüre spielt auch in der Erzählung Die linkshändige Frau eine wichtige Rolle. Der Bruch mir der Aussenwelt manifestiert sich hier in dem allmählichen Verzicht der Protagonisten auf die Lektüre der Tagespresse. «Sie betrachtete ihn ohne Überraschung und sagte : «Ich lese gerade, seit langem wieder, eine Zeitung. Ich wußte gar nicht mehr, was in der Welt vor sich geht. Welchen Monat haben wir denn?» Der Schauspieler setzte sich zu ihr : «Februar.» «Und in welchem Erdteil leben wir?»[106]. Anstelle der Aktualität der Zeitungslektüre tritt wie bei Keuschnig, auch bei Marianne die langsame Zeitlosigkeit der Belletristik. Keuschnig kauft sich die Erzählungen von Henry James («Endlich etwas, das keine Zeitung war [...] Im Lesen und immer Weiterlesen freute er sich darauf[107]».), während Marianne sich der Lektüre und Übersetzen des Erfahrungsberichts einer jungen Französin widmet. Diese Erzählung steht in auffälliger Parallele zu ihrer eigenen Geschichte, zu deren Interpretation die zitierten Passagen vielleicht den fehlenden Schlüssel liefern : « 'Im Land des Ideals : Ich erwarte von einem Mann, daß er mich liebt für das, was ich bin und für das, was ich werde.' Sie hob die schultern. [...] 'Bis jetzt haben alle Männer mich geschwächt. Mein Mann sagte von mir : 'Michèle ist stark. In der Wirklichkeit will er, daß ich stark sei für das, was ihn nicht interessiert : für die Kinder, den Haushalt, die Steuern. Aber bei dem, was mir als Arbeit vorschwebt, da zerstört er mich. Er sagt : 'Meine Frau ist eine Träumerin.' Wenn träumen heißt, das sein wollen, was man ist, dann will ich eine Träumerin sein.'[108]».

Schließlich soll hier noch auf die Kommunikationsebene der Partnerschaftbeziehungen eingegangen werden. Da diese zu den wichtigsten Bedingungen eines erfolgreichen Sozialisationsprozesses zählen, tragen sexuelle oder Liebesbeziehungen wesentlich zu der gesellschaftlichen Integration der Romanfiguren bei. Auf dieser Ebene scheitert in den Handkeschen Texten die Kommunikation fast ausnahmslos. Die Figuren, die im Liebesakt nach Selbsterlösung oder Geborgenheit suchen, versagen, indem sie nichts als Unpersönlichkeit und anonyme Körperlichkeit finden. Diese beinahe animalische und sprachlose Sexualität scheint das durch die Sozialisation Verdrängte zu befreien, vermag aber nicht, den permanenten Angstzustand der Protagonisten dauerhaft zu ändern. In der Angst des Tormanns beim Elfmeter versucht Bloch mit einem unbekannten Mädchen, das er soeben zufällig kennengelernt hat, gleich in den nächstbesten Hauseingang zu gehen. Was ihm da nicht gelingt, wiederholt sich mit mehr Erfolg etwas später mit der Kinokassiererin : «Das Mädchen blieb stehen, wandte sich ihm zu und berührte ihn auch, so heftig, daß er erschrak. Die Handtasche in ihrer freien Hand kam ihm einen Augenblick lang vertrauter vor, als sie selber. [...] er ging zu ihr hin, und sie ließen sich sofort miteinander ein[109]». Das gleiche Thema wiederholt sich in der Stunde der wahren Empfindung, wo Keuschnig mehrere ähnlich seelenlose Geschlechtsakte vollzieht. Durch diese aggressive Sexualität manifestiert sich der Wunsch der Hauptfigur, sich als Triebwesen zu gebärden und die eigene Kulturisation rückgängig zu machen. Das Geschlechtsakt kann ihn aber nicht, oder nur für kurze Zeit, aus seiner Todesangst herauslösen und statt ihn zu befriedigen trägt folgerichtig nur noch weiter zu seiner existentiellen Entfremdung bei. Dies zeigt sich besonders in der Szene mit Beatrice : «Er ließ sich nicht von ihr ausziehen. Wenn sie ihn berühren sollte, würde er sie mit der Faust zu Boden schlagen. Das-die-Hose-über-den-Stuhl-Legen ; das-sich-nebeneinander-ins-Bett-Legen ; das-das-Glied-in-die-Scheide-Aufnehmen. Als sie mit dem Fingernagel seinen Penis streifte, hatte er das Gefühl, daß sie ihn mit einer widerwärtigen Hautkrankheit ansteckte. Dazwischen, wenn ihr Bauch ihn leicht berührte, glaubte er, wieder beschützt zu sein, aber beim Orgasmus kam statt etwas Heißem ein Kälteschauer aus ihm, der auch sofort den ganzen Körper überzog[110]». Die schmerzliche Sehnsucht nach einem Verbündeten, und vor allem nach Selbstverständigung, kehrt auch nach dem Liebesakt mit dem unbekannten Mädchen gleich zurück, sobald die «Geilheit» vorbei ist : «Ohne Angst vertiefte er sich in sie : sie hatten voreinander keine Geheimnisse, aber ein gemeinsames Geheimnis vor den andern. [...] Er schaute sie unverwandt an und dachte auf einmal : Jetzt habe ich also eine Verbündete! [...] Doch als er in seinem Zimmer einmal an sie dachte, bekam er Atemnot, weil ihn nichts mehr daran erinnerte, wie er mit ihr geschlafen hatte[111]». In allen der zitierten Fällen wird die Darstellung unpersönlicher Sexualität, die gleich nach Vollzug des Geschlechtsaktes in Unbehagen und Kommunikationschwierigkeiten übergeht, zu einem der kräftigsten Symbolen der Unmöglichkeit sozialer Verständigung in Handkes Werken.

