PALIMPSZESZT
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Karl WAGNER
Heimat als Film -- Rosegger-Verfilmungen von Robert Wienes 'I.N.R.I.' bis zur Gegenwart

"Soeben wird mir seitens der Geschäftsstelle des Verbandes Deutscher Filmautoren mitgeteilt, dass es gelungen sei, das Verfilmungsrecht für 'I.N.R.I.' zu verkaufen und zwar - nach Abzug sämtlicher Spesen und Provisionen - für einen Betrag von M 225.000.-. Sie hatten mir ja seiner Zeit Generalvollmacht erteilt, auch die Filmrechte an den Werken Ihres verehrten Vaters nach Möglichkeit zu verwerten und dies ist nun vorläufig das erste Ergebnis".[1]

Die Bedenken, die Roseggers Nachfahren gegen die Verfilmung des bei seinem Erscheinen umstrittenen Romans geäußert haben müssen, werden vom Verleger Staackmann zerstreut: "Nachdem fast sämtl. Werke v. Hauptmann verfilmt wurden, so glaube ich kaum, daß irgendwelche ästhetische Bedenken gegen die Verfilmung von I.N.R.I. laut werden können. Es wird sicherlich ein ernster Film werden".[2]Die Realisierung des Films kommt zustande, doch Roseggers Name wird, "angeblich wegen des Streites, den das Buch seiner Zeit hervorgerufen hat",[3] weggelassen. Siegfried Kracauer führt diesen Film als Beispiel für jenes Genre an, das die "Sehnsucht nach einem geistigen Obdach" bedienten, indem sie "in die Tiefen religiöser Erfahrung" tauchten:

"Unter Mitwirkung von Asta Nielsen, Henny Porten, Werner Krauß und Gregori Chmara inszenierte Robert Wiene I.N.R.I. (1923), ein Passionsspiel, das durch Szenen umrahmt wurde, in denen ein Mörder zum Tode verurteilt wird. In einer Meditation über die Geschichte der Passion Christi gelangt der Mörder, der einen Minister erschossen hat, um sein Volk von der Unterdrückung zu befreien, dahin, sich von seinen revolutionären Methoden loszusagen. Die politische Bedeutung vieler religiöser Bekehrungen hätte nicht deutlicher zur Schau gestellt werden können".[4]

An dieser pauschalen ideologiekritischen Verdächtigung haben Uli Jung und Walter Schatzberg in ihrer sorgsam recherchierten Arbeit über den Caligari-Regisseur Robert Wien wichtige Differenzierungen vorgenommen, obwohl auch ihnen nur eine um die Rahmenhandlung beschnittene Kopie zur Verfügung stand.[5] Die von ihnen ermittelten Debatten über die offensichtlich der Vorlage verpflichtete Geschichte des politischen Attentäters Ferleitner lassen die politische Brisanz erkennen, die ihr und der positiven Zeichnung der Judas-Figur (dargestellt von dem bedeutenden galizisch-jüdischen Schauspieler Alexander Granach) im biblischen Binnenteil beigemessen wurde. Die bemerkenswerte Tatsache, daß sich der mit seinem 'Caligari'- Film berühmt gewordene Robert Wiene eines Roseggerschen Werkes angenommen hat, ist jedenfalls ein Indiz dafür, wie symptomatisch das Werk des österreichischen Schriftellers für die Psychohistorie einer Epoche gewesen sein muß.

Dafür spricht auch, daß sich die Filmindustrie schon zu Roseggers Lebzeiten um seine Werke bemüht hat. Im Jahre 1912 wendet sich Rosegger an seinen Verleger Staackmann um Rat, ob er auf einen Vertragsentwurf einer "Kinematographenanstalt", der 'Nordischen Filmgesellschaft', eingehen soll, die vor allem "aus dem Leben des 'Waldbauernbuben' Szenen machen (will)".[6] Staackmann, dessen Geschäftssinn bei den Zeitgenossen legendär war, legt mit dem folgenden Argument eine Ablehnung nahe:

"also streckt das Kino nun auch die gierigen Hände nach Dir aus? Zu verwundern ist es ja nicht, da diese neueste Errungenschaft aus unserer Kultur bereits so gut wie alles, was geschieht, in seine Interessenssphäre gezogen hat, und einige besonders smarte Berliner Autoren damit begonnen haben, ihre neuen Romane auch im Film verewigen und dem Publikum vorführen zu lassen. Aber der 'Waldbauernbub' im Kino, von Schauspielern gemimt und womöglich auf rührende Szenen angelegt? Das kann ich mir wirklich nicht gut denken [...]"[7]

Rosegger lehnt daraufhin ab, den Verleger plagen jedoch alsbald Skrupel:

"es scheint, als ob ich Dich doch schlecht beraten habe, als ich Dir die Ablehnung des Kino-Antrages empfahl. Jetzt lese ich in den Zeitungen, daß Gerhart Hauptmann und Andere den Verlockungen der Film-Fabrikanten unterlegen sind; da wäre es natürlich sehr zu überlegen, ob man sich unter solchen Umständen noch ferner ausschließen soll".[8]

Da der Kampf gegen Berlin nicht gegen das neue Medium, sondern mit ihm geführt werden soll, versucht Staackmann auch die eigenen Interessen ins Spiel zu bringen:

"die Kino-Frage ist heute so aktuell, daß man sich auch ohne direkten Anlaß mit ihr beschäftigt, mag man wollen oder nicht. Ich verkenne den Wert und die Macht dieser neuen Errungenschaft unserer Kultur in keiner Weise, und lasse mich auch gern dann und wann durch die heute so raffiniert und manchmal auch mit Geschmack zusammengestellten Bildserien für ein Stündchen zerstreuen. Aber ich halte das Kino, wie es sich jetzt ausgebildet hat, doch für eine große Gefahr. Zunächst für die Theater."[9]

Diese für die zeitgenössische Argumentation und auch für die Kinoästhetik nicht unübliche Analogie, wird von Staackmann auf die Prosawerke ausgedehnt. Er fürchtet den "ideellen" Schaden, der in der Reduktion auf das "Rein-Stoffliche" und "Grob-Sinnliche" bestehe:

"Denke Dir z.B. die 'Försterbuben' im Kino! Diese Romane, denke ich mir, werden etwa in erster Linie bearbeitet werden, denn sie bieten eine Menge aufregende und spannende Scenen, die für eine Darstellung durchaus geeignet sind [...] die Gefahr liegt auf der Hand, daß aus diesen wertvollen Büchern Sensationsdramen geschaffen werden [...]".[10]

Wie die Geschichte der Rosegger-Verfilmungen zeigt, hat sich Staackmann in den Präferenzen der Filmindustrie kaum getäuscht.

