PALIMPSZESZT
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Friedbert ASPETSBERGER
Unmaßgebliche Anmerkungen zur Einschränkung des literaturwissenschaftlichen "Heimat"-Begriffs

  1. Vorbemerkungen
    1. Zum Thema
    2. Zum Stoff
    3. Zur Sekundärliteratur
  2. Anmerkungen zur Soziologie und Politik
    1. Ein Selbstversuch zum Begriffsinhalt "Heimat"
    2. Eine Anmerkung zur Literatur-Generation nach 1945
    3. Die Heimat als Landschaft wird Heimat als Staat
  3. Schriftstellen lernen an der "Heimat"
  4. Neue Text-Kohärenz
  5. Wirklichkeit als Medienkohärenz
    1. Alltagsbilder/Bilderalltag
    2. Heimat-Bild-Romane
    3. Die neue Landschaft mit (alten) Opfersteinen
  6. Fußnoten

I. Vorbemerkungen

I.1. Zum Thema

"Topoi der Heimat und Identität [...]" lautet der Untertitel der Tagung: es geht um Argumentationsweisen und -inhalte bei der literarischen Herstellung von "Heimat" und "Identität".

"Heimat", ein (vor allem) volkssprachlicher Begriff und (schon wieder) einer in Politikerreden, bezeichnet bildhaft-einheitlich einerseits ein (Herkunfts-)Territorium inclusive seiner Bewohner und seiner und ihrer Zustände, anderseits den Emotionsraum eines abgrenzbar vorgestellten Einen, das für die meisten und für einen selber gilt oder gelten soll. Das reicht von Ernst Blochs utopischem: "das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat", mit er den Abschnitt "Identität" von >Das Prinzip Hoffnung< schließt,[1] bis zum konkreten territorialen Herrschaftsanspruch von einzelnen und von Verbänden.

"Identität" ist die bildungsbegriffliche Erfassung eines (individuellen und/oder kollektiven) Bewußtseinsprozesses, der entschieden-relativ und jeweils Person und Handeln konkretisiert.

Bei "Topoi der Heimat und Identität" geht es demnach um eine Relation zwischen einem volkssprachlich-ideologischen und einem bildungssprachlich-ideologischen Begriff; der volkssprachliche stellt als Bild still, was bildungssprachlich ein differenzierter Prozeß ist. "Heimat" stillt, was nicht stillzustellen ist, den Prozeß "Identität". Nach Ina-Maria Greverus handelt es sich bei dieser Spannung um eine anthropologische Konstante.[2] "Heimat" und "Identität" gilt für alle. Um die Relationalität der beiden Begriffe an einem Beispiel anzudeuten: der schon vorgeburtlichen und nachtödlichen, insofern individuell überlebensgroßen Stabilität des "ewigen Bauern" der "Heimat" in Karl Heinrich Waggerls Roman >Schweres Blut< (1931): "Der Bauer ist ewig wie die Erde selbst"[3], stehn die Größen des mehr oder weniger individuellen Überlebens in der antisemitischen "Heimat" Wien, der KZ-"Heimat" Theresienstadt, der "Heimat" Nachkriegsdeutschland, Kalifornien usw. in Ruth Klügers >weiter leben. eine jugend< (1993)[4] gegenüber. Beide Überlebensgrößen bedingten einander zwar politisch-historisch, schlossen sich aber zugleich aus. Wie sind sie literaturwissenschaftlich zu vermitteln, ohne sie traditionalistisch in den Regalen Heimatroman, Reiseroman, KZ-Roman, Internatsroman etc. zu verwaren? Natürlich gibt es historisch den Typus Heimatroman der Heimatkunstbewegung, wie Karlheinz Roßbacher ihn nachgewiesen hat.[5] Für die Zeit um 1930, den Bauernroman, hat das Peter Zimmermann im Zusammenhang "Antifeudalismus - Konservativismus - Faschismus" unternommen.[6] Seit diesem Zeitpunkt - seit dem Zusammenhang "Heimat"-Mensch in der Landschaft (Waggerl) / "Heimat"-Mensch im KZ (Klüger), also ab dem Zeitpunkt der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer Literaturpropaganda, ist seine typologische Isolierung nicht sinnvoll aufrecht zu erhalten, sondern muß die nichtliterarische Wirklichkeit, die auch den literarischen Begriff definiert, mitgesehen werden. Für die Zeit nach 1945 ist also besondere Vorsicht gegenüber einer zu rein literarisch-typologischen Isolierung geboten. Dennoch sei sie angedeutet.

I.2. Zum Stoff

In der Literaturgeschichte kann man fast jede Motiv-Kollekte durchführen. Die Sammeldose "Heimat" und der Sammelcontainer "Identität" sind ästhetisch, gesellschaftlich, politisch nicht gleichwertig. Es fällt aus der Literaturtradition überwiegend "Identität" an, weil es glücklicherweise noch keinen stabilen Typus "Identitätsliteratur" gibt, vielmehr Literatur insgesamt als kulturelle Identitätsversicherung gilt, die "Heimatliteratur" also nur ihr Sonderfall sein kann. Literaturgeschichtlicher Stoff der "Heimat"-Kollekte sind traditionell:

Erstens die Dorfgeschichte und der Bauernroman des Realismus (Frenssen, Rosegger) in Parallele zur politisch-wirtschaftlichen Entwicklung im Liberalismus, für welche Epoche aber, aufgrund der weiteren sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, bildungsbegrifflich und kanonliterarisch "Identitäts"fragen im bürgerlichen Leben kennzeichnend sind (Keller - trotz seiner Dorfgeschichten, Meyer, Raabe, Fontane usw.).

Zweitens vor allem die Produktions-Hausse des Bauernromans um 1930 in Parallele zur politisch-ideologischen Entwicklung in der Wirtschaftskrise dieser Jahre und zum Scheitern der Demokratien in Deutschland und Österreich; bildungsbegrifflich und kanonliterarisch ist auch diese Epoche vom bürgerlichen Thema "Identität" geprägt: Thomas Manns >Zauberberg<, Musils >Der Mann ohne Eigenschaften<, Brochs >Schlafwandler<-Trilogie< usw. Allein diese Namen machen deutlich, daß es sich bei "Heimat" und "Identität" um eine bildungs- und lesersoziologische Unterscheidung mit politischen Konsequenzen handelt: nach 1933 bzw. 1938 sind die Repräsentanten der Bildungsbegriff-Literatur im Exil, im Lande aber wird die Heimatliteratur als Identitätsliteratur propagiert.

Drittens das Überleben der Bauern-Phase von 1930 in der "Wiederaufbau"-Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem im Buchgemeinschaftswesen und in der Heftchenliteratur. Auch in dieser Zeit wurde die Kanonliteratur von "Identitäts"fragen gekennzeichnet: Böll, Schmidt, Doderer, Frisch, Grass usw.

Viertens wird man - zumindest in der Begriffstradition, wenn auch nicht in der Sache - noch den sogenannten Anti-Heimatroman dazurechnen müssen, wobei hier von der grundsätzlichen Schwierigkeit solcher Begriffsbildung abgesehen wird (Anti-Internatsroman? Anti-Reiseroman?). In ihm scheint eine Annäherung der antagonistischen Sonderung "Heimat"/"Identität" zu beobachten. Das hängt vermutlich mit dem vorhergehenden Traditionsbruch (d. h. mit der Vertreibung der bürgerlichen Hochliteratur durch den Faschismus) bzw., nach dem Weltkrieg, mit der Übernahme der Literatur und Literaturkritik durch die unteren Mittelschichten und die Unterschichten zusammen, also mit der Kanon-Höhen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten stoffliche Parallelen in Bildungs- und Heimatliteratur keine Gemeinsamkeiten geschaffen: Musils >Grigia< wurde so wenig für das Heimat-Genre in Anspruch genommen wie seine >Portugiesin< für die Bergsteigerliteratur. Fontanes Mark Brandenburg, Musils Kakanien, Thomas Manns Hochgebirgs-Davos, Robert Walsers Schweiz, Grass' Kaschubien und Danzig, Frischs Amerika usw. sind oft nicht weniger bestimmend als die Marschen oder Berghalden des "Heimatromans". Alle Romane spielen wo, und es ist nicht gleichgültig wo, und wie es dort aussieht bzw. welches "Bild" sich damit verbindet. Nur wenige sind historisch "Heimatromane". Es handelt sich bei der Kollekte "Heimat" um einen vorliterarischen sozialen Entscheid und um einen ideologischen Konsens gegen die Bildungsliteratur: den Konsens der sich territorial einschränkenden, sich einer (literarischen) "Heimat" versichernden Verunsicherten der "modernen" Entwicklungen. Das ist oft mit Bildungsbenachteiligungen verbunden; "Heimat"literatur wird auch von Nichtlesern gelesen[7].

I.3. Zur Sekundärliteratur

In Auseinandersetzung mit den schon genannten Roßbacher, Zimmermann, Greverus[8], dann mit Hein (Dorfgeschichte), Mecklenburg (Erzählte Provinz), Schmidt-Dengler (Anti-Idylle), Koppensteiner und Lachinger (Anti-Heimatroman)[9] und andern hat Andrea Kunne neuerlich einen Versuch vorgelegt, unter der "Gattung Heimatroman" einen wesentlichen Teil der österreichischen Nachkriegsliteratur zu versammeln und damit "Heimat" als literarische Kategorie auch für die Gegenwart noch einmal aufleben zu lassen. Sie spricht vom "Identifikationsraum 'Heimat'" als "Phänomen" der Suche nach Umgrenztheit und Selbsterfahrung. Er wird bei ihr auf das "Leben im ländlich agrarischen Raum" als konstitutives äußeres Minimum und sozial bestimmender Wert eingeschränkt. Unter dieser Einschränkung aber widmet sich Kunne - oder muß das aufgrund dieser Einschränkung tun - den "Transformationen des Genres", der "innovierende Verarbeitung des überlieferten Modells".[10] Zwei Beispiele ihrer Argumentation:

Das Kapitel "Heimatliteratur als Gesellschaftskritik" beschreibt, neben Franz Innerhofers >Schöne Tage<, überraschenderweise Hans Leberts stilistisch und ideologisch ganz andere Kritik in >Die Wolfshaut<. Michael Scharangs >Der Sohn eines Landarbeiters< wird aber von Kunne - gegen Lachingers Auffassung - ausgeschieden, weil dieser im Burgenland und in Wien spielende Roman "eine Dimension der komplexen gesellschaftlichen Wirklichkeit" zeige; Scharang beschränke "sich in seiner Kritik nicht auf die ländlichen Lebensumstände, sondern richtet sich gegen die österreichische Gesellschaft schlechthin"[11]. Demnach dürften Innerhofer und Lebert, obwohl man ihnen, in mythisierendem oder neorealistischem Stil, Züge der Scharangschen Kritik nicht absprechen wird können, nicht im Sinn einer Gesellschaftskritik wie bei Scharang gelesen werden, aber doch "gesellschaftskritisch". Wie? Sind die Realismen Scharangs und Innerhofers gesellschaftskritisch so unterschiedlich?

Jonkes >Geometrischer Heimatroman<, in dem die "Heimat" abgeschenkt wird wie bei Thomas Bernhard, findet bei Kunne Platz, und zwar im relativ beliebigen Kapitel-Rahmen "Postmodernistische Mehrstimmigkeit" gemeinsam mit Max Maetz und Reinhard P. Gruber. Thomas Bernhards Heimat-Abschenkungen, die Marcel Reich-Ranicki als Heimatroman à rebours sah[12], akzeptiert Kunne nicht, z. B. weil bei Bernhard der Staat eine zu große Rolle spiele. Aber auch Peter Handkes >Wunschloses Unglück<, selbst Waltraud Anna Mitgutschs >Züchtigung< scheiden aus.

Zusammengefaßt: Kunnes Kriterien bzw. Kunnes Auswahl bei der modernisierenden "Innovation" und "Transformation" des Genres "Heimatliteratur" sind so willkürlich, daß sie zeigen, daß "Heimat" - als isolierter "ländlicher Lebensraum" - als literaturwissenschaftlicher Begriff mit dem komplexeren Bewußtsein gegenüber z. B. sozialen Prozessen in der Gegenwart ausgedient hat und besser auf die Literaturhistorie beschränkt bleibt. Das "Phänomen" ländlicher Wirklichkeit ist real und ideologisch - mit Kunne - "zu vielschichtig" geworden und seine Problemsubstanz nicht mehr anders als die z. B. des "Städtischen".