4.2. Die Welt als semiologisches System: Interpretation und Dechiffrierung

In allen Texten Peter Handkes irren die Hauptfiguren in der Aussenwelt wie in einem Labyrinth herum, das von ihnen eine ununterbrochene Arbeit des Deutens und Dechiffrierens verlangt. Wie Rolf Günter Renner zu Recht darauf hinweist, wird Sprache bei Peter Handke einerseits als «Ordnungsmacht namhaft gemacht», andererseits handelt sich hier «von der Sprache als einem Sozialisationsfaktor» : In der Angst des Tormanns beim Elfmeter ist «Das Verhalten von Bloch [...] nicht nur bedingt durch die Macht der symbolischen Ordnung der Sprache, die für Bloch zu Obsession wird. In seiner Geschichte zeigt sich auch, was geschieht, wenn sich der einzelne der verbindlichen Signifikanz der symbolischen Ordnung zu entziehen sucht. [...] Zunehmend wird deutlich, daß Bloch einen eigenen Kode der Interpretation von Wirklichkeit entwickelt[112]». Tatsächlich wird im Tormann-Text zum ersten Mal deutlich gemacht, daß dem Subjekt nur mittels eines geeigneten sozialen Kodes gelingen kann, sich der Wirklichkeit zu bemächtigen. Andernfalls zerfällt einem die Wirklichkeit in losen Wahrnehmungselementen und der Zusammenhang, wie es an der Geschichte Blochs gezeigt wird, geht unwiderruflich verloren. Für Bloch ändern sich die Dimensionen der Welt dadurch, daß er überall Zeichen sieht : «Buchstäblich war alles, was er sah, auffällig. Die Bilder kamen einem nicht natürlich vor, sondern so, als seien sie extra für einen gemacht worden. Sie dienten zu etwas. Wenn man sie ansah, sprangen sie einem buchstäblich in die Augen. 'Wie Rufzeichen, dachte Bloch. Wie Befehle![113]» Während in Blochs Interpretation alles zum Indiz wird, lösen sich die Bedeutungen von den Wörtern und wird damit Signifikanz aus dem Blickfeld ausgeschaltet : «Kaum hatte er die Augen geschlossen, waren ihm Blumen und Teekessel schon unvorstellbar geworden. Er behalf sich, indem er statt Wörtern für diese Sachen Sätze bildete, in der Meinung, eine Geschichte aus solchen Sätzen könnte ihm erleichtern, sich die Sachen vorzustellen[114]». Indem Bloch «Leseversuche» unternimmt, um die Welt um ihn herum zu deuten, erscheint ihm alles in zunehmendem Masse entfremdend und seltsam zusammenhangslos. Hinter allen Gegenständen vermutet er einen versteckten Inhalt, den er zu ermitteln sucht, nichts steht einfach nur für sich, sondern alles muß für ihn eine Hinweisefunktion haben. Die höchste Gefahr besteht allerdings darin, daß Bloch, indem er sich einen eigenen Kode schafft, den gemeinsamen Kode verliert. Dieser ist aber eine wichtige Voraussetzung der Kommunikation, und folglich auch der Sozialisation. Indem Bloch zu den Signifikanten, aus denen die fremden Aussagen bestehen, einen unterschiedlichen Sinn heftet, vermag er die Unterhaltung anderer Figuren allmählich nicht mehr zu entziffern. Deshalb fühlt er sich ausgeschlossen oder verhöhnt, und reagiert häufig mit einer überraschenden Aggressivität. «Mit einem Mal erschien ihm die Tatsache, daß es gerade ein Postamt war, in dem er 'nicht mehr durchkam', nicht als Tatsache, sondern als schlechter Witz, als eine jener Wortspielereien [...] Schon die Erzählung des Briefträgers [...] war ihm als plumpe Zweideutigkeit, als ungeschickte Anspielung vorgekommen, ebenso als das Glückwunschtelegramm, in dem die Wörter so geläufig waren, daß sie einfach nicht so gemeint sein konnten. Und nicht nur was geredet wurde, war eine Anspielung, sondern auch die Gegenstände ringsherum sollten ihm etwas andeuten. [...] Was steckte dahinter, wenn sie 'Alles Gute' diktierte? 'Mit herzlichen Grüßen: was sollte das heißen? Für was standen diese Floskeln? Für wen waren 'Die stolzen Großeltern ein Deckname? [...] Jetzt hatte ihn am hellichten Tag diese verhaßte Wortspielkrankheit befallen[115]». Während Blochs Unfähigkeit, sich des gemeinsamen Kodes zu bedienen als ein Hindernis zwischenmenschlicher Verständigung dargestellt wird, werden in der Erzählung zugleich auch die 'normalen' Interpretationsmechanismen hinterfragt. Sprache und Kode erscheinen nun nicht mehr naturgegeben und selbstverständlich, sondern auf einmal wird es deutlich, wie verletzlich die Ordnung der Sprache ist, die dem Menschen die Welt ordnet. Mit Rainer Nägele und Renate Voris können wir also feststellen, daß als einziges Unterschied zu Blochs Verhalten «übernehmen [die anderen Figuren der Erzählung] die Sprache und die Realität, die diese Sprache bezeichnet, unreflektiert. Ihr Leben wird von den Signifikanten der andern gespielt. Mechanisch interpretieren sie die Wirklichkeit nach einem Kode, der wenigstens so fragwürdig ist wie der Blochs, wenn er eine fehlende Begrüßung als Entlassung interpretiert. Der Unterschied ist nur, daß ihr Kode ein weit verbreiteter und akzeptierter ist, aber eben dies verleiht ihm auch die implizite Gewalttätigkeit[116]