Was Rosegger nicht mehr erlebte, wurde nach seinem Tod realisiert. Die Verknüpfung von Fortschrittskritik mit den jeweils fortgeschrittensten medialen Errungenschaften, die sich für Roseggers Publikationspraxis nachweisen lassen, bestimmt auch die Rezeption im Film. In der NS-Zeit, in der diese Dialektik der Gegenaufklärung propagandistisch genützt wird, produziert die Wien-Film unter der Regie von Peter Steigerwald den Kulturfilm 'Peter Roseggers Waldheimat', der 1943 anläßlich der spektakulär inszenierten Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag eingesetzt und mit den Prädikaten 'volkstümlich wertvoll' und 'volksbildend' ausgezeichnet wird.[11] Die filmische Umsetzung der längst zum Mythos umgearbeiteten Herkunftswelt soll für die 'Wallfahrt zur Waldheimat' entschädigen, die wegen des Weltkriegs den meisten Deutschen versagt bleiben muß. "Um so schöner ist es, daß jetzt dem deutschen Volk ein Kulturfilm geschenkt wurde, in dem die Waldheimat nicht nur als lichter Rahmen, sondern als Trägerin des Lebens und Schaffens des größten deutschen Volksdichters erscheint."[12] Die Beschreibung der Genese des Films gerät zur Handlungsanweisung:

"Aus der Tiefe des Grabens, in dem das Waldschulhaus steht, geht der Blick zur Höhe, zum Kluppeneggerhof. Und auch dorthin ist die Kamera gewandert, die Peter Steigerwald mit sicherem Blick für das Wesentliche dirigierte. Es war, zumal jetzt im Krieg, kein leichtes Werk, die schwere Lichtmaschine - noch ist ja der stromführende Draht nicht über die Höhen von Alpl gespannt - hinaufzuschaffen. Aber der Wille fand allen Schwierigkeiten zum Trotz einen Weg."[13]

Die Gleichsetzung, die der Gauleiter und Reichsstatthalter ausgegeben hatte: "Rosegger ist Heimat, und Heimat ist für den Grenzlanddeutschen Symbol des Reichs"[14], deutet die Konnotationen an, die der zeitgenössischen Lesart der Rosegger-Legende verfügbar waren.

Mit dem Ende des Dritten Reichs mußte die Legende andere, ebenfalls schon erprobte Funktionen der Sinnstiftung übernehmen. Es ist bemerkenswert, daß sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Film - wie nach der Katastrophe von 1918 - wiederum mit einem Rosegger-Text befaßt, der ein religiöses Thema behandelt. Am 16.2.1948 meldet sich nämlich der Wiener Verleger und Buchhändler Emil Albrecht, der "seit nahezu 20 Jahren in engster Verbindung mit dem Verlage Staackmann" ist, "dessen Interessen in Österreich" wahrt und dessen "Firma den Verlag auch seit 1934 für das ganze Bundesgebiet ausliefert" und nach dem Krieg mit Staackmanns "Interessenwahrung für Österreich ausdrücklich und weitgehend bevollmächtigt" ist,[15] bei Gertraut Laurin, der Enkelin Roseggers, mit foldender Ankündigung:

"Für die nächsten Tage hat sich ein Herr der Mundus-Filmgesellschaft bei mir angesagt, die einen Film nach Motiven Peter Roseggers drehen will. Da es sich hier nicht um die Verfilmung eines bestimmten Werkes handelt und nur Motive verwendet werden, der Film damit auch eine Propaganda für die Werke des Dichters wäre, glaube ich, daß wir uns mit einer Anerkennungsgebühr begnügen könnten [...]".[16]

Das Drehbuch, das sich an Roseggers Novelle 'Das Siegel Gottes' anlehnt, deren Inhalt aber verändert und lediglich einige Motive übernimmt, scheint wiederum auf Einspruch der Rosegger-Erben gestoßen zu sein. Der Verleger präzisiert daher das Projekt, nachdem er mit der Filmgesellschaft die gewünschten Änderungen besprochen hat:

"Wie Herr Stöger, der Regisseur des Films, ausführte, wurde das Drehbuch unter Mitarbeit des bekannten Predigers Jesuitenpater Diego Goetz hergestellt und von der zuständigen Kommission des Unterrichtsministeriums geprüft und empfohlen, wodurch eine Gewähr dafür gegeben ist, daß der Film nicht zu einem Mißbrauch des Namens Rosegger führen kann.[-] Das Drehbuch lehnt sich nur in sehr geringem Maße an die besagte Novelle an, überwiegend ist es freie Dichtung. Um aber den Rosegger'schen Geist entsprechend zu charakterisieren, sind einige Aussprüche des Dichters, die an anderen Stellen seiner Werke enthalten sind, dazugenommen worden [...], weshalb die Bezeichnung 'nach Motiven Peter Roseggers' gewählt wurde."[17]

Diese Vorkehrungen beseitigten nicht bloß die Bedenken "einer eventuell tendenziösen Verwertung Roseggerscher Motive"[18], sondern auch die Entschärfung des Konflikts, der bei der in Roseggers Roman 'Das ewige Licht' eingelagerten Erzählung tragisch endet: Der zu Unrecht Verurteilte kann vom Priester, der an das Beichtgeheimnis gebunden ist, nicht vor der Hinrichtung gerettet werden. Was in Roseggers Roman als Beispielgeschichte für die Genese des Wahnsinns, in den der Priester verfällt, erzählt wird, ist im Film - der allerdings auf den Romankontext keine Rücksicht zu nehmen braucht - nur die Verzögerung eines happy endings, das den höchsten Autoritäten des kirchlichen Premierenpublikums - darunter Kardinal Innitzer - jedenfalls ein billigeres Einverständnis abverlangte als der in der katholischen Kirche verpönte, wegen seines Antiklerikalismus jedenfalls umstrittene Autor Rosegger. Als "katholischer Großfilm"[19] wurde 'Das Siegel Gottes' ein Erfolg und in Deutschland mit dem Prädikat "kulturell wertvoll" ausgezeichnet.