Natürlich aber gibt es "Heimat"-Landschaft bzw. -Roman als Erinnerung und Bezugspunkt und über die Heftchen-Literatur hinaus weiterhin - im Bild der Motiv-Kollekte: Friedrich Achleitner sammelt in >Die Plotteggs[13] kommen< (1996) antiquierte Landschaftsbilder und ihre heutigen sozialen bzw. ideologischen Korrespondenzen (in Gestalt von "Heimat"-Vertretern im bescheidnen Figuren-Repertoire) gleichsam im Plastiksackerl der Plotteggs ein. Der Essay ist aber weder ein "Heimat"- noch ein "Antiheimat"-Essay im älteren oder im Kunneschen Sinn. Matthias Wabl will in >1968. Ein Heimatroman< (1996) die verblichenen Überzeugungen der 68er-Bewegung erzählen, die er sogar durch einen Coitus der steirischen Heldin mit dem Beschreiber der "Heimat Babylon", Daniel Cohn-Bendit[14], in die steirische Heimat verflicht. Dennoch läßt sich, für Wabl so wenig wie für Cohn-Bendit, ein sinnvoller Bezug zum historischen Typus des "Heimatromans" herstellen (wobei es hier nicht um die literarische Qualität geht). "Heimatroman" ist eine Kollekte-Münze für nichts und alles, wenn er nicht historisch festgemacht wird.

Wanda Ziegler hat die Konsequenz aus diesen Schwierigkeiten gezogen und mit >Heimat in der Krise< die Krise des literaturwissenschaftlichen Begriffs gezeigt, indem sie ihn auf modernere Grundlagen stellte.[15] Sie geht, mit Raymond Williams[16], gegenwärtig-kulturanalytisch vor, beschreibt Identitätsbedürfnisse und -räume, die auch in "Heimat"-Bildern in Erscheinung treten, generell entwicklungspsychologisch und stellt von da aus die Beziehung zur "physischen Kulisse" ländlicher "Heimat" als "territoriale Satisfaktion" der weichenden Erben, der Städter usw. seit dem 19. Jahrhundert her, die sie z. B. auf die Film-Bilder der "Heimatmacher"[17] bezieht. Die psychische Bindung an die "Kulisse" werde (noch immer) "Heimat" benannt. Sie trage zu dem, was mit "Heimat" gemeint war: die Möglichkeit sich zu verstehen, sich zu artikulieren, sich in einen gesellschaftlichen Diskurs einzuschalten, Identität zu finden, nichts mehr bei. Sie sei - so Ziegler nach der in der und seit der Nazizeit entwickelten Brauchtums-, Handwerk- und Verkaufsinstitution - "Heimatwerk", Ideologieverkauf entgegen der realen Auflösung der Landschaft durch die moderne Land-Wirtschaft und den Tourismus, und wird als ihrer selbst entfremdete und frei verfügbare Projektion nun nicht mehr der NS-Ideologie, sondern der gegenwärtigen Wirtschaftsformen gesehen. Parteien, Gewerkschaften, Kirche, Mode, Zeitungen, Radio, Fernsehen hätten als vergleichbar funktionale Strukturen der "physischen Kulisse" längst den Rang bei der Identitätsbildung abgelaufen.[18] Die kulturanalytische Beschreibung dessen, was historisch-ideologisch "Heimat" meinte, löst den Begriff als literaturwissenschaftlichen (nicht als literaturhistorischen) für die Gegenwart auf.

In diesem Sinn wird in den folgenden Ausführungen versucht, einige "ländliche Landschaften" in Texten der Gegenwart zu beschreiben, wobei der Begriff "Heimat" im Rahmen der angedeuteten Diskussion nur "zitiert" in Erscheinung treten soll.

II. Anmerkungen zur Soziologie und Politik

Konsequenterweise bezieht Ziegler einen Oral-History-Text von Barbara Paßrugger in ihre drei Beispiele ein[19]. Das regt mich an, meine Oral-History-Heimat zu entwerfen, frei nach K. H. Waggerls >Ein Mensch wie ich<[20].

Abbildung 1
Abb. 1: René Magritte: Die Beschaffenheit
des Menschen I, 1933 ([m]ein Aspát)

II.1. Ein Selbstversuch zum Begriffsinhalt "Heimat"

Ich bin der Rottenmanner Aspetsberger. Meine formale Identität ist der Name Aspetsberger. Der Name meines Herkunftsortes Rottenmann leitet sich etymologisch von "roden" her (insofern habe ich "roots" im Sinne von Alex Haley[21] von Anfang an verloren gehabt). Für Rottenmann besaß ich einen "Heimatschein", der jetzt nicht mehr gilt, weil es keine "Heimatscheine" mehr gibt (er steht aber noch in meinem >Österreichischen Wörterbuch< von 1951)[22]. Nach Rottenmann, wo ich gezeugt und geboren wurde, habe ich, jeweils jahrelang, in verschiedenen Orten gewohnt, die mir also "die zweite Heimat", die dritte, die vierte usw. geworden wären, wenn es noch einen "Heimatschein" gäbe.

Stelle ich meine Zeugung in Rottenmann, wie es Ernst Jandl mit seiner Zeugung tut, unter die Überschrift >1000 jahre ÖSTERREICH<, so heißt das: "zwei tiere reichen aus, maskulin feminin, um ineinander / steckend, schwitzend keuchend schreiend oder geräusch vermeidend / einen neuen menschen zu schweinen: mich, ERNST JANDL"[23]. In diesem jandlschen Sinn der "bestia Mensch" als >1000 jahre ÖSTERREICH< bin ich, mit einem dialektalen Kollektivum, "Gfickát"[24] der "Heimat" Rottenmann bzw. des Paltentales bzw. des damaligen Großdeutschen Reiches. Diesen Zeugungsstrang weiter zurückverfolgend, bin ich irgendwann, irgendwo, noch in Gestalt meiner Vorfahren, auf einem Berg ([...]berger) in einem "Aspát", einer Ansammlung von Espen, gezeugt worden und habe dort gelebt und vielleicht gar Hof gehalten. Auf dem Magritte-Bild ist - sage ich, seine Struktur für meinen Selbstversuch nützend - ein Aspát zu sehn (Abb. 1). Ich bin nicht zu sehn. Es ist auch kein Plottegg zu sehen. Aber: >Die Ploteggs kommen< ja erst. Auch ich komme jetzt erst, hier in Budapest mit Ihnen, zu meinem Aspát Magrittes. Ich war bisher nie dort, woher ich komme. Wie komme ich nun in mein Aspát?

Abbildung 2
Abb. 2: René Magritte: Reproduction
interdite (Mein Kremstal)

Formal mit dem Ahnenpaß als Reiseführer, den ich aus der Nazizeit geerbt habe. Ich komme damit ins Kremstal. Das Kremstal kenne ich aus Stifters >Nachsommer< (1857). Ich sehe mich in diesem "Kremstal" bestenfalls wie das Gesicht im Spiegel bei Magritte (Abb. 2). Mit dem antipatriarchalen Bildtitel >Reproduction interdite< ist meine "Heimat"-Reise beendet; ich bin niemandes Ebenbild, weder als Kremstaler noch als Rottenmannner.

Ich bleibe bei mir selber und suche meine Erinnerungsbilder. Ihr Typus ist szenisch z. B.: Ich bücke mich im Garten des Rathauses von Rottenmann in die Stauden (ins Gstaudát?) neben dem Gartenpavillon halb unter den Rock meiner Mutter, während einige Soldaten der Roten Armee mit Maschinenpistolen in die Eichen neben den - für mich später, in den folgenden Heimaten - typisch steirischen Wäschetrockenmasten schießen. Ich sehe die Monatsbinde meiner Mutter. Heimat? Gfickát? Eine Staude Vergänglichkeit wie bei Jean Paul oder Celan? Ich nenne die Szene April 1945. Ungefähr das Gleiche zwei, drei Jahre später, 1947/48, nun nicht mehr im Rathaus, sondern in eine RAD-Führer-Baracke delogiert, rundherum Gstaudát, drei Wochen Hausarrest nach einer, genau nach Erich Weichbold, dem Nachbarn, der Hühnern den Kopf abhackte, in der Schule verfertigten Zeichnung des Geschlechtsverkehrs. Zusammengefaßt: Ich bin, damals wie heute, ein kleiner Held, ziemlich feig, sexuell interessiert (ohne daß ich den Begriff damals kannte).

Ich habe, außer beruflich in späteren Jahren, nie "Heimat"-Prosa gelesen; dann haben mir Johannes Freumbichler (>Philomena Ellenhub<, 1937) und die Heftchen am besten gefallen. Meinen heroischen "Heimatroman" für 1944-47 hat Johannes Mario Simmel mit >Mich wundert, daß ich so fröhlich bin< (1949) geschrieben, obwohl sein Roman in Wien und im wesentlichen in einem Keller während der letzten Bombenangriffe spielt (während ich zur Strafe auf dem Dachboden gesperrt wurde). Ich bin, ausgehend von meiner "Heimat" April 1945, in dieser und andrer Roman-Gestalt Simmels - was ich erst im Jänner 1997 erfuhr, als ich Simmels Roman las -, in ca. 72 Millionen Exemplaren weltweit verbreitet. "Mich wundert, daß ich so fröhlich bin".[25]

"Heimat" ist empirisch-relativ und literarisch-relativ. Empirisch ist sie eine Frage der jeweiligen Sozialisierung: sie ist eine andere, wenn ich in Mortanschg bei der Freiwilligen Feuerwehr oder bei den Rotariern bin, eine andere, wenn ich in Mortanschg am Abend in der Bauerbundversammlung oder beim Waggerl- oder Joyce-Lesen sitze; ich kann mir auch den Vilsmaier-Film zu Robert Schneiders "Heimatroman" >Schlafes Bruder< ansehn und auf der Fahrt zum Arbeitsplatz "die Plotteggs", die mir die gewohnte Landschaft, neben den zahlreichen Einfamilienhäusern, seit einigen Jahren anders ausgestattet haben als es die Heuschober und Kornmandeln, Mäher und Pferdefuhrwerke in der Zeit taten, als mein Ahnenpaß ausgestellt wurde: es handelt sich jeweils, bei mir und jeden Falls, um ein komplexes Gebilde der Ichkonstitution in den Zuständen, denen man ausgesetzt ist. Jeder ist etwas sehr Relatives in verschiedenen Kollektiven: in realen Massen und in Bedürfnis-Massen. Jeder ist jeweils vielschichtig gebildet. Wenn sich einer "heimatlich" einschichtig macht, ist er ungebildeter. Was man auch bei andrer Gelegenheit, was man häufig ist. Ungebildet und als ein Liebhaber Historischer Romane von Enrica von Handel-Mazzetti und Karl Itzinger kann ich Robert Schneiders >Schlafes Bruder< als Historischen Heimatroman aus der Gegenwart lesen. Ich lese ihn in diesem Sinn historistisch als "Schundroman", der mir gefällt. Dazu später.

II.2. Eine Anmerkung zur Literatur-Generation nach 1945

Seit durchwegs die Unterschichten die Dichter stellen und nicht mehr das Dienst- und Besitzbürgertum (Schnitzler, Hofmannsthal [mit der Vinazzer-Bauerngeschichte], Broch, Musil, Doderer, Schaukal) wurde ein altes, abgenütztes Literatur-Schema "Heimatroman" wiederaufgenommen. Seit nicht mehr das Dienst- und Besitzbürgertum die Literaturwissenschaftler stellt, sondern die Unterschichten, wurde ein altes, abgenütztes Genre wiederaufgenommen. Beide Spezies, Dichter und Wissenschaftler, sind klein-"österreichisch" repräsentativ nach dem monarchistisch und nach-monarchistisch groß-"österreichisch" der bürgerlichen Literatur. "Anti-Heimat" als literaturwissenschaftlicher Begriff "Heimat" 1960 - 1980 ist in diesem soziologischen Kontext eine vorübergehende Konstellation im gesellschaftlichen Wandel auf literaturwürdige Unterschichten-Autobiographien hin, die nur einen minimalen sozialen Rahmen anzugeben vermögen. Er wird traditionell als "Heimat" identifiziert, wenn er auch vielleicht nicht so gemeint war.

"Heimat" entspricht in diesem Wandel weiters z. B. auch den Buchgemeinschaften Mitte der fünfziger Jahre, deren Programm damals als literarische Bildung erlesen wurde und literarische Identitätsbildung ermöglichte für jene Buchgemeinschaftsleser, die Dichter und Literaturwissenschaftler wurden. Die größte Buchgemeinschaft hieß (heißt) bezeichenderweise "Donauland" und führte auch die "Bergland"-Klassiker der deutschen Literatur. Ich bin ein Bergland-Klassiker gebildeter Aspetsberger. Manche - wie Die Wiener Gruppe - trieben ihre Lektüre weder klassisch noch heimatlich identifikativ. Daß damals die literarische Avantgarde alle möglichen Sprach-Heimaten dekonstruierte, blieb öffentlich weitgehend unbemerkt. Ich sah und hörte es erst 1958 im "Literarischen Cabaret" in der >Alten Welt<.