Um Kode und Zeichendeuten geht es auch in der Stunde der wahren Empfindung, wo die Sprachproblematik des Tormann-Textes weitergedacht wird. Wie vorher Josef Bloch, zeigt nun auch Keuschnig eine klare Tendenz, überall Zeichen und Indizien zu sehen, welche ihm über seine Zukunft etwas mitteilen sollen. Der Wind, der eine Parkverbotstafel umwirft, die Luke in der Parkmauer, die Zahl der Rippen einer Heizplatte werden alle zu Todeszeichen für ihn, vor denen er sich erst einmal in der Pressekonferenz in Sicherheit fühlt. «Das nächste Zeichen war das Restaurant an der Ecke : Wenn es in einem Restaurantführer empfohlen wird, dann kann nichts passieren, dachte er ; wenn nicht - das Restaurant war in den drei Führern nicht einmal erwähnt![117]». Das entscheidend Neue im Vergleich zu dem Tormann-Roman ist hier die Entdeckung der «wahren Empfindung» : Indem das Subjekt die Gegenstände aus den konventionellen sozialen Zusammenhängen herausgelöst ohne Hinweisefunktion wahrnimmt, kann es sich aus der reflexiven Ordnung der Gesellschaft befreien. Dies begreift Keuschnig durch eine plötzliche Erleuchtung beim Anschauen der drei Dinge im Sand des Kinderspielplatzes. Im Laufe der Erzählung findet er auch heraus, wie er aus dieser wahren Empfindung in seinem eigenen Leben Nutz ziehen kann : «Jetzt erschien ihm die Idee, die ihm gekommen war beim Anschauen der drei Dinge im Sand der Carré Marigny, anwendbar. Indem ihm die Welt geheimnisvoll wurde, öffnete sie sich und konnte zurückerobert werden. [...] er sah [...] neben den Eisenbahngleisen einen alten Schirm liegen : er war kein Hinweis auf etwas andres mehr, sondern eine Sache für sich, für sich schön oder häßlich, und häßlich und schön gemeinsam mit allem andren[118]».

4.3. Aggressivität und Machtverhältnisse

Was die Kritik nach Erscheinen der Die Angst des Tormanns beim Elfmeter an dem Handkeschen Schrifttum am meisten auszusetzen hatte, war die ahistorische, ja narzißtische Haltung des Autors. «Es bleibt also die entscheidende Frage nach der künstlerischen Generalisierbarkeit dieses Wahrnehmungssyndroms - schreibt Manfred Durzak. - Ist es als Zugang zur Wirklichkeit transponierbar auf ein bestimmtes Existenzgefühl in einer bestimmten historischen Situation, in der Handke schreibt? Und hier zeigen sich dann auch die Orientierungs- und Einordnungsschwierigkeiten der Literaturkritik bei Erscheinen des Buchs[119]». Anders formuliert, was sich nach der Meinung vieler Kritiker in Handkes Texten durchgesetzt hat, ist ein literarischer Entwurf «wuchernder Innenwelt». «Autoren sind immer exemplarische Produkte ihrer Gesellschaft. Nur deswegen sind ihre Reaktionen interessant», behauptet Martin Walser[120] in einem Aufsatz, und fügt speziell auf Handke bezogen besonders sarkastisch dazu : «Er bildet nicht Welt ab, sondern den Schmerz, den auch schon die geringste Identifikationsbewegung ihm bereitet : [...] Er wäre am liebsten nur mit sich selbst identisch. [...] Dieser Schmerz macht begreiflich, warum er, schambesessen, alles abstößt, was er nicht selber hervorbringen kann». Wenn man das Repräsentationsgewicht eines Autors allein von der Schärfe der Realität seiner Wirklichkeitsdarstellung rechtfertigen will, wie Walser es tut, kritisiert man eventuell zu Recht die Handkesche Subjektivität. Wie aber bereits in der Einleitung darauf hingewiesen wurde, vertreten wir hier die Meinung, daß literarische Werke auf keinen Fall als unmittelbare Widerspiegelungen oder historische Dokumente einer konkreten sozialen Situation zu lesen sind. Demzufolge fällt es nicht schwer, in den hier behandelten Texten eine wichtige soziale Dimension zu erkennen.