Angesichts der Konjunktur, die der Heimatfilm in den fünfziger Jahren hatte, ist es immerhin erstaunlich, daß Rosegger nur noch in zwei Filmen als literarische Vorlage bemüht wurde, während sein ehemaliger Freund Ludwig Ganghofer und der mit seinem kritischen Anspruch beide übertreffende Ludwig Anzengruber für das Geschäft mit der Nostalgie weitaus öfter eingesetzt wurden. Im Jahre 1955 drehte Robert A. Stemmle nach Roseggers spätem Roman 'Die Försterbuben' einen Heimatfilm - eine Vorlage, die Peter Patzak in den 80er Jahren ein weiteres Mal bemühte, um zur Filmmusik Ennio Moricones dem 'Django'-Darsteller Franco Nero in der Hauptrolle Gelegenheit zu geben, jene Befürchtungen wahr zu machen, die Roseggers Verleger mit diesem schwachen, aber handlungsstarken Spätwerk seines Erfolgsautors verknüpfte, sollte sich der Film dafür interessieren. Ganz im Sinne der Fortschrittsmythen der fünfziger Jahre hatte Stemmle, der selbst das Drehbuch verfaßte, Rosegger modernisiert. Ein Teil von Roseggers Personal rast auf dem Motorrad in den Tod. Aus einer Interview-Äußerung Stemmles: "'Rosegger ist wirklich leicht zu modernisieren. Er hat seine Gestalten so fein gezeichnet, ihre Charaktere so fern dem Unterhaltungsklischee angesiedelt, daß diese Menschen zu jeder Zeit und in jeder Landschaft leben könnten'", hofft der Rezensent einer sozialistischen steirischen Tageszeitung schließen zu dürfen: "Diese Einstellung bewahrt uns hoffentlich davor, daß der größte steirische Erzähler zu einem Heimatfilm üblicher Sorte mißbraucht wird".[20] Im Jahre 1956 legte Ferdinand Dörfler seinem Film 'Die fröhliche Wallfahrt' unter anderem auch Roseggers Erzählung 'Die Fahnenträgerin' zugrunde, die erstmals im dreißigsten Jahrgang seiner Zeitschrift 'Heimgarten' (Novemberheft 1905) und dann in dem Erzählband 'Nixnutzig Volk' erschienen war.[21]

Sieht man von der 1960/61 im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlten 'Waldheimat'-Serie ab, so dauerte es bis 1976, ehe mit Axel Cortis Verfilmung von Roseggers 'Jakob der Letzte' ein weiteres Erfolgswerk des steirischen Autors zu sehen war, dessen Rezeption in den 50er Jahren trotz der massiven Indienstnahme während der Zeit des Nationalsozialismus ungebrochen war. Diese fragwürdige Kontinuität, die sich in den Namen der Rosegger-Preisträger nach 1945 bestätigt und die entsprechenden Skandale provoziert, wird in den 'negativen Heimatromanen' der 70er Jahre revidiert. In dieser Schreibtradition vollzieht sich nicht allein die Inversion der Muster des herkömmlichen Heimatromans, sondern auch die Rückwendung auf verschüttete Traditionen eines kritischen Regionalismus, wie insbesondere an den Diskussionen um das Volksstück bei Kroetz, Turrini, Sperr und anderen zu zeigen wäre. Axel Cortis Verfilmungen von Michael Scharangs 'Der Sohn eines Landarbeiters wird Bauarbeiter und baut sich ein Haus' und später von Wolfgrubers 'Herrenjahre' stellen sich bewußt in diese Tradition, die auch H.W. Geissendörfers 1976 erstmals gezeigter Film 'Sternsteinhof' (nach dem Roman von Ludwig Anzengruber) kritisch erinnert.[22] In diesen Texten und Filmen wird der Blick auf eine literarische Vergangenheit riskiert, die, bei aller nachträglichen ideologischen Besetzung durch den Nationalsozialismus ein kritisches Potential birgt, mit dem die Fortschrittskrisen der 70er Jahre in Zusammenhang gebracht werden konnten. In dem Maße, wie sich die Probleme der Gegenwart in diesen Texten der Vergangenheit erkennen ließen, stellte sich freilich die Schwierigkeit, inwieweit die früheren ästhetischen und politischen Antworten aktualisiert werden sollten. Nicht zuletzt darin ist ein Wertkriterium dieser Rückwendungen zu sehen: ob nämlich mit ihnen auch die historische Erfahrung verbunden ist, daß viele der einstmals als Fortschrittskritik begrüßten Texte einer gesellschaftlichen Regression in die Hände arbeiteten, von deren Folgen der Heimatkitsch des 20. Jahrhunderts ablenkte oder, in seiner aggressiven Spielart, sie verschärfte.