Die Buchgemeinschaft Donauland lebt seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr von Heimat- und Bergland-Klassikern, sondern von Sound-Kassetten und Sound-Apparaten. Das Buch läuft im Programm nur noch unter anderm mit.

II.3. Die Heimat als Landschaft wird Heimat als Staat

In der Zeit 1960-1980 beginnen sich "Heimat" und "Staat" zu decken. Man muß sich - zur politischen Historisierung des Landschaftsbegriffes "Heimat" nach Kunne - die Zwischenkriegszeit in Erinnerung rufen: nach dem Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie wurde Österreich von den einwohnenden Deutschösterreichern überwiegend nicht als Staat, sondern als Teil der (deutschen) Landschaft bzw. eines andern, vergangenen oder zukünftigen Staates gesehen und auch in der Literatur propagiert[26]. Diese Teil-Landschaft wird 1945 provisorisch der - nach dem Nazismus - nun akzeptierte Staat Österreich. Landschaft wird also in der genannten Schriftsteller-Jugend-Generation auf Staatsgröße bzw. -grenzen umformatiert, bedingt auch durch die Wirkungen des Staatsvertrages 1955 als neutraler Staat zwischen den damaligen "Blöcken": Mitte der siebziger Jahre erreichte dann das Österreich-Bewußtsein demoskopisch erstmals über 70%.

Abbildung 3
Abb. 3: Manfred Deix: Thomas Bernhard gratuliert
dem Bundeskanzler zum 70. Geburtstag

Wie sah der Kultur-Staat damals aus: auf einem Cartoon von Manfred Deix (Abb. 3) erscheint er als dörfliche Prozession. Die Ministranten Peter Turrini und Gerhard Roth tragen den Himmel bei der Prozession mit dem Heiligen Kreisky, Bernhard pißt zu einem Kreisky-Altar - "heimatlich" könnte man sagen: Innerhofers Bettnässer Holl aus >Schöne Tage< zeigt in Gestalt Bernhards auf dem Cartoon seine öffentlich-staatliche Fähigkeit; er ist bei Bernhard ein "Anbrunzer"[27] der Staatssäulen, die Bernhard polemisch immer wieder benannte: "das Katholische" (hier der Staat als Prozession) und "das Sozialistische" (hier der Heilige Kreisky) sind "das Nationalsozialistische" (hier die "treueste Gefolgschaft"[28] bzw., nach Friedrich Heer, Hitler als österreichischer Katholik[29]), und dieses ist so "das Österreichische". Mit Werner Koflers neuestem "Heimat"-Bild: eine "üble Nachrede"[30] in der literarischen Tradition der Scheltrede. Die Widersprüche, die Deix und Bernhard aufzeigen, werden aber von der politischen Oberfläche bestätigt:

Kreisky wurde "der Medienkanzler" genannt und war ein "Volkskanzler" trotz seiner "jüdischen" Herkunft; er galt als eine "internationale Größe" bei den Österreichern[31]. Die "Heimat" Österreich schien, mit ihrer neutralen Position aus den Blöcken gehoben, "Weltgeltung" zu haben und wurde - mit dem Papst - "eine Insel der Seligen". Die konsequente "österreichische" Fortsetzung und zugleich eine Analyse dieses Kreisky-Syndroms "Österreich"-Bewußtsein war die Wahl von Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten: als vormaliger Generalsekretär der UNO von vornherein eine "internationale Größe", wurde er zum ausschließlich österreichischen Volkspräsidenten, weil, aufgrund seines Umgangs mit seiner Vergangenheit (d. h. auch. der "Heimat"-Vergangenheit), ihn niemand sonst sehen wollte; eben damit wurde er wieder zur "internationalen Größe" bzw. zu österreichischer "Weltgeltung". Diese widersprüchliche Struktur Kreisky-Staat/Waldheimat verlängerte die Auffassung österreichischer als (Anti-)Heimatliteratur auf dem Auslandsbuchmarkt. Zurück zur Landschaft.

Bis zur und über die Kreisky/Waldheim-Zeit hinaus hat sich die (österreichische) Landschaft, Minimum des Heimatromans nach Kunne, auch auf andere Weise verändert: Kreisky empfing tröstend den Weltmeister des Landes der "Aufstiegshilfen" für Schifahrer, den in Sapporo vorübergehend international totgestellten Karl Schranz aus dem Land der Europabrücke, die hoch über der Landschaft Tirols die Transitlandschaft Tirol repräsentiert. Sie ist Zeichen des Weges in die europäische "Wettbewerbslandschaft", wie Werner Kofler im Roman >Konkurrenz. Szenen aus dem Salzkammergut< die österreichische Landschaft nennt[32]. Es ist die Event-Landschaft des Fremdenverkehrs, in der, hoch aus den Bergen bei Ischgl, Tina Turners elektronisch gewaltig verstärkte Stimme den Transit überbrüllt. Es ist die Event-Landschaft der Snow-Board-Werbung für alles mögliche, die Event-Landschaft, die den Hintergrund für die Open-Air-Monster-Präsentation des "Heimat"-Films >Schlafes Bruder< von Vilsmaier/Schneider darstellt: Es ist, zusammenfassend, die Vilsmaier-Landschaft nach dem System Magrittes. Es gibt keine vergessene Talschluß-Landschaft mehr, sie ist insgesamt am Ende: nicht nur, weil sie vom Blick der Medien "von außen" aufgebraucht wird, sondern auch, weil die Medien bestimmend in ihr sind, in jedem Haushalt, und "die Landschaft" und die Land-Wirtschaft nur in diesem werblichen oder Event-Charakter aus sich heraus existiert. Wie Sepp Forcher "ins Laund eini" schaut, so schaut es aus dem Fernsehschirm heraus. Diesem Warencharakter entspricht der deutschsprachige Markenartikel "österreichische Literatur", dessen Markenschutz - mit irgendwelchen Erwähnungen Österreichs - zu benützen, spätestens seit Bernhard zur Pflichtübung der heimischen Autoren geworden ist. In der Scheltrede für diese nunmehr neoliberalistische Zeit schreibt Werner Kofler in seiner >Üblen Nachrede<, die Oswald Wieners üble Nachrede im Abschnitt >Purim. ein fest< aus der >verbesserung von mitteleuropa, roman< und Bernhards zahllose Scheltreden fortsetzt: "[...] Hitler, wer war das?, Haider, wer soll das sein?, der neue Mann heißt Jagerhofer, Hannes Jagerhofer aus Feldkirchen in Kärnten, der Clubbingkönig von Wien, ja Österreich, der Clubbingkönig schlechthin [...]".[33] Der Event hat die Politik abgelöst, die Event-Landschaft hat die Staats-Landschaft abgelöst, die sich aus der Land-Landschaft der Zwischenkriegszeit entwickelt hatte, die sich wieder auf die vorindustrielle Landschaft berief.

III. Schriftstellen lernen an der "Heimat"

Die Kohärenz des Kulturkonservativismus der Nachkriegs- bzw. der Wiederaufbauzeit[34] durchbrachen zwischen 1960 und 1970 die etwa 20jährigen (im und nach dem Krieg geborenen) Autoren. Sie zeigten, welcher Art diese Kohärenz war; sie zeigten sie als verdeckten Widerspruch der Art, wie er sich später in der widersprüchlichen Kongruenz der "Volks"-Repräsentanten Kreisky und Waldheim offenbarte.

Als Beispiel nehme ich Gert Jonkes >Geometrischen Heimatroman< (1969), zunächst in einer späten Spiegelung des Themas in seinem letzten Buch >Stoffgewitter< (1996). Dort zitiert Jonke einen Text von Jorge Borges über Kartographen, die ein Land im Maßstab 1:1 kartographieren und mit dieser Karte verdecken:

Eine Art praktische Anwendung dieses Textes auf die allgemeine Situation dieser südlichsten Provinz in Österreich, in der ich lebe, bietet sich verblüffend naheliegend an: Nein, wir haben keine die Fläche von Kärnten ausmessende Karte von Kärnten über Kärnten gelegt, sondern wir haben ein das Bild der Oberfläche von Kärnten darstellendes kärntengroßes Gemälde über dieses Bundesland gelegt bekommen irgendwie, von dem zwar behauptet wird, es werde darauf wie auf einem naturalistischen Gemälde die Oberfläche des Bundeslandes optisch ersichtlich - als hätten wir es nötig gehabt, dieses Gebiet, das wir bewohnen, wie Polstermöbel mit einem hübsch geblümten Schonbezug den grauenhaften Diensten eines dilettantischen Tapezierers auszuliefern -, es ist aber dieses über das Land Kärnten gelegte Gemälde von Kärnten leider nur ein billig in einem Kaufhaus erworbenes Kitschgemälde, von dem behauptet wird, es stelle die Oberfläche dieser südlichsten österreichischen Provinz deckungsgleich dar. Wir bewohnen hier also keine Landschaft, sondern ein Bild.[35]

Schon im >Geometrischem Heimatroman< von 1969 hatte der Erzähler ein Dorf vermessen wollen, war aber, vom Reinlichkeits- und vom Ordnungswahn und von der Angst seiner Bewohner bzw. Beherrscher erschreckt und in ein Versteck gescheucht, nicht aus seinem Schrecken und aus seinem Versteck herausgekommen. Er hatte so wenig einen Platz an der Sonne gefunden wie bei Kafka der Sohn im Schatten des Vaters[36]. Der Erzähler bei Jonke - Jonke/Borges bzw. Jonke/Magritte - betritt die erzählte "Heimat" nicht, sondern entfernt sie so literarisch-bildhaft wie sie ein in einem Kaufhaus erworbenes Kitschgemälde ist. Dann geht er über den Dorfplatz und fort: es geht um dieses literarische Verfahren. In der den kartographisch-"geometrischen" Heimatroman abschließenden >Bemerkungen zur allgemeinen Situation Nummer acht: Aussicht< heißt es:

Im gleichen Luftbereich,
        im selben Zeitraum
(oder auch anders oder auch nicht)
ist es möglich und durchaus erlaubt,
as Dorf in ein weißes oder andersfarbiges Packpapier mit oder ohne
Firmeninschrift einzuwickeln
            oder zu einem Ellipsoid mit den Ausmaßes eines
herkömmlichen Rugbyballes zusammenzufalten,
        über eine der Schultern
            oder durch eine der Achselhöhlen hindurch zehn
oder mehr oder weniger Meter
        hinter den Rücken zu werfen,
um in eine andere Landschaft einzubiegen.[37]

Das Interesse am literarischen Verfahren gegen die kartographischen Landschafts-Kohärenzen der "Heimat"-Ideologen zeigt sich noch deutlicher an einem Text Peter Handkes >Die Hornissen< (1966).

Um das Interesse der Schriftsteller am Verfahren zur Herstellung von "Heimat" deutlich zu machen, zitiere ich eine Szene aus Handkes >Hornissen< zuerst in zwei Formaten von Friedrich Achleitner, in welchen die "Heimat"-Szene, ohne die evokative Beschreibung der ländlichen Landschaft wie in Handkes Roman, als Sprechakt auf der schönen Öde einer überwiegend weißen Seite im Kontext von >prosa konstellationen montagen dialektgedichte studien< dargestellt wird. Es geht bei Achleitner und Handke um die alltagsbestimmende "heimatliche" Kampfrhetorik:

hau
i drauad ma schao
hau
i drauad ma schao
hau
i drauad ma schao
hau
i drauad ma schao
hau
waon dö gschichd
sicha waa
[38]

(Dieser Verhaltenstypus deckt sich mit dem meines Selbstversuchs).