In den Erzählungen Peter Handkes geht es meistens um eine Lösung der Protagonisten aus den bisherigen Lebens- und Wahrnehmungszusammenhängen. Diese Dekonstruktion der Sozialisation wird dadurch erforderlich, daß die bestehenden Beziehungen von verhüllten Machtverhältnissen dominiert sind, von denen sich das Subjekt nun zu befreien sucht. Die aggressive Grundhaltung, die im Bereich der Sprache vorherrscht und dadurch die ganze zwischenmenschliche Kommunikation bestimmt, kann keineswegs als eine subjektive Erfindung des Autors abqualifiziert werden. Peter V. Zima sieht die wichtigste Aufgabe der Textsoziologie darin, die funktionale Wechselbeziehung zwischen einer realen gesellschaftlichen Struktur und deren fiktiven literarischen Darstellung durch die Sprache zu erfassen. «Erst wenn es gelingt, die Gesellschaft als Text und gesellschaftliche Interessen als sprachliche Äußerungen zu beschreiben, kann die Kluft zwischen Text und Kontext überbrückt werden», behauptet Zima[121] und beruft sich dabei auf einen Aufsatz von Mukarovsky : «[...] Der Sinn eines jeden Wortes und allgemein eines jeden Bestandteils der Sprache ist fest in der Gesamtheit der semantischen Struktur einer bestimmten Sprache verankert [...] und diese Struktur wiederum hat ein bestimmtes Verhältnis zur Wirklichkeit, zu einem besonderen Wertsystem, mit dessen Hilfe das Kollektiv zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung seine Einstellung zu dieser Wirklichkeit definiert. Wenn wir deshalb behaupten, daß alles, was ein poetisches Werk enthält, notgedrungen sprachlich vermittelt ist, so wollen wir damit gleichzeitig sagen, daß durch die vermittelnde Instanz der Sprache das poetische Werk aufs engste mit der Gesellschaft verflochten ist». Wenn wir Zimas Standpunkt annehmen, kann uns nicht entgehen, daß sich die Darstellung mißlungener Kommunikationsversuche in Handkes Texten auf existierende gesellschaftliche Probleme bezieht, die durch die Sprache vermittelt werden. Der ideologische Stellenwert Handkescher Dialoge kann allerdings nur dann aufgedeckt werden, wenn man diese ideologisch motivierten Äußerungen im Kommunikationszusammenhang betrachtet. Sprachsoziologische bzw. -psychologische Untersuchungen haben längst bewiesen, daß Sprache nicht nur über eine Mitteilungsfunktion verfügt, sondern gleichzeitig auch die Haltung des Sprechers dem Gesprächspartner gegenüber ausdrückt. In seinem Buch Die vermittelnde Sprache verweist François Flahault[122] darauf, daß in der menschlichen Kommunikation jeder einzelne Sprechakt in Bezug auf ein «Wer bist du für mich, wer bin ich für dich» geäußert wird. Jeder Sprechakt braucht Anerkennung, die ihm jedoch nicht immer gewährt wird : Gesprächspartner müssen sich zuerst sich gegenüber behaupten, damit ihre Äußerungen in der Tat Beachtung finden. Völlig harmlos erscheinende Dialoge bergen folglich oft verkannte Aggressivität und Einschüchterungsmechanismen in sich, wie es auch in Handkes Texten verdeutlicht wird.