Roseggers 1888 erschienener Roman 'Jakob der Letzte' ist in seiner Zwiespältigkeit ein besonders instruktiver Text: in seiner Rezeptionsgeschichte zeichnen sich polare Identifikationsmöglichkeiten ab. Sie reichen von der austromarxistischen Wertschätzung als bedeutsames Dokument für die Verwüstungsspur der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in der bäuerlichen Gesellschaft bis zu der nationalsozialistischen Lesart einer Schollentreue, die vom liberalen (jüdischen) Kapitalisten vernichtet wird. Diese Polarität war zum Zeitpunkt der Romanveröffentlichung freilich oft nur schwer auseinanderzuhalten, wie die personalen und ideologischen Übergänge zwischen Schönerers Parteigängern und Anhängern der sich formierenden sozialdemokratischen Partei beweisen. Schönerers Agitation bei den vom ökonomischen Fortschritt bedrohten Klein- und Mittelbauern, die sich eines rassistisch begründeten Antisemitismus bediente, greift die Agrarfrage auf, für die sich auch Rosegger stark macht. In seinem Roman wird das soziale und politische Problem freilich in ein moralisches verwandelt und in der Figurenkonstellation zu prägnanten Oppositionen ausgearbeitet. Die Figur des (ausländischen) Kapitalisten und seines polnischen Büttels hält zwar Abstand zu Schönerers Eindeutigkeit, doch fördert die Personalisierung des gesellschaftlichen Strukturwandels eine Rezeptionsdisposition, die dem Ressentiment wenig Hindernisse in den Weg legt. Dazu ist überdies zu bedenken, daß Rosegger selbst einen Begriff des Jüdischen verwendete, der alle negativen Aspekte der Modernisierung abdeckte.

In seinen Selbstaussagen streift Corti solchen Ballast der Tradition ab, indem er Rosegger vom Odium des Heimatdichters befreit. Es sei "völlig falsch", hat er in einem Interview gemeint,

"von einem Heimatfilm zu sprechen. Die Geschichte um den Bauern Jakob, der auf tragische Weise und nicht zuletzt auf Grund der damals herrschenden sozialen und gesellschaftlich-politischen Verhältnisse seine beiden Söhne und seine Frau verliert und in seiner Verzweiflung zum Selbstmörder wird, ist alles andere als ein Rosegger, wie man ihn landläufig zu kennen glaubt. Es ist der für viele leider zuwenig bekannte zeitkritische Dichter, der die Zustände beschreibt, vielleicht nicht interpretiert, dafür umso eindringlicher seinen Lesern kraft seiner einfachen Sprache vor Augen führt."[23]

Werner Schneyder, der das Drehbuch verfaßt hat, war sich wie Corti bewußt, daß Roseggers Name ein Resultat von Zuschreibungen ist, die der Wahrnehmung seines Romans und damit auch des Films im Wege steht. Anläßlich der Wiederholung des Films im Fernsehen (1978) hebt er den "harte/n/ und kompromißlose/n/ Erzähler" vom Ruf des "idyllischen Heimatdichters" ab:

"Diese Tragödie besticht durch ihren ganz modernen, spröden Dialog und durch ihr Engagement für die Sache der Bauern. Ich habe mich bei der Bearbeitung sehr eng an die Vorlage gehalten und nicht, wie mir in Österreich vorgehalten wurde, den Stoff manipuliert und aus Rosegger einen Linken gemacht. Die Geschichte findet sich im Film so wie in der literarischen Vorlage".[24]

Das Drehbuch übernimmt in der Tat die Kumulation von 'Schicksalsschlägen', die Jakob in die Ausweglosigkeit treiben und ihn zum Mörder aus Notwehr und schließlich zum Selbstmörder machen: der entlaufene Sohn, der zum Militär eingezogen wird, desertiert und im Krieg fällt, der Tod von Jakobs Frau, die vergeblich versucht, dem Kaiser eine Petition zu überreichen, in der sie um die Freistellung ihres Sohnes bittet. In diesen Schlägen dramatisiert sich ein ökonomischer und gesellschaftlicher Konflikt, in dem die Bergbauern Opfer eines Strukturwandels und einer Gesetzgebung werden, die das Recht des Stärkeren vertritt. Die Verwandlung von Bauerngrund in ein Jagdgebiet zum Luxus der Reichen verschärft die Anklage, schwächt jedoch die Analyse der Ursachen. Diese Schwäche, die dadurch noch gesteigert wird, daß alle Landflüchtigen außerhalb von Altenmoos zugrunde gehen, neigt zur Konstruktion von Feindbildern. Schneyder hat versucht, die Figur des Waldmeisters Ladislaus nicht schon auf der Ebene der Charakterisierung dem Feindbild auszuliefern. Das Drehbuch vermerkt: "Ladislaus sollte keinen Akzent sprechen, wie im Roman einmal angedeutet, eher ein um 'Volkstümlichkeit' bemühtes 'schönes' Deutsch".[25] In rekurrenten Einstellungen vermittelt der Film die Verfallsgeschichte des Bauern, der eigensinnig an seinem Hof - der ursprünglich engen Bedeutung von Heimat - festhält. Seine zunehmende Verlassenheit, der Mangel an Helfern, korrespondiert mit einem Prozeß der Einkreisung. Die Ausdehnung des herrschaftlichen Wald- und Jagdgebiets macht ihn zunehmend zu einem Gehetzten. Der einzige Lichtblick bleibt der Brief seines Sohnes aus Amerika. Der Film reduziert diese Episode, die schon bei Berthold Auerbach zum Repertoire der Dorfgeschichte gehört, auf die Chiffre eines imaginären Heimatversprechens. Im Roman ist die Wiedergabe des Briefes eine Miniatur-Robinsonade, die mit der Gründung von Neu-Altenmoos in Oregon eine Kopie des Ursprungs - "fast nach dem Muster des alten"[26] - vorstellt, wo sich der Sohn als Jakob der Erste nach einer langen Odyssee nicht der Fortschritts-, sondern der bäuerlichen Überlebenskultur verschreibt. Der entsprechende Passus lautet im Roman:

"Denn ich bin nach St. Francisco in Amerika gereist, nach Californien und habe angefangen, in Gemeinschaft mit zwei Russen auf einem Sparpfennig eine Goldmine zu betreiben. Nach ein paar Jahren habe ich so viel Gold gehabt, daß ich ganz Altenmoos hätte kaufen können. Ist mir aber zu wenig gewesen und ist das Goldfieber über mich gekommen. Gold, nur Gold, sonst habe ich an nichts mehr gedacht und meinen Namen habe ich Jacques geschrieben" (370).