Noch enger, ident in den Begriffen "Feigling"/"Feigling", schließt ein anderer Text Achleitners sich an den Handkes an:

[...]
und du bisd a drögsau
iazd hau i da an schdoa auffi
driaffsd mi e nöd
i dawisch di schao wida
faigling
faigling
[39]

In Handkes >Hornissen< wird, was bei Achleitner durch die Isolierung zustande gebracht wird, als Prosaprogramm ausgeschrieben, aus dem (Heimat-)Dialekt herausgeschrieben und als schriftstellerisches Verfahren deutlich gemacht. Der stoffliche Zusammenhang des folgenden Zitats ist: die Leiche des einen Bruders wird auf einem Karren auf den Bauernhof gebracht, während der Vater mit dem Pferdefuhrwerk um Schilf gefahren ist:

[...] Sie seien noch zwei gewesen.
Feig, sagte der eine. Selber feig, sagte der andere: das ist ein Beispiel für ihre Gespräche.
Sie standen nun in der Schlucht und redeten miteinander, indem sie schrien und große Gesten vollführten.
Du springst nicht. (Der eine sei zu feig zum Springen.)
Gib mir die Liane. (Der andre solle dem einen aus dem Uferbaum die Liane reißen.) Feigling. (Der eine wird wiederum aufgestachelt.)
Die Liane. (Der andre soll seine Zeit nicht mit Reden vergeuden.)
Hans habe die Liane gereicht. Matt sei mit der Liane zum Felsen zurückgegangen. Zwei Felsen. Zwei Felsen, zwischen denen ein Bach fließt, ergeben insgesamt eine Schlucht.
Zuerst ich, dann du. (Nach dem einen solle der andere springen.)
Ja. (Er ist einverstanden.)
Der mit der Liane schaut mit aufgerichtetem Kinn zum anderen Ufer. (Dies läßt vermuten, daß er sich noch nicht schlüssig ist.)
Du bist feig. (Erneut wird auf des einen Stolz gepocht.)
Nein. (Der Vorwurf wird abgewiesen.)
Feig bist du. (Listig wird der Vorwurf wiederholt.)
[...]
Ich erzähle die Geschichte zu Ende.
[40]

Handke gibt - mit einer Art Gebrauchsanweisung für die Bedeutungen von ihrer Erzeugung her - zugleich mit den Imaginationsmöglichkeiten der Sätze für den Leser deren Beschränkung mit. Die geschriebene Heimat ist schriftstellerisch kein anderes Ereignis als die Beschreibung eines Eisenbahncoupés, die später folgt.[41] Es wird gesagt, welche "Bilder" gemacht werden, was man sich wie vorzustellen hat, mit welchem Verfahren die Szenen hergestellt werden. Sie verlangen, auch gegen Emotion und Willen des Erzählers, ihr Recht: "Der Vater zügelt indessen gegen meinen Willen das Pferd [...]."[42] Von "Heimat" oder "Anti-Heimat" ist keine Rede, kann die Rede nicht sein.

Noch deutlicher als für den Heimatroman wird die Verfahrenstechnik von Handke in >Der Hausierer< für den Kriminalroman beschrieben. Gertrude Stein ist lange vor Handke mit ihren Kriminaltexten mit dem Kriminalromanschema so respektlos-entillusionierend umgegangen.[43] In der Schema-Literatur[44] ist der Heimatroman nichts Besonderes. Nicht als fortgeschriebene Tradition und nicht primär als Gegnerschaft zu ihr, sondern aus literaturtheoretischem Interesse, als Selbstversuch, als Schriftstellen-Lernen, spielten der Heimatroman, der Kriminalroman und der Trivialroman "geometrisch" gegen 1970 eine Rolle. Das heißt aber, und deshalb wurde Achleitner zitiert: eher im Zusammenhang mit den sprach- und literaturanalytischen Interessen der Wiener Gruppe als mit der alten Heimatliteratur oder gegen sie. Man könnte sehr verkürzend sagen: Eine Jünglingsgeneration lernt schreiben an ausgeschriebenen Schemata, die ihr geläufig waren, die ihrer Lebenswelt nicht fernstanden, und die auch deswegen wie selbstverständlich "Literatur" waren, weil die Hochliteraten ins Exil vertrieben worden und nach dem Krieg für die Schichten, aus denen die Schriftsteller kamen, weniger marktpräsent waren als die Buchgemeinschaftsliteratur es war.

IV. Neue Text-Kohärenz

Ich verkürze weiterhin: Um 1970 kann diese Generation schreiben; sie läßt vorsichtig die Textkohärenz wieder zu. In Handkes >Die Angst des Tormanns beim Elfmeter< wird ein Erzähl-Programm der Kohärenz gegenüber der dargestellten "beginnenden Schizophrenie", also gegenüber der Verselbständigung der Zeichen, nicht nur für den Protagonisten, sondern auch für die Waren-Welt, in der er lebt, angewendet. In >Wunschloses Unglück< wird mitgeteilt, daß es an der Gemeindeanschlagtafel Sätze wie aus dem 19. Jahrhundert und daß es wenige Steh-Sätze für ein Frauenleben gibt, mit denen und gegen die dann das Landleben und ein Kleinstadtleben kohärent erzählt werden.[45]

Christian Wallner hat in diesen Jahren im Bastei-Verlag monströse Sekretärinnen- und Adelsromane schrieb, die Parodie und Vollendung des Genres der Heftchenliteratur in einem sein sollten und es für mich auch waren (z. B. >Das Glück ist ein Suchen. Hildegard - Schicksalsroman einer Chefsekretärin<[46], und >Schatten über Herrenstein. Ein Epos aus dem Adel< bzw. >Die Macht des Schicksals. Schatten über Herrenstein<[47]). Sie wurden, obwohl Parodien, von Bastei auf dem normalen Heftchen-Vertriebsweg vertrieben, was die Ununterschiedbarkeit von Textsorte und ihrer Parodie demonstrieren sollte. (Liegt ein vergleichbares Verfahren "hoch"- bzw. "schund"-literarisch Robert Schneiders >Schlafes Bruder< als Frankenstein-"Heimatroman" zugrunde?) Thomas Bernhard entwickelte (pseudo-)politische Begriffe wie "katholisch", "sozialistisch", "nationalsozialistisch" oder "österreichisch", die eine - wie man mit Werner Kofler sagen könnte - "Textkohärenz des Anbrunzens" in jedem Fall, auch den der Inhaltslosigkeit, sicherstellten. Die Erzeugung von Kohärenz, von formaler "Schönheit", ist das Ziel, das sich parallel zur Schönheitsperfektion der Waren-Kultur geltend macht - Literatur als wirklich verkaufbare Ware mag auch ein Faszinosum für Wallners Trivialliteraturproduktion ausgemacht haben (und für die "lesbare" Gegenwartsliteratur von Haslinger, Menasse und anderen ausmachen).

Vielleicht bildete auch der ORF-Literatur-Film eine stilistische Stütze oder Anregung für die neue Kohärenz der Texte in diesen Jahren, also die Umsetzung des Wortablaufs in ablaufende Bildfolgen, wie sie die >Alpensaga< von Turrini/Pevny zeigt: die Literatur wurde mit dem schlichten historischen Abbildungs-Sprechfilm verbunden, beide wurden "neorealistische" Bild- und Wortfolgen nach dem Prinzip "und dann". In den Zeiten des Regie-Theaters der Schaubühne in Berlin, die die klassischen Texte in den "unpassendsten" Übersetzungen zeigte, hat die >Alpensaga< meiningerisch ein historisch-museales Kostüm angezogen. Erst die letzte Folge der >Piefke-Saga< von Felix Mitterer gibt diese Form, dann schon von Helmut Zenker kottan- und tohuwabohugeschult, endgültig auf. Anderseits kulminiert Mitterers Kunstrasen- und Südsee-Hotelkeller-Tirol mit der Vilsmaierischen Open-Air-Mega-Leinwand, vor der die ausgezeichnetsten Premierengäste in einem "abgelegenen" Vorarlberger Tal sitzen: die "Heimat"-Landschaft Neu findet die "physische Kulisse", die sie einmal war, nun im Mega-Medium. Im Bild von Magrittes >Der Gipfelruf< und >Die Domäne von Arnheim< (Abb. 4) betrachtet: das Nest mit Eiern im Vordergrund symbolisiert die Schöpfer-Hoden Wallners, die Schöpfer-Hoden Schneiders und Vilsmaiers vor der heroischen Geschichte Neu und der Landschaft Neu; sie sind nicht Arnheims, sondern Wallners, Schneiders, Vilsmaiers und anderer "Domäne".

Abbildung 4a
Abb. 4a: René Magritte: Der Gipfelruf (1962)

Abbildung 4b
Abb. 4b: René Magritte: Die Domäne von Arnheim (1962)

Die Neue Kohärenz nach 1970 hatte zu einem hörbaren Aufatmen der Leser und der Literaturwissenschaft (z. B. nach Heißenbüttels >Textbüchern< oder >D'Alemberts Ende< oder Oswald Wieners >verbesserung von mitteleuropa, roman<) geführt, da sie nun wieder ihren "realistischen" Illusionen eines Romans wie er immer war (und also auch des "Heimat-Romans", und sei es als "Antiheimatroman") nachhängen konnten. Einer der Protagonisten dieser Wende, Innerhofer, wurde von der Kritik auf das genus redivivum versumque anti festgelegt - und fallengelassen, als er diese Festlegung in späteren Werken nicht bestätigte. Dabei hatte auch Innerhofer schon im ersten Roman die Textkonstruktion klargemacht: Landschaft als der "zusammengestohlene Grund und Boden"[48] des Vater-Patriarchen ist als Arbeit ("Handgriffe"[49]) der "Leibeigenen" umfassendes Zeichen für Herrschaft, die den Menschen verdinglicht und ohne Bedauern zerbricht. Auf diese Gegenwart des Textes, die in der neorealistischen Zeit durch zahllose andere Texte von Handke bis Scharang nahe lag, wurde der Roman nicht bezogen, sondern, bei Anerkennung der lieber "archaisch" als gegenwärtig akzeptierten Gewalt, auf ihre Landschafts-Inszene: so, als (Anti-)"Heimatroman", läßt der Text sich am einfachsten ins Leserverständnis übersetzen. Er läßt sich aber auch anders ins Leserverständnis übersetzen.

Ich gehe nochmals von dem Achleitner-Text aus, den ich schon für Handkes >Hornissen< verwendet habe und an den ich nun als "dialektgedicht", als Dialekt-Inszene, verweise. Achleitner isolierte die "heruntergekommene" Sprache[50] der Dialektsprecher und ihre primitive Bedeutungsfülle des Nicht-anders-Könnens bzw. der Gewaltsamkeit und machte sie so sichtbar. Ernst Jandl liefert eine Übersetzung in diesem Sinne mit. Die Leserlust an der Wiener melodischen Heimatlichkeit des Dialekts wird von Jandl nicht zugelassen. Jandl läßt, wie Handke in seinen übersetzenden Anweisungen zur Textkonstitutions, schriftsprachlich folgen, was er mit einer bestimmten Formatierung sagt:

nocha schmaiss maream äne
eangrob eangrob
/: und don sing maream an schdingaden koräu:/
/: fafäu, bleeda hund, fafäu:/

nachher schmeißen wir ihn hinein
ehrengrab ehrengrab
/: und dann singen wir ihm einen stinkenden choral:/
/: verfaule, blöder hund, verfaule:/
[51]

In zwei Sprachen, d. h. in zwei Darstellungsweisen, werden die Verhältnisse deutlich gemacht, dialektal als emotional ansprechende "Heimat" Wien (bzw. Österreich, nach dem Zeugungsgedicht >1000 jahre ÖSTERREICH<), und schriftsprachlich als Gebrauchsanweisung für die Häßlichkeit, das Haßvolle des Dialekts. Die Schriftsprache fordert auf, nicht nur zu hören und mitzusingen, sondern auch zu verstehn. Jandl schreibt dem Schriftsteller nochmals nach für den Leser. Auch >auf dem land< hätte er 1966 als onomatopoetisches Dialektgedicht schreiben können.[52] Aber die Befremdung der Lesergewohnheiten für die Haustier-Landschaft der "Heimat" ist zumindest ein Ziel des Textes: Schriftstellen soll nicht als "Heimat" verkannt werden. Die Leserlust an der "Heimat" erwächst aus der Verkennung der schriftgestellten Tatsachen, erwächst aus dem sprachmateriallosen Kurzschluß (des Nichtlesers als Leser der "Heimatliteratur").

Jandl signalisiert für seine Sprachkörper deren relative Gültigkeit und Dauer, ihren eigenartigen, häufig schlechten Zustand. Er schreibt in der "heruntergekommenen" Sprache[53] für einen heruntergekommenen Körper, für den Gast auf Erden Jandl. Insofern stimmt sein Ausdruck "Gastarbeiterdeutsch" auch für die biographischen Gedichte. Ich lese auch in Robert Schneiders Heimatroman >Schlafes Bruder< eine solche "heruntergekommene Sprache". Schneiders Johann Elias Alder, sein Frankenstein-Genie ohne tradierbares Genie-Werk, ohne Notation seiner "Kunst", eine Kunst ante litteram, hält die Kohärenz des "Heimat"-Textes >Schlafes Bruder< vielleicht doch im Griff der Bildungsliteratur.