Wie Einschüchterung und Dominationsversuche in der alltäglichen Kommunikation funktionieren, wird am deutlichsten an Mariannes Beispiel gezeigt. Die Frau fällt öfters verschiedenartigen sprachlichen Aggressionen zu Opfer, die ihr Ehemann, Bruno, zu ihrer Einschüchterung verwendet. Manchmal stellt er Mariannes Kompetenz, ein selbständiges Leben zu führen, in Frage, ohne sie jedoch offen anzugreifen. Diese verhüllte Methode der Machtausübung hat zum Vorteil, daß sie der Angegriffenen keine Gelegenheit bietet, sich zu verteidigen, da diese dem Anschein nach ja nicht einmal attackiert wurde. «Ich wollte doch nur deinen Mantel näher anschauen. Da fehlt nämlich ein Knopf», heißt es an einer Stelle, und an einer anderen steht : «Franziska meint, Stefan sei in letzter Zeit auffällig verschlossen. Außerdem wasche er sich nicht mehr. Nach ihrer Meinung nach deute das darauf hin ...[123]». In beiden Fällen verweisen die scheinbar harmlosen Äußerungen Brunos darauf, daß Marianne und ihr Sohn sich seit der Trennung der Eheleute in einem zunehmend verwahrlosten Zustand befinden. Daraus wäre folglich der Schluß zu ziehen : Marianne könne allein nicht für sich und ihr Kind sorgen, sondern ihr Leben lang bräuchte sie Brunos weitere Unterstützung. Eine offener verkündete Methode der Einschüchterung ist das «Macht-Starrung», das Bruno scheinbar seinem Sohn präsentiert, kaum verhüllt ist aber dabei seine Absicht, damit auch Marianne zu beeindrucken : « «Stefan, ich werde dir jetzt zeigen, wie ich die Leute einschüchtere, die zu mir ins Büro kommen. [...] Erst einmal zwänge ich mein Opfer mit seinem Stuhl auf einen sehr engen Raum, wo es sich machtlos fühlt. Ich spreche ganz nah vor seinem Gesicht. [...] Es ist auch wichtig, bestimmte Schuhe zu tragen [...] und ganz strahlend geputzt müssen sie sein! [...] und das wichtigste dabei ist das Einschüchterungsgesicht.» Er setzte sich vor die Frau hin und fing zu starren an ; stützte dabei den Ellbogen auf den Tisch, bei angewickeltem Unterarm, und schloß die Finger zur Faust [...][124]».

Neben Bruno versuchen auch andere Figuren, auf Marianne einen entwaffnender Druck auszuüben, indem sie die Frau durch die Versprachlichung einer peinlichen Situation beängstigen wollen. Dies tut zum Beispiel der Verleger, der Marianne an einem Abend einen unerwarteten Besuch gestattet : «Sind Sie nicht gern mit mir zusammen? Ich habe das Gefühl, Sie beschäftigen sich mit dem Kind nur so ausführlich, um nicht auf mich eingehen zu müssen. Warum spielen Sie das Mutter-Kind-Spiel? Haben Sie denn was von mir zu befürchten?» Die Frau schob das Kind weg und sagte : «Vielleicht haben Sie recht» [...][125]». Diese Vehaltensmuster können sich bis zur offenen Drohung steigern, wie im Keuschnigs Dialog mit dem österreichischen Schriftsteller. Dieser provoziert absichtlich Keuschnig, um ein Geständnis aus ihm herauszubekommen. Eine Zeitlang gelingt es Keuschnig, dem Druck zu widerstehen, dann bricht aber sein Widerstand zusammen. Bald begibt er sich in die Defensive. «Du kannst dich also vor mir einstweilen sicher fühlen», droht ihm der Schriftsteller, der bald zum offenen Angriff übergeht, «Es hat übrigens keinen Sinn, wenn du mir jetzt extra in die Augen schaust : so kannst du mich nicht mehr täuschen. [...] Du willst nichts für dich tun lassen, Gregor [...] als hättest du Angst, man könnte dir, indem man etwas für dich tut, so nahe kommen, daß du durchschaut wirst. Was verschweigst du?» [...] Keuschnig [...] schaute den Schriftsteller wirklich an, flehend, und jetzt blickte dieser weg, aber nicht barmherzig, sondern wie jemand im sicheren Vorgefühl des Triumphes [...] ; mit einem eleganten Lächeln abgewandt von seinem Opfer, das noch lebte, es nur nicht mehr wußte[126]».

Unter den Handkeschen Figuren befinden sich nicht nur solche, die anderen zu dominieren versuchen, sondern auch solche, die keine derartige Machtansprüche erheben. Als solche «inoffensive» Figur wird auch Marianne dargestellt, die alle anderen Figuren der Erzählung zu unterdrücken suchen. «Du gehörst zu den wenigen Leuten, vor denen man keine Angst haben muß. Und außerdem bist du eine Frau, vor der man nichts spielen will[127]», sagt Bruno zu ihr. Auch dem Verleger oder dem Schauspieler fällt der durchaus a natürliche und sanfte Eindruck, den die Frau auf sie macht. Mariannes Triumph besteht darin, sich aus diesen Beziehungen, wo andere auf sie einzureden und sie einzuschüchtern suchen, loszulösen, ohne dafür die aggressiven Verhaltensmuster ihrer Gegner in Anspruch zu nehmen. Diese Gewaltlosigkeit ist die wichtigste Voraussetzung eines Neuanfangs im Mariannes Leben, von der aus sie eine zweite Sozialisation unternehmen kann. Durch diesen symbolischen Verzicht auf Einschüchterungsmechanismen, die in Handkeschen Erzählungen immer wieder enthüllt werden, schafft der Autor hier eine sprach- und gesellschaftskritische Utopie, die nicht übersehen werden kann.