In diesem Konzentrat von Amerika-Mythen ist das Extrem der Selbstentfremdung erreicht, das Beste am fremden Namen macht ihn tauglich für die Wildnis, wo der Aufbau einer deutschen Ansiedlung gelingt. Will man diese Klischees interpretatorisch strapazieren, so illustriert die Bekehrungsgeschichte von Jakobs Sohn ein Rousseausches Erbe, das jener internalisierten Fortschrittsideologie entspringt, die sich auch in der Heimat schon längst in den Köpfen selbst der abgeschiedensten Bauern festgesetzt hat und worin der Roman den Ansatzpunkt für seine moralische Kritik findet. Selbst ein Steinreuter ist vor den Verlockungen des Fortschritts nicht gefeit, aber nur er erweist sich fähig zur Umkehr; die übrigen werden im Roman für ihr Weggehen bestraft, indem sie alle in der Fremde scheitern.

Weil mit der Kategorie des Heimatromans gleichsam reflexhaft eine Deklassierung des Dargestellten sich einzustellen droht, ist darauf zu bestehen, daß Roseggers Roman eine epochale Erfahrung zu verarbeiten sucht und - trotz aller Mängel - auf die politischen und gesellschaftstheoretischen Defizite im Umgang mit dieser Erfahrung reagiert. Gerade weil keine Lösungen gefunden wurden, blieb das Problem jenen zur Bearbeitung, die Fortschrittskritik mit fortschreitender Barbarei zu verbinden wußten. Nicht zu bestreiten ist, daß die agrarromantischen Züge von Roseggers Roman seine Indienstnahme begünstigt haben. Die Kritik an der Landflucht hat auch mit der Abwehr gesellschaftlicher Veränderung zu tun, die Rosegger in seinen Bauernromanen deutlicher als in vielen seiner weitaus aufgeschlosseneren Artikel unter die verzerrende Perspektive einer karikierten sozialdemokratischen Agitation bringt. Im Unterschied zu seiner oft geharnischten Kritik am Elend der ländlichen Dienstboten immunisiert er in seinem Roman die bäuerliche Welt gegen eine Kritik von innen. Die Episode, die auch in Cortis Film die sexuelle und materielle Not der Dienstboten veranschaulicht, die sich mit dem "Leihkauf" elementare Bedürfnisse abkaufen lassen mußten, zeigt die Ideologie des Bauernromans auf. Zum Zeitpunkt der Verfilmung war diese in Innerhofers Roman 'Schöne Tage' bereits aggressiv bloßgestellt worden. Bei Innerhofer befreit sich die geschundene Hauptfigur Holl aus den Zwängen der bäuerlichen Herrschaft, bei Rosegger ist diese Befreiung nur mit dem Elend der Arbeit im Eisenwerk oder mit Arbeitslosigkeit erkauft. Unter dem Eindruck der Krisenerfahrungen in der jüngsten Zeit, gerade auch in der Steiermark, hat Roseggers Darstellung eine traurige Evidenz erhalten. Im Film sagt Jakob zu seinem Sohn, der wegziehen mußte und nun Arbeit sucht: "Ist auch wieder was Neues. Zu Altenmoos betteln arme Leute bloß um Essen, dahier auch um Arbeit".[27]

Die Reaktionen auf Cortis Verfilmung sagen freilich mehr über das Niveau der österreichischen Fernsehkritik als über die ästhetische Leistung des Regisseurs aus. In der nicht unüblichen Allianz von Kritikern und Zuschauern triumphierte die Borniertheit, die Authentizität allein zu einer Frage des Dialekts der Figurenrede macht. Das "Burgtheatersteirisch" (Kleine Zeitung, Graz), das "Dialektmischmasch" (Tiroler Tageszeitung) waren Ausstellungen, die in den Höreranrufen wiederkehrten: "Der Dialekt paßt nicht. Als einziger traf Gottschlich den richtigen Ton. Sprachlich mißlungen. Diese Steirer sprechen hernalserisch".[28] In diesen Ausstellungen kehrt ein Problem wieder, das nicht erst mit dem Reichweite-Argument einer ORF/ZDF-Coproduktion sich stellt, sondern ein grundsätzliches der regionalen Ästhetik darstellt, von dem Roseggers eigenes Schreiben betroffen war und das er (nach seinen Anfängen als Dialektautor) niemals im Sinne eines Dialekt-Purismus entschieden hatte. Der Dialekt, notwendig als Referenzillusion, signalisiert Regionalität, wobei er aber im Medium der Schrift oder des Films eine andere Funktion erhält als in gesprochener Rede. Reflektierte Regionalisten der Weltliteratur wie Thomas Hardy haben daher immer den unfreiwillig sich einstellenden Exotismuseffekt einkalkuliert und die 'Echtheit' des Dialekts als Verfälschung ihres regionalen Anliegens betrachtet. Er ist ein Kunst-Mittel, das vom sparsamen Gebrauch lebt.