Literarhistorisch ließe sich Jandls Verfahren, dialektal/schriftsprachlich ident zu halten, was nach Lesegewohnheiten und -fähigkeiten getrennt ist, dem Weinhebers gegenüberstellen, der Sprachen und ihre Wirklichkeiten strikt trennte: Weinhebers Wiener Dialekt-Gedichte von >Wien wörtlich< (1935) sind ohne Zweifel eine "Heimat" Wien. Gleichzeitig hat er (s)eine andere "Heimat" gebaut - in gewaltiger Sonetten- und in Oden-Akrobatik, in monströser "Hochkunst", wie man nach Robert Schneiders monströser Trivialkunst sagen könnte. In >Adel und Untergang< (1934) und >Zwischen Göttern und Dämonen< (1938) war "das Wort" da (>Hier ist das Wort<[54]) für die, ihren Bauprinzipien nach sprachlich großdeutsche Heimat Weinhebers. Es sind, jeweils "wörtlich", hoch- oder dialektsprachlich, Konstruktionsprinzipien von jeweils stärkerer oder schwächerer ideologischer und sprachlicher Kohärenz. Jedenfalls aber geht es auch ums Schriftstellen.

Auch Karl Heinrich Waggerl könnte man in einem solchen Zusammenhang als Schriftsteller sehen. Er hat den Roman >Segen der Erde< des Nobelpreisträgers Knut Hamsun, erschienen 1917, gelesen und sich solange ziemlich genau daran erinnert, bis er seinen Heimatroman >Brot< ziemlich genau dem Hamsuns nachgeschrieben hatte - "ziemlich" heißt licet: Zu einem Plagiatsprozeß, von dem schon öffentlich die Rede war, kam es nicht. Waggerl schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg keine Romane mehr: vermutlich hat er keine Romane mehr gelesen, hat in diesem Sinn des Schrift-Stellers Hamsuns >Gipfelruf< als "Domäne von Waggerl" aufgegeben.

V. Wirklichkeit als Medienkohärenz

V.1. Alltagsbilder/Bilderalltag

Nichts ist heimatlicher als die elektronischen Medien: das >Österreich-Bild< läuft, im Monopolsender ORF, im übertragenen Sinn ganztägig.[55]

Höhere Kaufkraft und längere Fernsehzeiten kennzeichnen die Zeit 1980-1990, an die die Zeit schließt, in der z. B. Josef Broukal wöchentlich im ORF und Jacob Steuerer wöchentlich in der >Presse< fürs Internet schwärmen wie um 1930 die Apotheker der Kleinstädte für "das Reich" (meist für das Dritte Reich). Es ist insgesamt die Zeit, in der Österreich von den Firmen der internationalen Offentlichkeit und der osterreichischen Offentlichkeit als Osterreich angeboten wird: das halbstaatliche Rundfunk- und Fernsehmonopol, zunehmend ein Shop und eine Selbstreklame-Anstalt wie CNN, nennt sich ORF (Osterreichischer Rundfunk) und die ehemals staatliche Mineralolverwaltung, die inzwischen in ihrer Werbung weltweit prospiziert und mit außergewohnlicher Tuchtigkeit die Landschaft in Osterreich schutzt, nennt sich OMV. Ich greif einige Beispiele aus der Werbung in dieser "Wettbewerbslandschaft" auf:

Es kann nicht bauerromanhafter zugehen als beim High-Quality-Certificate "Bei meiner Ehr'" des Rütli-Schwurs der Milchreklame-Kostümbauern, die über dem Schwurstein ihre Arbeitshände vereinen, oder bei den Antique-Mähern, die irritiert ihre Sensen aus der Wiese heben, um "abzuheben", wenn Tirol "abhebt" ins GSM-Netz. Usw. In Koflers Roman >Konkurrenz. Szenen aus dem Salzkammergut< wird der Text dieser "Wettbewerbslandschaft" zu einem Teil auf die Werbesprüche aus dem Werbe-Büro des Protagonisten aufgelegt, der als "Kreativ-Techniker" wohlbegründet mit dem Autor rechtet, wie gut denn der Text des Romans sei, in dem ihm, dem Protagonisten und Kreativ-Techniker der Werbung, in seiner Bedrängnis nicht werblich hilfreich unter die Arme gegriffen werde. Die Forderung des Helden ist deutlich: den dichterisch schriftgestellten Text zugunsten eines werblich schriftgestellten aufzugeben (>Schlafes Bruder< erfüllt die Forderung, ich hoffe als Literatur).

Die Werbe-Bauern schwören und sensen unauffällig in der dichten Kohärenz, in der die Medien unsern Alltag herstellen, in dem wir die Bilder sind, die wir sehn. Wenn man nur an die Bild-Wirklichkeit des Fernsehens, einheitlich von den Weltnachrichten bis zur Werbung, und nur an den ORF denkt: Wir sind die Miene Horst-Friedrich Meyers, wenn er ihm anstößige Kulturereignisse einleitet. Und Karin Resetarits, wenn sie sie dann "modern" ansagt. Der tiefschürfende Peter Rabl in >Zur Sache<, Gertrude Aubauer im Parlament. Das Spar-Fernsehen. Sepp Forcher, aber auch Vera Russwurm, wenn sie "ins Laund eini" schauen. Der heimatliche >Musikantenstadel< aus Südafrika, "Life"-gestellt und gestylt. Die "Volksmusik"-Galas mit den Zillertaler Schürzenjägern und Brunner & Brunner, der Bergdoktor bzw. das Off-road-Gerät, Event-Landschaften des Schi-Professionalismus und das Traumschiff Schloß Orth am Traunsee - aber namentlich festlegbare Landschaften sind von nicht festgelegten nicht zu unterscheiden. Dazu das Regionalfernsehen, das in Kärnten täglich vor den Schönheiten des Landes postierte oder über Wiesen und unter Bäumen schreitende Chöre präsentiert und ausschließlich über nicht-professionelle Kunst der Hobbyisten und Puppenmacherinnen berichtet; täglich fährt ein Sponsor-Bus mit der Event-Crew zu den Groß-Events der auch lokal nicht bekannten Größen usw.: Das ist die Medien-Heimat "Österreich". Da tut es nicht weh, wenn jenseits ihrer Grenze Kanzler Vranitzky in Israel Worte gefunden hat, die in Israel anerkennende Beachtung fanden. Event wäre freilich: "Vranitzky zwingt Hebron-Siedler nach Tel Aviv zurück".

Die hier nur angedeutete und nur am ORF angedeutete Bilder-Heimat ist kohärent wie es die imaginierten Heimaten beim Lesen der alten "Heimatromane" für die alten Heimatroman-Nichtleser-Leser waren. Aber nicht das Ideologische ist entscheidend, sondern die Bildwelt-Entsprechung, wie das Beispiel der Nachrichtensprecherin Margit Czöppan zeigt: sie mußte auf Seherwunsch gehen, weil sie medial nicht gut genug aussah und intellektuell schien. Sie war weder äußerlich noch innerlich ausreichend Bild-kohärent. Daher zeigt sich Elisabeth Spira nicht in ihren >Alltagsgeschichten< und kommentiert die Bilder nicht, sondern läßt sie uns als unsere Bilder.

In dieser kohärenten Bild-"Heimat" sind die Literaturwissenschaftler die Bergdoktoren, wenn sie nicht nur historisch, sondern auch noch für die Gegenwart von einem "Heimat"-Roman oder "Antiheimat-Roman" reden und sich nicht selber als Bild der Kohärenzbedingungen solcher Begriffe und Konstruktionen mitsehen. Das sagt nicht, daß die neue Bild-Heimat nicht Armut erzeugt in den Heimaten, wie sie im alten Bauernroman beschrieben wurde.

V.2. Heimat-Bild-Romane

Für die politisch aufgeschlossene Kreisky-Zeit und ihr (zur Aufgeschlossenheit nicht nur paralleles, sondern auch konträres) "Österreich"-Bewußtsein hatte Oswald Wiener mit der >verbesserung von mitteleuropa, roman< den eigentlichen Heimat-Roman schon 1969 vorhergeschrieben, den "Heimatroman" Mitteleuropas - als ein durch seine Krisenentwicklung seit dem vorigen Jahrhundert traditionell krisenbewußtes Territorium[56]. Oswald Wiener hat auch unserer Zeit ihren Heimat=Staats-Roman - in den Worten des Autors: einen "Schundroman" - geschrieben: 1990 erschien >Nicht schon wieder...! Eine auf einer Floppy gefundene Datei<. Der Titel meint: Nicht schon wieder leben, nicht schon wieder Gast auf der Erde sein, wie, ganz anders, Jandl das in seinem Gastarbeiter-Deutsch der Alkohol- und Körpergedichte und der andern Gedichte in "heruntergekommener" Sprache tut. Territorial, von der österreichischen "Wettbewerbs-Landschaft" her, ist im Text der >Floppy< alles "Heimat": die Lucona-Affäre; die Brennstäbe für das Atomkraftwerk Zwentendorf; Schiebungen im Innenministerium; Bürokratie als Erkenntnis- und Regulierungsapparat; eine tragische Liebesgeschichte; der Dandyismus des Neoliberalismus, hier zwar auch im Cavallery-Twill, aber mit offener Schädeldecke und in der Nährverdrahtung einer Intensivstation im Koma. Usw. In dieser Landschaft soll der Einwohner Puterweck (=Computerweck), der mental nur als Datei auf einer Floppy-Disc erhalten ist, gelesen und vom Staat bzw. vom Ministerialrat Präkogler ediert werden - der Floppy-Roman hat keinen Autor. Er erschien anonym, der Herausgeber Präkogler leitete sich von Philip K. Dicks "precogs", den vor der Erkenntnis Stehenden, her; umgangssprachlich-"heimatlich" wird er das "Arschloch" genannt.[57] Die Floppy Puterweck, der billigste Datenträger, ist schon der Typ des Avantgardisten unter den neuen Menschen der Medien- und Verwaltungswelt. Die Avantgarde ist fast ausgestorben: Sie tritt bei Wiener nicht mehr als Autor auf, liegt, zumindest halbtot, im Bett der Intensivstation.

Als Schriftsteller, also poetologisch, bezeichnete Wiener im Gespräch den Floppy-Roman als "Schundroman"[58]: d. h. das Schriftstellerische ist auch hier, wie in der >verbesserung [...], roman<, das Entscheidende. Wiener vermeidet aber auch im "Schundroman" jede Fremd-Kohärenz ("Ich bin Schriftsteller - ich verdränge nicht") unserer bzw. der in Rede stehenden Bild-Heimaten. Sein "Schundroman" ist schwer lesbar gebaut, ist avantgardistisch-hochliterarisch. Gilt das auch für den "Schundroman" >Schlafes Bruder< von Robert Schneider, dessen Literarizität den Bildbezug Hamsun/Waggerl/Handel-Mazzetti/Frankenstein/Comic formal nicht zu überschreiten vorgibt? Aber Schneider betont die Aldersche Kunst ante litteram und hält das Übersetzungserfordernis für die Bilder seiner historisierenden Heimat-Kohärenz bewußt in der extremen, aber naiv gegebenen Brutalität seiner Bilder; und dann im Film, in dem er, Robert Schneider als Schauspieler, in seiner Rolle des Kutschers geohrfeigt wird wie der "ordinäre" Dr. Döblinger in Doderers >Merowingern<. Schneider deutet insofern seine Text-"Hirnwichserei"[59] zumindest an. Man kann den Text wie das Gedicht >eangrob< von Jandl ins Schriftdeutsch einer erschreckenden Brutalität übersetzten. Nach der Entstehungs- und Erscheinungszeit wäre es die des Neoliberalismus.

Das rest-avantgardistische Prädikat "Schundroman" im Sinne Oswald Wieners kann als Leitbegriff für manche anerkannte Romane der österreichischen Schriftstellerei verwendet werden. Ein "Schundroman" wie der Wieners ist Robert Menasses Waldviertel-Roman >Schubumkehr< (1995), in dem die Gattung Roman innerhalb der literarischen Fiction auf den Namen des Protagonisten Roman reduziert wird, auf Roman, den Video-Freak, der als Camcorder funktioniert - und das nach Menasses "Hegel-Roman" >Selige Zeiten, brüchige Welt<[60]: also als bewußt schriftgestellte Reduktion aufs medienwirklich-Banale und die Video-Sichtbarkeit der geschilderten Vorkommnisse. In der kohärenten medialen "Heimat" ist der Roman nur mehr ein Camcorder-Roman, ein Floppy-Protagonist.