5. Zusammenfassung

1. Nach einem - in der Einleitung skizzierten - Vorwurf der Kritik hindere seine entstellte Außenweltdarstellung Peter Handke daran, auf die gesellschaftliche Wirklichkeit Bezug zu nehmen. Nun haben wir gesehen, daß für eine soziale Dimension nicht die lebensechte Nachahmung der Wirklichkeit ausschlaggebend ist, sondern eine Analogie : Die Fiktion soll (und kann) nicht mit der realen Welt identisch sein, vielmehr liegt die Aufgabe des Romans darin, wie die Gesellschaft zu funktionieren. Demzufolge läßt sich feststellen, daß eine Deformation der realen Welt nicht das völlige Ausbleiben jeder sozialen Dimension bewirkt, sondern, ganz im Gegenteil, eines der wichtigsten künstlerischen Mittel ist, um die Realität auf der Ebene der Literatur zu erheben.

2. Ein anderer Vorwurf der Kritik lautet folgendermaßen : Wegen der pathologischen Zügen der Protagonisten beschränken sich die Handkeschen Erzählungen auf wenige nicht generalisierbare Einzelfälle. Dies ließe auch die Wirklichkeitsdarstellung in Handkes Werken als relativiert und verharmlost erscheinen. An diesem Punkt soll nun einerseits die Frage gestellt werden : Ist die Kritik überhaupt berechtigt, die fiktiven Figuren dieser Erzähltexte wegen ihrer emotionalen bzw. moralischen Rückständigkeit zu verurteilen? Solche psychologische Begriffe zu verwenden hat ja überhaupt keinen Sinn dort, wo nicht von realen Personen, sondern von Romanfiguren, d.h. von bloßen sprachlichen Zeichen die Rede ist. Anderseits ist die Figurenwahl eines Autors bekanntlich entscheidend durch die Erzählstrategie bedingt : Wenn der Autor seine Protagonisten unter Außenseiter und Randschichtsfiguren wählt, dann geschieht dies in der Absicht, der Identifikation des Lesers mit den Figuren bewußt entgegenzuwirken.

3. Ist in einem literarischen Werk statt Identifikation und Lesersympathie ausgerechnet die Entfremdung des Lesers erzielt, so bedeutet dies keineswegs, daß der Text gleich auf jede Wirkung verzichtet. Gerade die Entfremdung kann nämlich den Leser in jene mißtrauische, skeptische Zurückhaltung versetzen, die für die Gesellschaftskritik einen besonders fruchtbaren Boden bedeutet. In den behandelten Texten läßt sich beobachten, wie alle möglichen künstlerischen Mittel im Dienste einer solchen Distanzierung gestellt werden. Die seltsame Sehweise und die eingeschränkte Verläßlichkeit der Reflektorfiguren, der Außenseiterstatus der Protagonisten und der hohe Peinlichkeitsgrad ihrer unheroischen Revolte bewirken eine zunehmende Desorientierung und kritische Distanzierung beim Leser. Noch verfremdender wirkt aber der Sprachgebrauch, der, so lautet der dritte Punkt der Kritik, dem Narzißmus und der rückhaltlosen Subjektivität des Autors zuzuschreiben ist. Demzufolge sei hier Sprache nicht mehr zur Mitteilung verwendet, sondern um Mitteilung zu verschlüsseln. Kommunikationsstörung gehört in der Tat zu den permanenten Themen Handkescher Schrifttums. Die Unmöglichkeit, die Welt zu entziffern, bedeutet nicht nur dem Leser Schwierigkeiten, sondern auch allen der Hauptfiguren. In Handkes Erzählungen versucht der einzelne, sich den gesellschaftlich fixierten Normen zu entziehen, indem er auf den gemeinsamen sozialen Kode verzichtet. Dadurch verliert er aber zugleich die Fähigkeit, sich der Wirklichkeit (die offensichtlich eine soziale Wirklichkeit ist) zu bemächtigen. Während also Peter Handke das Scheitern der Kommunikationsabsichten von seinen Figuren darstellt, werden auch die Automatismen unserer mechanischen Interpretationsversuche bloßgelegt, die zumeist nach einem fragwürdigen, fremden Kode erfolgen. Die implizite Gewalttätigkeit der Sprache und die verhüllten Machtverhältnisse, die alltägliche Kommunikation bestimmen, werden bei Handke methodisch entlarvt und scharf kritisiert. Die sozialen, ja gesellschaftskritischen Aspekte dieser künstlerischen Haltung können demzufolge kaum übersehen werden.