Die Aktualität des Stoffes, die der Verfilmung zugutegehalten wurde, deutet darauf hin, daß die Sozialkritik der Vorlage an gegenwärtige Konflikte anschließbar war und die (personalisierten) Destruktivkräfte des Fortschritts mit den Regressionsbedürfnissen nach einer vermeintlich heilen Dorfgemeinschaft derart gekoppelt werden konnten, daß allein der ausweglose Eigensinn der Hauptgestalt der Idylle abträglich war: die der dargestellten bäuerlichen Welt inhärenten Zwänge und rigiden Moralvorstellungen schienen ihr hingegen keinen Abbruch zu tun. Unter dem Titel 'Kampf gegen die Natur' faßt Thomas Thieringer in der 'Frankfurter Rundschau' sein Lob zusammen, das deutlich an Rezeptionsweisen der sozialistischen Rosegger-Kritik anschließt:

"Ein Heimatfilm, der nicht auf die Attraktionen der filmischen Landschaftsmalerei verzichtet, auf das Wildbachrauschen, die Gewitterstürme, prächtige Sommerwiesen. Und ein Film, der ein "großes" Drama schildert: die Zerstörung einer intakten Lebensgemeinschaft, die dem Einfluß einer neuen Zeit nicht gewachsen ist".[29]

Mit geringfügigen Veränderungen trifft diese Kritik auch auf den Roman 'Spätholz' des verstorbenen Schweizer Autors Walther Kauer zu, der ebenfalls 1976 erschienen ist. Der Untergang des Terzoneser Bauern Rocco ist mit dem Untergang des ganzen Tales gekoppelt. Die Zerstörung des Bannwalds verschüttet ein ganzes Tal im neuerichteten Staubecken und vernichtet die bäuerliche Kultur, die in den Erinnerungen des Vereinsamten evoziert werden. Seine Marginalisierung wird als Gedächtnisverlust einer Gesellschaft beschrieben, die um den Preis ihrer eigenen Selbstzerstörung ein Wissen lächerlich macht, das die Zeichen der Natur zu lesen vermag. In einer zentralen Passage wird dieses Wissen exemplarisch vorgeführt. Der Nußbaum vor dem Bauernhaus, den die aufdringliche Symbolik des Romans als "Lebensbaum" deutet, wurde gegen den Widerstand des Bauern gefällt, weil er dem reichen Nachbarn den Seeblick verstellt. Die Passage sei im folgenden ausführlich zitiert, weil sie eine Sequenz zu antizipieren scheint, die in dem Einakter 'Weizen auf der Autobahn'[30] des österreichischen Autors Felix Mitterer in analoger Funktion eingesetzt wird:

"Rocco blickte fassungslos auf den mächtigen Strunk. Er kniete nieder und fuhr mit seiner Hand über die Ringe, die im Holz sichtbar waren. Und plötzlich wußte er, daß er sich an alles würde erinnern können, solange er diesen Strunk vor sich sehen konnte. Er, der nie daran gedacht hätte, ein Tagebuch zu führen - hier lag sein Tagebuch aufgeschlagen vor ihm [...] Sein Nußbaum hatte für ihn Buch geführt. Jahr für Jahr hatte er seinem Umfang einen Doppelring beigefügt, in einer Sprache, die Rocco vertraut war. [...] Und hier, dieser fast verschmolzene Kern - das war das Jahr seiner Geburt. 1900. Jahrhundertwende. Vater hatte ihm seinerzeit erzählt, daß diese Jahrhundertwende von den einen als Zeichen des nahenden Untergangs gedeutet worden sei - von den andern als Zeichen des Neubeginns, der die Menschen endlich näher bringen sollte dem uralten Ziel: einem tausend Jahre währenden Zeitalter der Menschlichkeit und Brüderlichkeit".

Trotz der solcherart eingeschmuggelten sozialistischen Utopie, als deren Anwalt sich Kauer verstand, ist sein Roman näher bei Rosegger, dessen Topoi der Zivilisationskritik er nahezu vollzählig übernimmt. Darin ist er zugleich Symptom für die Veränderungen des zeitgenössischen Bewußtseins, das den Verfall politischer Utopien mit Zivilisationskritik kompensiert und dabei auf Muster zurückgeht, die im Lichte dieser Utopien vor nicht allzu langer Zeit als präfaschistisch denunziert worden waren. Für Peter Turrini, der mit Wilhelm Pevny in der 'Alpensaga' eine Rekonstruktion der österreichischen Provinzgesellschaft vorgelegt hatte, die nicht dem Blick 'von oben' verpflichtet war, avancierte Roseggers 'Erdsegen' zum Lieblingsbuch. Felix Mitterer wollte da nicht zurückstehen und verfaßte für Karin Brandauers Verfilmung das Drehbuch. Er ließ die Öffentlichkeit wissen, daß er den 1900 veröffentlichten Roman für den "aktuellsten und interessantesten Stoff Roseggers"[31] halte. Die auch internationale Anerkennung für den am 28.3.1986 erstmals im österreichischen Fernsehen gezeigten Film zeigt, wie recht der Autor mit dem oppositionellen Image mit seiner Einschätzung hatte. Dieser mehrheitsfähige Befund bestätigt nur, was schon für die Heimatkunst der Jahrhundertwende weitgehend zutraf: die dargestellte ländliche Welt ist zur Projektionsfläche für die Wünsche der Intellektuellen geworden. Schon Roseggers Held war ja ein städtischer Journalist, der seinen aufgrund einer Wette zeitlich begrenzten Aufenthalt in der abgeschiedenen Provinz als Therapeutikum nutzt und seine an einen Professor gerichteten wöchentlichen Briefe schlußendlich als Heimatroman beim Staackmann-Verlag herausbringt. Er, der das Lob der schweren bäuerlichen Arbeit singt, heiratet die Tochter des Adamsbauern und wird Heimatschriftsteller mit ländlichem Wohnsitz. Bei Mitterer/Brandauer endet das "Selbsterfahrungsjahr" des Zivilisationsflüchtlings mit der Rückkehr in die Stadt: "Sein Opfergang war eine Erholungsreise mit Rückfahrkarte".[32] Was die wegen ihres Heimatkitsches viel gelästerten 50er Jahre nicht zuwege brachten, scheint nunmehr möglich:

"Zwischen Ludwig Anzengruber und Ludwig Ganghofer hat der neue deutsche Film nur wenig ausgelassen, was nicht "neu verstanden" oder wenigstens "in neuem Lichte gesehen" werden könnte. Nun also wieder Rosegger. Das ZDF brachte bisher schon 'Jakob der Letzte', 'Der Waldbauernbub', 'Die Försterbuben' und die 26teilige Serie 'Waldheimat'. Ein Ende ist nicht abzusehen: die Rosegger-Ausgabe letzter Hand umfaßt nicht weniger als vierzig Bände".[33]