Ein anderer "Schundroman" dieses Typs ist der "Thriller" >Opernball< von Haslinger, ein makelloser Bestseller auch für das "Literarische Quartett" Reich-Ranickis: Eine mehrstimmige Tonbandaufzeichnung zu einer Fernsehübertragung des Opernballs, welcher das - neben dem Neujahrskonzert der Philharmoniker - wichtigste Medienereignis der "Heimat" "Österreich" ist (eine Milliarde Menschen, "die ganz Welt!" sagen die Moderatoren, schaut auf Österreich und Horst Friedrich Meyer). Haslingers "Heimatroman" vergrößert in diesem Ereignis "Opernball" den Bombenterror in Österreich, den die Polizei, sei's in den Briefbombenserien, sei's im Attentat von Oberwart, nicht in den Polizei-Blick und -Griff bekommt. Die Mordgewalt wird im Roman vermittelt über den Tonbandroman-Textregisseur Kurt Fraser, ein kriegsgeiler News-Reporter, der dieser Bildwelt seinen drogen- bzw. alkoholabhängigen Sohn opfert - nicht anders als der Vater bei Innerhofer den Sohn Holl seiner Besitzpflege-Geilheit opfert oder der Vater Ackermann bei Winkler den Sohn, der in die Droge Schreiben flüchtet. Kurt Fraser sucht seinen Sohn dann vergeblich auf dem Bild der FernsehÜbertragung, um ihn sterben zu sehn. Der Kriegsreporter als Kinderkiller[61] ist sein eigener Konsument des Massenmordes, der die weltgeschichtlichen Bezüge, in denen sein Tun steht, nicht verschweigt: "[...] die Wahnsinnsidee, auf dem Opernball Auschwitz nachzustellen? [...] Mein Material gab darüber keine Auskunft".[62] Auch nicht über den Sohn: der Fernseh-Vater, der den Sohn in seinem Sinn zu erziehen hoffte, sah ihn nie.

Ein Hauptwerk dieser rest-avantgardistischen "Schundroman"-Raffinesse ist Johannes Mario Simmels >Träum den unmöglichen Traum< (1996). Simmel läßt die neuere österreichischen Geschichte von vornherein durch das Medium Film in Erscheinung treten, und zwar als amerikanischen Sarajewo-Film (von Robert Siodmak 1953): also nicht in der "Österreich-Bild"-Perspektive Erzherzog Franz Ferdinands, sondern der Gavrilo Princips. Sarajewo 1914 als Princip-Film 1953 wird auf das Bild Österreichs als Krankenhaus und Neonazi-Heimat in der Gegenwart bezogen. Die Bildwelt als Vermittlungsverfahren für die österreichische Geschichte ist von Anfang deutlich und wird immer wieder exemplifiziert.[63]

Dem Helden von Simmels Roman, einem Drehbuchautor aus Wien, entgeht die Zeugung einer Tochter während der Arbeiten im Filmmilieu. Als er sich jetzt, inzwischen Großschriftsteller und körperlich und geistig am Ende, "heruntergekommen", in einem Luxushotel in Biarritz umbringen will, erfährt er, daß er einen Enkel Goran hat, von dem er so wenig wie von seiner Tochter wußte. Goran liegt, da in Sarajewo keine Medikamente für seinen kaputten Körper und für seinen Lebensüberdruß nach dem Kriegstod der Mutter[64] zur Verfügung stehn, in der Intensivstation eines Wiener Spitals, dessen Ärzte sich vom Besuch des Großvaters eine Stärkung des Lebenswillens des Enkels erwarten.[65] Wie in Oswald Wieners >Nicht schon wieder...!< ist die Intensivstation des Spitals historisch und anthropologisch gemeint: es geht ums Überleben und ums Wie-denn-Überleben. Die langen medizinischen Beschreibungen bei Simmel, das hochtechnifizierte Bett bei Wiener fungieren als "archaischer" Opferaltar "in Zeiten wie diesen". Einerseits die Lebensrettung des Enkels durch die Ärzte, durch den "heruntergekommenen" Großvater, durch die Großmutter (eine unansehnliche alte Czöppan, die aber als ehemalige Geliebte im Ersten Bezirk neu ausgestattet, gegenwärtiges "Bild" einer Frau wird), anderseits die Lebensverweigerung des Enkels Goran werden in bedeutende Spannungen gestellt (wie bei Vater und Drogen-Sohn Kurt und Fred Fraser bei Haslinger). Es geht um heruntergekommene Körper, heruntergekommene und heruntergebrachte Verhältnisse wie bei Jandl (aber doch auch bei Schneider: das gelbäugige Monster Johann Elias und der Krüppel Peter Alder). Simmels Held, der fortschrittlich-aufklärerische, aber an seinem Engagement längst zweifelnde Großschriftsteller - der aus einer Art Werkverzeichnis Simmels zusammengesetzt wird wie bei Oswald Wiener Puterweck aus den Werken Wieners -, wird aus seiner Selbstbild-befangenen, den überbenützten Körper peinlich pflegenden, todessüchtigen Großschriftsteller-Existenz geholt und stellt sich seiner Aufgabe, das Leben des unbekannten Enkels zu retten, wird aber schließlich durch ein Attentat Rechtsradikaler - sozusagen durch einen der "Entschlossenen" der Rechtsradikalen-Gruppe des "Geringsten" im >Opernball< von Haslinger - ermordet. Das Motiv zum Mordanschlag wird auf das Jahr 1945 zurückgeleitet, ganz konkret auf Figuren aus der Handlung des ersten Romans Simmels, >Mich wundert, daß ich so fröhlich bin<, der - wie andere Werke Simmels - zitiert wird. Ein, im Vergleich zu Haslingers Thriller, pessimistisches "Heimatbild", poetologisch aber einwandfrei wie bei Oswald Wiener: der Autor "in Zeiten wie diesen" stirbt an der Schwelle der Intensivstation, er stirbt im neuen Spitalsbild der "Heimat" Österreich. Mit dem Autor wird das literarische Schriftstellen zu Ende gebracht.[66]

Die Heimat-Verhältnisse implodieren, zeigen ihre Unmenschlichkeit, sei's historisch im Vorarlberger Heimatroman, sei's im Rechtsradikalismus wie bei Haslinger und Simmel oder in der rechtslastigen Normalität des Dorfes Komprechts im Waldviertel bei Menasse; selbst beim ironischen Biedermeier-Text Achleitners verrücken die hier allerdings explodierenden Plotteggs den Grimming (in Anspielung auf Paula Groggers berühmten >Grimmingtor<-Heimatroman) irreparabel für die Heimattreuen Verbände, die die "Grimmingtor"-Heimat vergeblich mit Gips ausgießen und fest machen wollen. Literatur der Avantgarde und sogenannte Massen-Literatur des Großschriftstellers Simmel, die beide ihr Handwerk verstehen, kommen rest-avantgardistisch auch insofern zur Deckung, als sie an ihren Möglichkeiten zweifeln. Mit Werner Kofler: auch ein Simenon könnte schwerlich helfen.[67]

Mörderisch geht es auch bei der Überschreitung ideologischer Grenzen zu. In Robert Schindels >Gebürtig< (1992)[68] reisen ehemalige KZ-Häftlinge zu Film-Aufnahmen für einen KZ-Film nach Jugoslawien (entsprechend dem "Sarajewo"-Film bei Simmel). Sie haben ihr Leben als Schaubild-Spiel zu liefern, das heißt das filmadäquate "jüdische" Aussehen vorzuführen, nachzustellen. Leben wird am eigenen Leib entfremdet, verbildert, musealisiert: die Medienwelt ist Repräsentantin der Musilschen modernen Eigenschaftslosigkeit des Menschen: Die Eigenschaften haben sich in Bild-Verbänden selbständig gemacht.

Eine ideologisch entscheidende Schwelle in diesem Zusammenhang wird bei Haslinger überschritten[69]. Ehemalige Nazi-Opfer und neofaschistische Täter erscheinen in seinem Roman >Opernball< vereint: während der neofaschistische Täter, "der Geringste" mit christologischem Anspruch, zu Tode kommt, überlebt der Kriegs-Bild-Schmarotzer Kurt Fraser, der aus der Emigrantenfamilie Finkelstein stammt und als englischer Soldat an der Befreiung des KZs Bergen-Belsen teilnahm - und diese Tat stets mit Fotos offeriert. Sein Sohn Fred flieht aus der BBC-Landschaft des Vaters in die Drogen-Landschaft, wird aber aus ihr zurückgeholt, indem ihn der Vater zuerst in die "Intensivstation" eines amerikanischen Überlebenscamps in der Wildnis-Landschaft steckt und ihn nach dieser Event-Heilung zum Angestellten der Medien-Landschaft des europäischen News-TV (ETV) macht, jenes News-Senders also, dessen Star-Kriegsreporter der Vater ist und der im Zusammenhang mit dem Bosnienkrieg in Wien auch die Übertragungsrechte für den Opernball erpreßt. Bei der Übertragung des Opernballes kommt der vom Vater an die News-Medien-Gesellschaft edierte Sohn zu Tode: die Integration in die väterliche Welt ist als Kindesverstümmelung mit tödlichen Folgen zu sehn. Das heißt aber: die Emigranten-Familie ist einerseits als Opfer und als Täter am realen und TV-Megamord beteiligt, anderseits ist dieser Mega-Mord das österreichische Ereignis "Opernball", also Heimkehr der Emigranten, "Heimat", Intensivstation, Tod.

Nochmals: Kurt Frasers medienstrukturell vermittelter Mord an seinem Sohn ist dem besitzideologischen Mordversuch des Vaters am Sohn Holl bei Innerhofer durchaus vergleichbar. Holl selbst und exemplarisch die Wirtschaftshelferin Helga, machen die tötende Besitzer-Gewalt des "Bauern"-Vaters so deutlich wie Haslinger die Bild-Gewalt der Event-Macher-Väter. Helga zerbricht absichtlich eine Tasse, um zu zeigen, daß dieses Zerbrechen eines Dinges mehr Entsetzen bewirkt als das Zerbrechen des Sohns, der als Knecht des Vaters bzw. des Besitzes ediert werden soll wie bei Oswald Wiener Puterweck von den Ministerialbeamten als guter Staatsbürger. Das den "zusammengestohlenen Grund und Boden" beherrschende Kartell von Gendarmerie, Kirche, Schule und Hofbesitzern, die Wirklichkeitsfabrik Pinzgau, ist dem Bilderkartell News-TV durchaus vergleichbar (wenn sie auch noch nicht "globalisiert" ist wie ETV). Wie Holl bei Innerhofer soll Fred Fraser fit - menschlich tot - gemacht werden für die patriarchalen Verhältnisse. Der Milieu-Unterschied ist nicht entscheidend, so wenig er entscheidend ist für die Vernichtung des Embrios in Schönherrs Drama in der Ärzte-Landschaft >Es< (1923), in welchem Zwei-Personen/5-Akte-Stück ein Arzt seiner Frau gegen ihren Willen das Kind abtreibt, oder für die Vernichtung des Sohns durch den Vater in Schönherrs Drama in der Bauern-Gebirgslandschaft >Erde< (1908). Mit Schönherrs >Karrnerleut'< (1904) - dem Kinderselbstmord -, mit Kafka, Hasenclever, Bronnen und anderen ließe sich das Motiv der Kindesverstümmelung bzw. des Kindesmordes in die ödipale Literatur der Jahrhundertwende zurückverfolgen. Auch das führte (auch historisch) weg vom Begriff "Heimatliteratur". Die Lebens-und Leibeszerstörung der Söhne des fin de siècle wird nun an die Schreckbilder des 20. Jahrhunderts, die "Heimat"-Bilder des Nazismus und ihre KZ-Korrespondenzen angeschlossen (diese aber auch, bei Ruth Klüger, an den Machismo als gesellschaftliche Struktur).