4. Schließlich soll hier noch auf einem letzten Vorwurf der Kritik eingegangen werden, nach dem das Zerschlagen der konventionellen Erzählmuster solche Rezeptionschwierigkeiten hinter sich zieht, deren zufolge der Text ohne Kommunikation bleiben kann. In den vorhergehenden Kapiteln sind wir ausführlich darauf eingegangen, daß im Fall Peter Handkes kaum von grundlegenden Deviationen von den gültigen Erzählnormen gesprochen werden darf. Die fehlenden auktorialen Anweisungen, die dem Leser die Bewertung der Figuren erleichtern könnten, der Verzicht auf die inneren Beweggründe der Figuren, die Unverläßlichkeit der Wahrnehmung der Reflektorfiguren können heute kaum mehr als erzählstrategische Normenverstöße aufgefaßt werden. Außerdem sind wir im Laufe der Analyse zu dem Schluß gekommen, daß Innovationen, die im Vergleich zu den überaus veränderlichen Erzählnormen der jeweiligen Epoche eine Abkehr darstellen, nicht als eine Schwäche der Erzählung, sondern als eine Garantie poetischer Qualität anzusehen sind.

Schwieriger zu beurteilen ist allerdings, ob Handkes Werke mit dem Publikum eine Kommunikation bewirken oder ihre «aufklärerische und bewußtseinsfördernde Intention» etwa tatsächlich an der «radikalen Verfremdung des literarischen Diskurses» scheitert, wie die konservative zeitgenössische Kritik das so gerne behauptete. Was dies betrifft, lassen wir lieber die Zahlen sprechen : Der 1970 erschienene Tormann-Text, «der bereits kurz nach Erscheinen die unteren Ränge der Spiegel-bestsellersliste erklomm und zwei Jahre später, bis zum Erscheinen der Taschenbuchausgabe, die Auflagenhöhe von über 50 000 Exemplaren erreichte[128]», wurde 1972 bereits ins Amerikanische übersetzt und machte den jungen Autor damit auch in den USA bekannt. «Der Erstaufgabe folgte 1972 die Taschenbuchausgabe, die den Erfolg fortsetzte», bemerken Nägele und Voris, die an diesem Phänomen besonders überraschend finden, daß «hier ein Autor von einer das Publikum sonst eher abschreckenden experimentellen Literatur herkommend einen Markterfolg aufweisen kann, der sonst in der sogenannten seriösen Literatur nur relativ traditionellen Erzählern wie Grass, Böll und Lenz vorbehalten war[129]». Diese Popularitätskurve Handkes, die später mit der Veröffentlichung seiner Erzählungen Die linkshändige Frau, Der kurze Brief zum langen Abschied, Wunschloses Unglück und Die Stunde der wahren Empfindung kulminierte, spricht mehr als jede Argumentation für den Erfolg von Handkes Kommunikationsabsichten und für den unbestreitbaren Reichtum seines Werks, dessen soziale Funktion wohl kaum als unerfüllt zu bewerten ist.