In dieser Polemik sind die Rosegger-Verfilmungen eines Jahrzehnts genannt, die zugleich die Transformation des Heimatbegriffs veranschaulichen können. In keinem Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wurden so viele Rosegger-Texte verfilmt wie im Zeitraum von 1976 bis 1986. Die Zerstörung von Heimat in 'Jakob der Letzte', gegen die sich die davon Betroffenen nicht zur Wehr setzen können, erscheint in der 'Waldheimat' und in 'Erdsegen' als Rückzugsraum für die Zivilisationsmüden. Der deklassierte Heimatbegriff, der den Linksintellektuellen durch Ernst Bloch 'gerettet' schien, verliert vollends dessen politische Sprengkraft und sorgt als beliebter Integrationsbegriff für moralische Entrüstung über die Zumutungen des technisch-industriellen Fortschritts. Da die Dysfunktionalität dieser alten Fortschrittskritik nicht weiter reflektiert wird, bleibt das Einverständnis ungetrübt und wird durch eine ästhetische Konformität mit den schlichtesten Verfahren des narrativen Kinos gar nicht erst erschwert. Diese formale Simplizität erhielt durch das sozialgeschichtliche Interesse an der 'oral history' zusätzliche Unterstützung. Die plebejische Losung einer Geschichtsschreibung 'von unten' war suggestiv genug, um jene Alltagserzählungen zu inthronisieren, die den begehrten Betroffenheitseffekt abwarfen. Der ungeheure Erfolg von Edgar Reitz' Fernsehserie 'Heimat' (1984) verdankte sich nicht zuletzt dem Rückgriff auf solche Verfahren, die sich aufgrund des autobiographischen Erfahrungshorizonts mit der Sehnsucht nach der Herkunftswelt emotional aufladen konnten. Eine solcherart künstlich hergestellte Naivität reproduziert eine Bewußtseinsgeschichte, die all das ausblendet, was sich hinter dem Rücken der Einzelsubjekte zugetragen hat bzw. das, was deren Nichtwissenwollen mit dem kollektiven Verdrängen der nationalsozialistischen Verbrechen rückkoppelt. Unter dem historisch belasteten Begriff vollzieht sich eine Entlastung der Geschichte, wie kritische Stimmen in Deutschland und insbesondere in Amerika wohl zu recht bemerkt haben: "Die neue Unschuld leidet unter Amnesie", schrieb Horst Kurnitzky in einem Leserbrief an den 'Spiegel', dem die Serie von Reitz ein Titelheft wert war, und fuhr fort: "die allgemeine Angst frißt jede historische Erinnerung auf. An ihre Stelle tritt ein fragwürdiger Augenzeuge: So war es wirklich, Onkel Otto war dabei".[34]

Mit der 'Sehnsucht nach Heimat', die sich 1984 mit einer Fülle von Hinweisen auf die zeitgenössische Literatur- und Filmproduktion belegen ließ, spekulierte auch die TV-Serie, die sich Roseggers 'Waldheimat'-Erzählungen als Vorlage nahm. Zum Auftakt der zu Weihnachten 1983 erstmals ausgestrahlten Folgen wurde ein Porträt ihres Verfassers gezeigt, das sich abermals des Markenzeichens der Verkleinerung bediente, mit dem schon Rosegger Kindheit und bäuerliche Herkunftswelt erfolgsträchtig zu verbinden wußte.[35] Das Nichterwachsene, der auf Dauer gestellte 'Waldbauernbub', ist die gewünschte Regressionsform , die sich im vorindustriellen Refugium der 'Waldheimat' den historischen Zumutungen der Modernisierung und der Zweckrationalität der Zivilisation entzieht. Dieses Angebot erwies sich hundert Jahre nach dem Erscheinen der zweibändigen (später auf vier Bände erweiterten) Sammlung als modernisierungsfähig und ließ sich - als Fernsehsendung - kulturkritisch gegen die Omnipräsenz amerikanischer Fernsehunterhaltung ausspielen (wovon auch Edgar Reitz' Serie Gebrauch macht). Sechs Drehbuchautoren und zwei Regisseure (Hermann Leitner und Wolf Dietrich) adaptierten die durchaus prägnant und auf narrative Pointierung komponierten Erzählungen Roseggers, die - darin heutigen Interessen entgegenkommend - durch ihre autobiographischen Signale die Realitätseffekte steigern, die im Einspielen von ethnographischen Besonderheiten eine vom Verschwinden bedrohte bäuerliche Kultur evozierten. Roseggers mühsamer Anstrengung, ihr zu entkommen, korrespondierte ein nachträglicher Poetisierungszwang, der sich damals wie heute als publikumsgerecht erwies. "Dem Publikum sind Begriffe wie 'Familie', 'Heimat' und 'Natur' wieder wertvoll geworden",[36] soll ein Redakteur des ZDF zu den Publikumserwartungen gemeint haben.

Der Mythos dieser kindlich-bäuerlichen Gegenwelt zur Geschichte des Fortschritts, der das Bedürfnis nach diesem Mythos hervorgetrieben hat, war so verlockend, daß er im österreichischen Bundespräsidentenwahlkampf als willkommene Konnotation für einen welterfahrenen Kandidaten genutzt wurde.[37] Der semiotische Prozeß verlief allerdings in umgekehrter Richtung: Der Name des Präsidenten lud sich nicht mit dem poetisch Besonderen auf, sondern totalisierte es zur Metapher für ein Land, dessen Mythen nicht mehr als schöner Schein geglaubt wurden.