Auch in Robert Menasses >Schubumkehr<, dem Waldviertler "Heimatroman", findet Kindesmord statt. Der Bürgermeister führt seinen Event-Lebensanspruch "King" auf der Autotafel, ist mit der Bedrohung der Komprechter Arbeitsplätze durch billige Arbeitskräfte aus dem Ausland konfrontiert und will ihr mit dem Ausbau des Fremdenverkehrs begegnen; durch Zubauten für den Fremdenverkehr erhalten die Komprechter Häuser Haken[kreuz]form. Der [Mauthausen-]Steinbruch wird stillgelegt und zum Steinbruch-Museum umfunktioniert, die überlebensgroßen mahnenden Engelsfiguren vor ihm abtransportiert usw. "King" findet schließlich seinen Sohn tot, als er ein totes Gastarbeiterkind zu finden meint. Sein Sohn und ein "fremdes" Mädchen, mit dem er spielte, hatten die Kleider gewechselt, "das Dorf", dessen Machtkartell hier mörderisch eingriff, hatte das "falsche" Kind umgebracht.[70] Die strukturelle Begründung ist nicht anders als bei Innerhofers Dorf-Machtkartell. Unterschiedlich ist, daß der Protagonist, Camcorder-Roman, den Mord nicht sieht, weil er den Camcorder zu Hause gelassen hat und also nicht zoomen kann, als der Mord geschieht. Er selber ist ein zu schwaches Auge für die Wirklichkeit der Waldviertler "Wahlheimat" seiner Mutter. Man kann auch Kurt Fraser bei Haslinger so sehen.

Insgesamt: Die Laios-Figuren der bürgerlichen Jahrhundertwende sind gegenwärtig die Beherrscher der Medien-"Heimat" bzw. des Medien-Globus: Auch die Bild-"Heimat" ist auf Seiten der Väter. D. h. mit Oswald Wiener verallgemeinert: ein leistungsfähiger Computer vor Kopernikus hätte das ptolomäische Welt-Bild als Welt-Bild der Väter stabilisiert. Die potentiellen Vatermörder der Gegenwart unterliegen. Mit der Gülle werden bei Menasse zahllose Präservative auf den Acker ausgebracht: ein neues Bild ländlich-heimatlicher Fruchtbarkeit der Väter.

V.3. Die neue Landschaft mit (alten) Opfersteinen

Der Präservativ-Acker führt zurück zur Landschaft. Sie wird bei Menasse nicht nur als Präservativ-Acker "punktgenau"[71] beschrieben; als Beispiel zitiere ich den, in Komprechts im Waldviertel neu angelegten, "im Zwielicht" liegenden Tourismus-Badesee:

[...] dieses Panorama, die Heimat, da war alles neu, die Wiese, die Bäume, die Steine, alles neu, es sah aus wie soeben erschaffen, so neu wie dieses neue Badegebäude, und er sah die Wasserfläche des Braunsees, wie eben erst eingeschenkt, mit beiden Händen umfaßte er die Kaffeetasse, trank sie leer, stand auf.[72]

Wie dieses Waldviertel Neu gelingt die neue Landschaft heroisch auf der vor die bestehende Landschaft gestellten Mega-Leinwand mit Vilsmaiers Film nach Schneider: die Ware Landschaft[73] geht nicht verloren. Sie wird, nicht nur mit Präservativen, märchenhaft ausgestattet: die Plotteggs sind "Riesen", die überlebensgroßen Mahnengel vor dem Steinbruch sind Geistergestalten, die freilich weggeschafft werden; die alte Frau, die der Bürgermeister "King" aussiedeln will, macht einen Giftanschlag wie eine Hexe, die Kinder tauschen die Kleider usw. Auch das monströse Hörwunder bei Schneider ist Geistergeschehen, das den Menschen verwandelt. Der Stein in der Emmer, auf dem Elias Alder als Frankenstein-Genie geisterhaft als ungeschlechtliches, vorzivilisatorisches Genie gezeugt wird, ein Androide aus einem Schwarzenegger-Hollywood-Film, ist auch ein Opferstein, auf dem er sich zu Tode bringt. Auf den alten "Teufelsstein" auf der neuen Badewiese zentriert Menasse den Kindesmord. Nicht nur Opferstein, sondern Schlachthaus ist der verlassene Waldviertler Bauernhof, in dessen Keller einer der "Entschlossenen" (der Rechtsradikalen) getötet und ausgeweidet wird. In der Sonnwend-Nacht wird er abgefackelt wie der Hof des Künstlers Andernteils in >Schlafes Bruder<. Auch die Staatsoper gehört zu diesem Mord-Plätzen. Ihre moderne Ausformung ist das Bett der Intensivstationen bei Simmel und Wiener.

Trotz des mythisierenden Horizontes dieser Bebilderung - nichts anderes, als wenn Hollywood-Schwarzenegger durch Graz schlendert - liegt es in allen diesen Fällen nicht nahe, einen primären Bezug zum alten "Heimatroman" herzustellen. Selbst wenn in den Opfersteinen "schundige" Zitate des Alten vorlägen, fügen sie sich müheloser als zum Alten in die Bilderkohärenz der Gegenwart. Es liegt am Schund der gegenwärtigen Zeiten, daß einst die "Heimatliteratur" keine "Schundliteratur" war und die jetzige Hochliteratur bewußt konzipierte "Schundliteratur" ist. Es geht um raffinierte Anwendungen von Bauweisen für "moderne" Roman-Stoffe. Einzel-Teile dieser Bauweisen sind in einer abgrenzbaren Vergangenheit als Typus "Heimatroman" schlüssig gewesen.

Ich schließe mit dem Opfer, das Werner Kofler dem "Heimatroman" Robert Schneiders darbringt, weil es nochmals die technisch-moderne, wenn auch deswegen nicht "postmoderne" Seite dieser Schriftstellerei in den Vordergrund spielt:

Gut, er ist ausgebildeter Schreibergeselle, er hat eine Schreiberlehre erfolgreich abgeschlossen, er versteht sich auf die Sargtischlerei [...]. Wie er schreibt? Nun er spricht vor sich hin die Namen Robert Musil, Robert Schneider, und schon schreibt er, schon geht es dahin, die Namen Musil Robert, Schneider Robert vor sich hingesagt, schon schreibt er, schreibt und schreibt, zwischendurch trinkt er Milch und ißt Schokolade, und schreibt, schreibt dahin, trinkt einen Schluck Milch und schreibt, nimmt ein Stück Schokolade und schreibt, sagt: Robert Musil, sagt: Robert Schneider, und Patsch! steht alles geschrieben da; ein Schluck Milch, ein Stück Schokolade, und noch eines, und Patsch! erledigt sich alles wie von selbst. Wie der schreibt! Der kann aber schreiben, so schreiben können möchte wohl ein jeder gern! [...] Lüüt, lüüt! Mann, der schreibt aber. Wie der schreibt, das Bübl, daß einer so schreiben kann! Gewaltig! Lüüt, lüüt! Schreibt und schreibt, schreibt dahin. Da, er schreibt schon wieder. Meine Güte, was für ein Schreiber! Er wird sich noch den Tod holen vom vielen Schreiben [...][74]