6. Literaturverzeichnis

6.1. Primärtexte von Peter Handke

6.1.1. Behandelte Texte (benutzte Werkausgaben)

6.1.2. Weitere Primärtexte

6.2. Zu Peter Handke

6.2.1. Monographien, Sammelbände und übergreifend angelegte Darstellungen

6.2.2. Aufsätze, Essays und Rezensionen zu einzelnen Texten

6.3. Allgemeine Sekundärliteratur



[1] Heinz Ludwig Arnold, «Gespräch mit Peter Handke», In : Text und Kritik 24/24a (1976), S.15-37.
[2] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.126-127.
[3] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.127.
[4] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.75.
[5] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.129.
[6] Marielouise Janssein-Jurreit, «Ein Buch für traurige Tage» In : Der Spiegel 30-42 (11.10.1976), S.242.
[7] Nägele/Voris, Peter Handke, S.35-40.
[8] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.19.
[9] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.19.
[10] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.86.
[11] Rolf Günter Renner, Peter Handke, S.14.
[12] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.16.
[13] Nägele/Voris, Peter Handke, S.41.
[14] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.32.
[15] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.86.
[16] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.110.
[17] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.113.
[18] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.137.
[19] Christoph Bartmann, Suche nach Zusammenhang, S.220.
[20] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.172-173.
[21] Roland Barthes, Introduction à l'analyse structurale des récits, S.34.
[22] Philippe Hamon, Pour un statut sémiologique du personnage, S.116.
[23] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.143.
[24] Vincent Jouve, L'Effet-personnage, S.15.
[25] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.7.
[26] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.22.
[27] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.173-174.
[28] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.87.
[29] Erika Tunner, «Wenn einer spazierengeht...» In : Fuchs-Melzer, Peter Handke. Die Langsamkeit der Welt, S.81-94.
[30] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.69-71.
[31] Henri Mitterand, Le Discours du roman, S.217.
[32] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.200-201.
[33] Philippe Hamon, Texte et idéologie, S.106 : «Le regard des personnages, la relation que le personnage a avec les objets et les spectacles du monde ; ce regard pourra [...] se trouver d'un commentaire évaluatif sur sa «compétence» à regarder, sur son savoir-voir, commentaire pris en charge soit par le personnage lui-même, soit par un personnage délégué à l'évaluation, soit par le narrateur.»
[34] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.7.
[35] Nägele/Voris, Peter Handke, S.46.
[36] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.10-11.
[37] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.23-24.
[38] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.69.
[39] Erika Tunner, «Wenn einer spazierengeht...» In : Fuchs-Melzer, Peter Handke. Die Langsamkeit der Welt, S.89.
[40] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.58-59.
[41] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.116.
[42] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.13.
[43] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.44-45.
[44] Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, S.173.
[45] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.24, 37, 130.
[46] Claude Duchet, Lectures sociocritiques, S.217 : «Ce qui fonde un monde social [...] c'est la relation dialectique entre le monde et le roman, à travers laquelle la fiction se saisit. Le roman est ainsi un espace imaginaire dont l'organisation relève de techniques narratives spécifiques, mais aussi (et en même temps) un microcosme social dont tous les éléments réfractent la totalité d'une unité culturelle, elle-même insérée dans le monde du réel. C'est même dans la mesure où le roman fonctionne comme une société, où il fait appel à une expérience de la socialité, qu'il atteint à la cohérence d'une pratique, et par là sans doute accède aussi à la littérarité.»
[47] Peter V. Zima, Textsoziologie, S.44-45.
[48] Peter V. Zima, Textsoziologie, S.51.
[49] Philippe Hamon, Pour un statut sémiologique du personnage, S.117 : «Une des premières tâches d'une théorie littéraire rigoureuse [...] serait donc [...] de faire précéder toute exégèse ou tout commentaire d'un stade descriptif qui se déplacerait à l'inérieur d'une stricte problématique sémiologique [...] Mais considérer a priori le personnage comme un signe, c'est-à-dire choisir un 'point de vue' qui construit cet objet en l'intégrant au message défini lui-même comme une communication, comme composé de signes linguistiques [...] cela impliquera que l'analyse reste homogène à son projet et accepte toutes les conséquences méthodologiques qu'il implique.»
[50] Wolfgang Iser, «Die Apellstruktur der Texte» In : Rainer Warning, Rezeptionsästhetik, S.232.
[51] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.142.
[52] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.7.
[53] Nägele/Voris, Peter Handke, S.12.
[54] Nägele/Voris, Peter Handke, S.10.
[55] Nägele/Voris, Peter Handke, S.10.
[56] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.8.
[57] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.24-25.
[58] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.69.
[59] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.55-56.
[60] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.72.
[61] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.72.
[62] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.19-20.
[63] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.42-43.
[64] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.8.
[65] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.23-28.
[66] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.40-68-69.
[67] Rolf Günter Renner, Peter Handke, S.95.
[68] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.88.
[69] Christoph Bartmann, Suche nach Zusammenhang, S.178.
[70] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.92-93.
[71] Nägele/Voris, Peter Handke, S.50.
[72] Christoph Bartmann, Suche nach Zusammenhang, S.74.
[73] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.35.
[74] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.88.
[75] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.89-90.
[76] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.45.
[77] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.17.
[78] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.132.
[79] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S;112.
[80] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.64.
[81] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.100.
[82] Christoph Bartmann, Suche nach Zusammenhang, S.187.
[83] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.75-76.
[84] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.44.
[85] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.25.
[86] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.28.
[87] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.90-91.
[88] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.116.
[89] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.75-77.
[90] Philippe Hamon, Texte et idéologie, S.144 : «La meilleure façon de disqualifier un personnage, c'est de le disqualifier dans son rapport au language [...]. »
[91] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.8.
[92] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.13.
[93] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.58-59.
[94] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.59.
[95] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.18.
[96] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.41.
[97] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.12 ,116.
[98] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.94.
[99] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.52.
[100] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.24.
[101] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.52 -55.
[102] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.50.
[103] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.9.
[104] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.17-18.
[105] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.52.
[106] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.112.
[107] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.145.
[108] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.56-57.
[109] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.18.
[110] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.29.
[111] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.56-57.
[112] Rolf Günter Renner, Peter Handke, S.16-17.
[113] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.87.
[114] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.19.
[115] Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter, S.81-82.
[116] Nägele/Voris, Peter Handke, S.49.
[117] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.66.
[118] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.152.
[119] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.75.
[120] Martin Walser, «Über die Neueste Stimmung im Westen» In : Kursbuch 20, S.23-24.
[121] Peter V. Zima, Textsoziologie, S.67.
[122] François Flahault, La Parole intermédiaire, S.70.
[123] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.61.
[124] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.62-63.
[125] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.49.
[126] Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, S.94-99.
[127] Peter Handke, Die linkshändige Frau, S.18.
[128] Manfred Durzak, Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur, S.66.
[129] Nägele/Voris, Peter Handke, S.45.



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