Fußnoten

[1] Alfred Staackmann an Hans Ludwig Rosegger, 22/1/1923, Rosegger-Nachlaß, Steiermärkische Landesbibliothek, Graz (im folgenden mit der Sigle NLPR-StL nachgewiesen).
[2] NLPR-StL, Alfred Staackmann an Hans Ludwig Rosegger, 27/1/1923.
[3] NLPR-StL, Alfred Staackmann an Hans Ludwig Rosegger, 16/2/1924.
[4] Siegfried Kracauer: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt 1979, Zitate S. 116, 118f. - Béla Balázs hebt - in Jahr 1924 - Robert Wienes Filme 'Raskolnikow' und 'I.N.R.I' übrigens von der Serie der Sensationsfilme ab: "Seit drei Wochen [...] sieht es in den Wiener Kinos wie vor fünfzehn Jahren aus". Béla Balázs: Schriften zum Film. Bd. 1: 'Der sichtbare Mensch'. Kritiken und Aufsätze 1922 - 1926. München 1982, S. 396.
[5] Uli Jung / Walter Schatzberg: Der Caligari Regisseur Robert Wiene. Berlin 1995, S. 107 - 113.
[6] Peter Rosegger: Das Leben in seinen Briefen. Hrsg. v. Otto Janda. Weimar 1943, S. 297.
[7] NLPR-StL, Alfred Staackmann an Rosegger, 28/9/1912.
[8] NLPR-StL, Staackmann an Rosegger, 7/11/1912.
[9] NLPR-StL, Staackmann an Rosegger, 28/12/1912.
[10] Ebd.
[11] Vgl. Nachrichten aus dem steirischen Kulturleben. Hrsg. von der Kultur-Abteilung im Reichspropagandaamt Steiermark und der Hauptstelle Kultur der NSDAP., Gauleitung Steiermark, Nr. 25 v. 16.11.1943, S. 2.
[12] 'Hier ist vor Zeit ein Mirakel geschehen'. Das ganze deutsche Volk wird Peter Roseggers Waldheimat im Film erleben. In: Kleine Zeitung v. 1.8.1943.
[13] Ebd.
[14] 'Rosegger' bedeutet 'Heimat'. In: Neues Wiener Tagblatt v. 28.6.1943.
[15] NLPR-StL, Emil Albrecht an Dr. Sepp Rosegger, 9/9/1946.
[16] NLPR-StL, Emil Albrecht an Dr. Gertraut Laurin, 16/2/1948 (Datum korrigiert, im Original 61.2.48)
[17] NLPR-StL, Emil Albrecht an Dr. Gertraut Laurin, 11/3/1948.
[18] NLPR-StL, Dr. Gertraut Laurin an Emil Albrecht, 15/3/1948 (Kopie).
[19] Zitiert nach Gertraud Steiner: Die Heimatmacher. Kino in Österreich 1946 - 1966. Wien 1987, S. 79f., dort auch die folgenden Informationen.
[20] Rosegger wurde motorisiert. In: Neue Zeit v. 2.12.1955.
[21] Die Angaben zu Stemmle und Dörfler bei Willi Höfig: Der deutsche Heimatfilm 1947 - 1960. Stuttgart 1973, S. 202.
[22] Vgl. Franz Xaver Kroetz: 'Mein Heimatfilm war das nicht'. In: Der Spiegel 14/1976, S. 182 - 186.
[23] Corti entdeckt für das TV den Sozialkritiker Rosegger. In: Volksblatt v. 8.9.1975.
[24] T.S.: Bauern kämpfen um Land. 'Jakob der Letzte' - Wiederholung des Fernsehfilms. In: Frankfurter Rundschau v. 22.3.1978.
[25] Werner Schneyder: Jakob der Letzte. Typoskript des Drehbuchs, S. 31. - Der Verfasser dankt dem ORF und seinen Mitarbeitern dafür, daß ihm eine Kopie des Drehbuchs zur Verfügung gestellt wurde.
[26] P.K.Rosegger: Jakob der Letzte. 6. Aufl. Wien / Pest / Leipzig 1895, S. 374. - Im Folgenden mit bloßer Seitenangabe im fortlaufenden Text zitiert.
[27] Schneyder (= Anm. 24), S. 124.
[28] Laut ORF-Kundendienst, Protokoll der Zuseherreaktion auf die Sendung v. 6.1.1976. - Bei der Wiederholung des Films am 5.3.1983 störte am öftesten die Tatsache, daß es sich um einen Schwarz/Weiß-Film handelt.
[29] Thomas Thieringer: Kampf gegen die Natur. 'Jakob der Letzte' nach Peter Rosegger. In: Frankfurter Rundschau v. 17.5.1976.
[30] In: Felix Mitterer: Besuchszeit. Vier Einakter. München 1985, S. 31 - 51.
[31] Zitiert nach AZ v. 12.2.1985. ('Roseggers aktuelle Aussteiger-Story').
[32] Willi Winkler: Ein Gang aufs Land. In: Die Zeit v. 28.3.1986.
[33] Ebd.
[34] In: Spiegel 42/1984. - Vgl das Titelheft 'Sehnsucht nach Heimat', Siegel 40/1984. - Für eine scharfsinnige Kritik an dem Film von Reitz und der 'oral history' vgl die Diskussionsbeiträge von Gertrud Koch in Frauen und Film 38/1985 sowie die Analyse von Anton Kaes: From 'Hitler' to 'Heimat'. The Return of History as Film. Cambridge, Mass./London 1989, S. 163 - 192, die auch die internationale Rezeption darstellt.
[35] Vgl. Das Fernsehspiel im ZDF, 43/1983-84, S. 20 - 22. Das Drehbuch für diese "Weihnachtsgeschichte nach Peter Rosegger" - so der Untertitel - hat Lida Winiewicz geschrieben, die sich durch ihre Arbeit für dieses Fernsehspiel von ihrem Rosegger-Klischee ("eine Art literarischen Wurzelsepp, dessen holzgeschnitzte Prosa, in rauchschwarzer Stube gefertigt, dem steirischen Heimatforscher gemäßer wäre als mir", ebd., S.22) befreien und zu einer Bewunderin werden konnte.
[36] Zit. nach Der Alpl-Clan. In: Der Spiegel 51/1983.
[37] Vgl. 'Roseggers Waldheimat für Waldheim'. Steirisch-wienerische Freundschaft am Alpl. In: Die Presse v. 11.10.1985.



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