Fußnoten

[1] Ernst Bloch: Gewißheit, unfertige Welt, Heimat. In: Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969, Bd. 3, S. 1622-28, 1628
[2] Ina-Maria Greverus: Der territoriale Mensch. Ein literaturanthropologischer Versuch zum Heimatphänomen. Frankfurt/M.: Athenäum 1972
[3] Frankfurt/M.: Insel 1931, S. 18 f.
[4] Göttingen: Wallstein 1993
[5] Karlheinz Roßbacher: Heimatkunstbewegung und Heimatroman. Zu einer Literatursoziologie der Jahrhundertwende. Stuttgart: Klett 1975 (Literaturwissenschaft - Gesellschaftswissenschaft 13). Ders.: Programm und Roman der Heimatkunstbewegung - Möglichkeiten sozialgeschichtlicher und soziologischer Analyse. In: Sprachkunst 5 (1974), S. 301-326
[6] Peter Zimmermann: Der Bauernroman. Antifeudalismus. Konservativismus. Faschismus. Stuttgart: Metzler 1975.
[7] vgl. Walter Hömberg/Karlheinz Roßbacher: Lesen auf dem Lande. Literarische Rezeption und Mediennutzung im ländlichen Siedlungsgebiet Salzburgs. Bericht über ein empirisches Forschungsprojekt. Salzburg: Institut für Germanistik 1977, S. 26-47, 37, 96
[8] Roßbacher: Heimatkunstbewegung, a. a. O. Zimmermann, a. a. O. Greverus, a. a. O., sowie dies.: Auf der Suche nach der Heimat. München: Beck 1979
[9] Jürgen Hein: Dorfgeschichte. Stuttgart: Metzler 1976 (Sammlung Metzler 145). Norbert Mecklenburg: Erzählte Provinz. Regionalismus und Moderne im Roman. Königstein/T.: Athenäum 2 1986. Wendelin Schmidt-Dengler: Die antagonistische Natur. Zum Konzept der Anti-Idylle in der neueren österreichischen Prosa. In: Literatur und Kritik H. 40, 1969, S. 577-585. Jürgen Koppensteiner: Anti-Heimatliteratur in Österreich. Zur literarischen Heimatwelle der siebziger Jahre. In: Modern Austrian Literature. Vol. 15, No. 2, 1982, S. 1-11. Renate Lachinger: Der österreichische Anti-Heimatroman. Eine Untersuchung am Beispiel von Franz Innerhofer, Gernot Wolfgruber, Michael Scharang und Elfriede Jelinek. Masch. Diss. Salzburg 1985.
[10] Andrea Kunne: Heimat im Roman: Last oder Lust? Tranformationen eines Genres in der österreichischen Nachkriegsliteratur. Amsterdam-Atlanta: Rodopi 1991 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 95), S. 42, 7, 12 u. ö.
[11] Kunne, a. a. O., S. 14, Anm. 57, S. 310 f. Stadt- und Zivilisationskritik ist aber sogar tragendes Kennzeichen des alten "Heimatromanes" (vgl. z. B. Guido Zernatto: Sinnlose Stadt. Roman eines einfachen Menschen. Leipzig: Staackmann 1934, wo es einen arbeitslosen Landmenschen aus Kärnten nach Wien verschlägt. Natürlich spielt das nicht nur in der "Heimatliteratur" eine Rolle: vgl. Ernst von Salomon: Die Stadt. Berlin: Rowohlt 1932, und Zimmermann, a. a. O.)
[12] Bernhards >Verstörung< lese sich "streckenweise wie ein Blut-und-Boden-Roman à rebours. Womit man einst die Bodenständigkeit gerühmt hat, das muß jetzt dazu herhalten, um die Bodenlosigkeit zu exemplifizieren". "Bernhard ist, ob er es will oder nicht, ein österreichischer Heimatdichter [...]. Gerade in Bernhards aggressivem Verhältnis zur heimatlichen Umwelt wird die außergewöhnliche Einseitigkeit offensichtlich, die seine Fragestellung und Betrachtungsweise ebenso bestimmt wie seine Wahl der Motive und Charaktere, der Farben und Töne, der Ausdrucksmittel" (Marcel Reich-Ranicki: Konfessionen eines Besessenen. In: Über Thomas Bernhard. Hrsg. von Anneliese Botond. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 93-99, 96, 94). Ausgehend von den enormen Schwankungen in den Betriebsgrößen der "Erbhöfe" in den Erbhof-Gesetzen, die von der Versorgung einer Familie bis zur Versorgung von 135 erwachsenen Personen reichen, hat Verf. in Bernhard eine feudale Variante des Bauernromans zu beschreiben versucht, was er aber nicht wiederholen würde (vgl. Verf.: Das literarische Leben der Bauern. Zur Pflege des Erbhof-Gedankens in Salzburg. In: Der Historismus und die Folgen. Studien zur Literatur in unserem Jahrhundert. Frankfurt/M.: Athenäum 1987, S. 317-339)
[13] "Plottegg" ist bei Achleitner der Name für die, das Landschaftsbild neuprägenden Plastik-Silos, in denen das Futter auf den Feldern oder bei den Höfen gelagert werden (Die Plotteggs kommen. Wien: Sonderzahl 1996).
[14] Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie. Hamburg: Hoffmann & Campe 1992
[15] Wanda Ziegler: Heimat in der Krise. Der Versuch einer interdisziplinären Annäherung an den "Heimat"-Begriff mit dem Schwerpunkt "Salzburger Heimatliteratur". Masch. Dipl.-Arbeit. Salzburg 1995
[16] Innovationen. Über den Prozeßcharakter von Literatur und Kultur. Frankfurt/M.: Syndikat 1977
[17] vgl. Gertraud Steiner: Die Heimatmacher. Kino in Österreich 1946-1966. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1987 (Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 26)
[18] Steiner, a. a. O., S. 56, 60, 70 u. ö.
[19] Barbara Passrugger: Hartes Brot. Aus dem Leben einer Bergbäurin. Bearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Ilse Maderbacher. Wien Köln: Böhlau 1989
[20] K. H. Waggerl: Sämtliche Werke, 2 Bde, Salzburg, 2. Aufl. 1972, Bd. 2, S. 671-703
[21] vgl. Alex Haley: Roots. London: Hutchinson 1977
[22] Die Heimatgemeinde wird seit dem 16. Jhdt. zum armenrechtlichen Verweisungsort entwickelt (vgl. Ziegler, a. a. O., S. 71).
[23] Ernst Jandl: peter und die kuh. gedichte. München: Luchterhand 1996, S. 61
[24] Nach J. Andreas Schmeller: Bayerisches Wörterbuch. Stuttgart und Tübingen: Cotta 1837, 1. Band, Spalte 689. Er führt zu ficken, figken (kurze, rasche Bewegungen hin und her machen) gfickát an: das Gefick, Kleinvieh, z. B. Schafe, Ziegen, Schweine, auch Flöhe etc. Dazu die Übertragung auf herumlaufendes Gesindel (Bagage, Pack): "Stubenmädeln, Kammerhennen, Köche, Frisierer, Kammerdiener, Barbierer und wie das Gefick alles heißt".
[25] Hamburg Wien: Zsolnay 1949, hier zitiert nach der Ausgabe München: Droemer-Knaur 1993, S. 595
[26] z. B. dem vielfach, darunter auch von der Buchgemeinschaft Gutenberg aufgelegten Werk des Literatur-Staatspreisträger des "Ständestaates" Erich August Mayer: Werk und Seele. Wien Berlin Leipzig: Luser 1930. Ein "Österreicher" war darin eine (selbst in Berlin im Steirerjankerl jodelnde) Seele und Österreich Landschaft für reichsdeutsches Werk.
[27] der Ausdruck nach Werner Kofler: Üble Nachrede Furcht und Unruhe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1997, S. 42 u. ö.
[28] vgl. ohne Übertragung der Ideologie das "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" von 88 Schriftstellern vom Oktober 1933 in der >Frankfurter Zeitung<, wiederabgedruckt in: Der Aufbau 2 (1946), H. 9, S. 972
[29] Friedrich Heer: Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität. München: Bechtle 1968
[30] Kofler: Üble Nachrede, a. a. O.
[31] Das Auslands-Urteil deckte sich damit nicht immer; um nur Literaturwissenschaftler zu nennen: Gerald Stieg: Versuch einer Philosophie des Hanswurst. In: Deux Fois l'Autriche. Aprés 1918 et aprés 1945. Rouen: Centre d'Études et de Recherches Autrichiennes 1979, S. 79-108. Claudio Magris sah Kreisky (im Gespräch mit Verf.) als "troppo furbo".
[32] Werner Kofler: Konkurrenz. Szenen aus dem Salzkammergut. Wien: Deuticke 1996, S. 116
[33] Kofler: Üble Nachrede, a. a. O., S. 15
[34] vgl. Karl Müller: Zäsuren ohne Folgen. Das lange Nachleben der literarischen Antimoderne Österreichs seit den 30er Jahren. Salzburg: Müller 1990
[35] Gert Jonke: Stoffgewitter. Salzburg: Residenz 1996, S. 35 ff. Kursiv F. A.
[36] vgl. Franz Kafka: Brief an den Vater. Frankfurt/M.: Fischer 1991
[37] Gert Jonke: Geometrischer Heimatroman. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969, S. 143. Kursiv F. A.
[38] Friedrich Achleitner: prosa konstellationen montagen dialektgedichte studien. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1973, S. 113
[39] Achleitner: prosa [...], a. a. O., S. 72
[40] Peter Handke: Die Hornissen. Frankfurt: Suhrkamp 1966, S. 27 f.
[41] Vgl.: "Ich machte mir ein Bild von dem leeren Coupé. Ich ließ es nach kaltem Rauch riechen, nach den Schalen von Orangen, nach feuchtem Gummi, nach geschmolzener Schokolade; ich machte zu den Gerüchen die Bilder derer, die in dem Abteil waren. Ich ließ die Bilder der Finger mit den Nägeln die Bilder der Früchte abschälen und teilte dem Bild das leise Schnaufen der sich lösenden Schalen zu und über den Schalen die voneinander weichenden Lippen. Ich teilte diesen Lippen eine Frage zu und dem Kopf gegenüber ein verwehrendes Schütteln. Dann ließ ich das Bild der Daumen das Bild der Frucht zerbrechen und das Bild einer Scheibe dem Bild des andern reichen, und wiewohl ich mir ein Bild von dem zweiten verwehrenden Schütteln des Kopfes machte, ließ ich schmählich [sic] das Bild der Hand nach dem Bild der Fruchtscheibe greifen und zu dem Bild des Mundes aufheben, dem ich zuvor noch ein Wort gab. Ich ließ nun die beiden Reisenden die Teile der Frucht verspeisen, den einen, den Eigentümer, mit dem schnellen Zucken und Mahlen des ganzen Gesichts, den andern mit dem zögernden Saugen und Nagen an der überlassenen Scheibe. Dann löste ich die Bilder von den Gerüchen und ließ das Abteil menschenleer sein." (Handke: Hornissen, a. a. O., S. 49)
[42] Handke: Hornissen, a. a. O., S. 19
[43] vgl. Gertrude Stein: Warum ich Detektivgeschichten mag. Ein Wasserfall und ein Klavier. Ist tot. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Laederach. Berlin: Edition Plasma 1989
[44] vgl. Zdenko _kreb: Trivialliteratur. In: Erzählgattungen der Trivialliteratur. Hrsg. von Zdenko _kreb und Uwe Baur. Innsbruck: Institut für Germanistik 1984, S. 9-32, 17 f. Ders.: Der Detektivroman. Ebenda, S. 195-210, 200, 202 ff.
[45] Diese wiederholten Hinweise strukturieren den Text. Zwei Beispiele:
"Ich vergleiche also den allgemeinen Formelvorrat für die Biographie eines Frauenlebens satzweise mit dem besonderen Leben meiner Mutter; aus den Übereinstimmungen und Widersprüchlichkeiten ergibt sich dann die eigentliche Schreibtätigkeit [...]."
"(Sicher: diese Schilderungsform wirkt wie abgeschrieben, übernommen aus anderen Schilderungen; [...] kurz: '19. Jahrhundert'; aber das gerade scheint notwendig; denn so verwechselbar, aus der Zeit, ewig einerlei, kurz 19. Jahrhundert, waren auch noch immer, jedenfalls in dieser Gegend und unter den skizzierten wirtschaftlichen Bedingungen, die zu schildernden Begebenheiten. Und heute noch die gleiche Leier: am Schwarzen Brett im Gemeindeamt sind fast nur Wirtshausverbote angeschlagen.)" (Peter Handke: Wunschloses Unglück. Erzählung. Salzburg: Residenz 1972, hier zitiert nach der Suhrkamp-Taschenbuchausgabe S. 45 f., 58)
[46] Bergisch-Gladbach: Bastei-Lübbe 1985, 2 Bde
[47] Bergisch-Gladbach: Bastei-Lübbe 1983 bzw. 1984
[48] Franz Innerhofer: Schöne Tage. Salzburg: Residenz 2 1974, S. 188
[49] Innerhofer, a. a. O., passim
[50] Ernst Jandl: >von einen sprachen<. In: die bearbeitung der mütze. Darmstadt Neuwied: Luchterhand 1981, S. 122: "schreiben und reden in einen heruntergekommenen sprachen / sein ein demonstrieren, sein ein es zeigen, wie weit / es gekommen sein mit einer solchenen: seinen mistigen / leben er nun nehmen auf den schaufeln von worten / und es demonstrieren als einen stinkigen haufen / denen es seien. es nicht mehr geben einen beschönigen / nichts mehr verstellungen. oder sein worten, auch stinkigen / auch heruntergekommenen sprachen-worten in jedenen fallen / einen masken vor den wahren gesichten denen zerfressenen / haben den aussatz. das sein ein fragen, einen tötenen."
[51] Jandl: peter und die kuh, a. a. O., S. 99
[52] in: laut und luise. Olten: Walter 1966, S. 143
[53] vgl. Anm. 50
[54] 1944, aber erst postum erschienen
[55] Name einer jahrezehntelang täglichen, dann in der Variation eines Bundesländer-Fernsehen durchgeführten Abendsendung. Derzeit lauft zudem täglich mehrstündig >Willkommen Österreich<.
[56] Gemeint ist hier die Tradition Freud, Mach, Weininger, Wittgenstein, Musil u. a. Was aber Wiener meint, entnimmt man dem Literaturverzeichnis des Romans.
[57] Oswald Wiener: Nicht schon wieder...! Eine auf einer Floppy gefundene Datei. Herausgegeben von Evo Präkogler. München: Matthes & Seitz 1990, S. 18
[58] Gespräch am 15. 5. 1995 mit dem Verf.
[59] Von diesem Begriff, mit dem er die Literatur seiner Kollegen meint, hebt Schneider seinen Roman ab (zitiert in Rainer Moritz: Nichts Halbherziges. Schlafes Bruder: das (Un-)Erklärliche eines Erfolgs. In: Über >Schlafes Bruder<. Materialien zu Robert Schneiders Roman. Hrsg. von Rainer Moritz. Leipzig: Reclam 1996, S. 11-30, S. 17 Anm. 17)
[60] Salzburg Wien: Residenz 1991, 1992; dann Frankfurt/M.: Suhrkamp 1994, 1995
[61] Sein Ruhm gründet sich auf den Bildbericht über einen Granatentreffer, der in Sarajewo ein Kind zerfetzt. Auch Johannes Mario Simmel verwendet das medial bosnien-repräsentative Motiv wie Haslinger kritisch. Vgl.: Auch wenn ich lache, muß ich weinen. München: Droemer-Knaur 1993, S. 578 ff.
[62] Josef Haslinger: Opernball. Roman. Frankfurt/M.: Fischer 1995, S. 449
[63] Ein Beispiel: Gavrilo Princip muß im Film auch ein Geliebter sein, wie er es auch im Princip-Museum in Sarajewo ist, in dem sich ein Bild der liebenden Frau befindet. Bei der Recherche nach ihr gegen den Willen des Museums-Direktors stellt sich heraus, daß die noch lebende, als Museums-Bild Liebende, sich kaum an Princip erinnert und sich keineswegs als ehemals Liebende sieht. Der Film wird aber, dem Museum und dem Film entsprechend, mit einer Liebenden gedreht. Es geht um akzeptable und die akzeptierten Bilder.
[64] Würde man, was der Roman nie nachweist, ein allegorisches Geschichtsbild zugrundelegen, wäre die Mutter wohl Titos Jugoslawien.
[65] Das wohl nicht nur als >Nachbar-in-Not<-Aktion von Caritas und ORF, sondern als politische Verantwortlichkeit der Habsburger und der republikanischen (nach Kofler: "Mock Turtle Soup" [Kofler: Üble Nachrede, a. a. O., S. 40] ) Balkanpolitik zu lesen ist.
[66] Das Verschwinden des Autors aus der Literatur tritt auch ganz anders in Erscheinung, wenn man an die Text-Kohärenz in Walter Gronds >Absolut Grond. Ein Roman< (Graz Wien: Droschl 1994) oder in >Absolut Homer< (Graz Wien: Droschl 1995) denkt.
[67] "Ob ich hingegen mit meinem Autor gut beraten bin, entzieht sich zwar meinem Beurteilungsvermögen, doch hege ich bereits Zweifel [...]: ein Simenon ist er nicht." (Kofler: Konkurrenz, a. a. O., S. 39)
[68] Frankfurt/M.: Suhrkamp
[69] Vgl. dazu auch Art Spiegelman: Maus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, Bd. 1 1989, Bd. 2 1992, wo das medial noch grasser, im Comic, in Erscheinung tritt.
[70] Der Kleidertausch spielt Geschlechterrollen und politische Wirklichkeit zusammen wie bei Ruth Klüger, a. a. O.
[71] Nach einem kleinen Männchen mit Steirerhut, das im Rahmen eines Heimat-Gewinnspiels der täglich mehrstündigen Nachmittags-Sendung >Willkommen Österreich< in Kurzform vorgestellte österreichische Ortschaften aufzufinden hat, dabei nach Angaben des Spielteilnehmers eine fähnchenbewährte Stange "punktgenau" in die Landkarte rammen muß und dies jodelnd tut er müßte eigentlich, nach Menasses Landschaftsbild mit der Fahnenstange, die Präservative aufpicken.
[72] Robert Menasse: Schubumkehr. Salzburg Wien: Residenz 1995, S. 191
[73] vgl. Die WARE Landschaft. Eine kritische Analyse des Landschaftsbegriffs. Hrsg. von Friedrich Achleitner. Salzburg: Residenz, 1978
[74] Kofler: Üble Nachrede, a. a. O., S. 37 f.



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